Inhalt
Die Kessels sind "Jenische" – nicht sesshafte Landfahrer mit Schweizer Pässen. 1939 flüchten sie mit ihrem Wohnwagen vor den Nazis über die deutsche Grenze zurück in die Schweiz. Dort werden die Tochter Jana und ihr Bruder Django vom Hilfswerk "Barmherzigkeit mit den Vagantenkindern" entführt und getrennt bei Bauernfamilien untergebracht. Jana freundet sich mit Franz an, der ihr helfen will, die Eltern wiederzufinden, was der Hilfswerksleiter Dr. Schönefeld jedoch verhindert. Jana wächst in einem kirchlichen Internat auf und wird später in ein Arbeitslager eingewiesen. Auch ihr eigenes Kind wird ihr genommen und sie landet schließlich in der Psychiatrie. Viele Jahre später kann sie entkommen und flieht diesmal aus der Schweiz nach Deutschland. – Tatsächlich entführte das der Schweizer Organisation "Pro Juventute" nahe stehende Hilfswerk "Kinder der Landstraße" unter dem Deckmantel der Fürsorge bis in die 1970er Jahre unzählige Kinder aus "jenischen" Familien.
Kommentare
Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!
Jetzt anmelden oder registrieren und Kommentar schreiben.
„Kinder der Landstraße“ schildert exemplarisch das leidvolle Leben der jungen Jana Kessel. Sie befindet sich im Herbst 1939 mit ihren Eltern Paul und Theresa sowie anderen aus der weitläufigen Verwandtschaft im Allgäu, wo die Erwachsenen einem Bauern bei der Tabakernte helfen. Die vierjährige Jana und der siebenjährige Django verleben unbeschwerte Tage – bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Alle Fahrenden werden verhaftet. Während die deutschen Sinti-Familien einer ungewissen Zukunft entgegensehen, kann die Familie Kessel als Schweizer Bürger gerade noch den alsbald bevorstehenden NS-Progromen entgehen. Jana wird aber, kaum ist die rettende Grenze passiert, zusammen mit ihrem Bruder von ihren Eltern getrennt. Es beginnt ein langer, schmerzvoller Prozess: immer neue Heime, immer neue Pflegeeltern sollen sie auf den rechten, sprich: sesshaften Weg führen. Veranlasst hat das ein gewisser Dr. Schönefeld vom „Hilfswerk Barmherzigkeit den Vagantenkindern“.
Nach Kriegsende ist Janas Odyssee jedoch noch längst nicht beendet. Sie kommt als Pflegekind zur Bauernfamilie Kurt und Hildi Mauerhofer, wo sie als billige Arbeitskraft ausgenutzt wird. Allein ihre Freundschaft zum elfjährigen Sohn der Familie, Franz, bietet Jana Trost, die glauben muss, dass ihre Eltern sie vergessen haben. In Wirklichkeit hat dieser übereifrig-kriminelle Verwaltungsbeamte Schönefeld alles darangesetzt, den Kessels den Aufenthaltsort ihrer Tochter zu verheimlichen. Und noch mehr: der angebliche Wohltäter sorgt dafür, dass Jana hinter den Mauern einer Klosterschule verschwindet.
Jana erlebt beim Ehepaar Heinrich und Eva Hottinger unerwartete Momente des Glücks, flieht aber nach Zürich, als sie erfährt, dass sie nur die Rolle der verstorbenen Tochter spielt. Dort trifft sie erneut auf Franz Mauerhofer und beide verlieben sich ineinander. Ohne Prozess, ja ohne Anklage landet Jana erneut im Gefängnis auf Intervention Schönefelds. Aber nachdem sie volljährig geworden ist, gelingt es Franz, sie aus dem Knast zu holen. Beide planen, auszuwandern. Doch der Beamte kann sich nicht vorstellen, dass ein Zigeunermädchen zu einem bürgerlichen Leben fähig ist und wirft den beiden weitere Knüppel zwischen die Beine. Als Jana schwanger ist und das Geld zur Auswanderung nicht reicht, scheint Franz kalte Füße bekommen zu haben: Jana bringt im Spital einen gesunden Jungen zur Welt, aber der Vater lässt sich nicht blicken...
Der unter die Haut gehende Film berichtet von der Solidarität und dem Leidensweg des fahrenden Volkes in schonungsloser Offenheit ebenso wie über die Willkür der eidgenössischen Behörden, die in der traurigen Realität erst 1973 (!) das „Hilfswerk“ des verkappten Nationalsozialisten Dr. Alfred Siegfried stoppten. Am Ende ist nur wieder Flucht der Ausweg – ausgerechnet erneut über die Grenze nach Deutschland! Urs Egger ist für „Kinder der Landstraße“ international ausgezeichnet worden, so mit dem Jurypreis des Festivals Amiens sowie als „Best Foreign Film“ beim Festival Fort Lauderdale, USA.
Pitt Herrmann