Inhalt
Einst war die Stadt Czernowitz im Westen der Ukraine ein Zentrum jüdischer Kultur in der Bukowina, einem Gebiet nahe der rumänischen Grenze, das über Jahrhunderte hinweg von einem Vielvölkergemisch geprägt war. Der 70-jährige Herr Zwilling und seine 91-jährige Bekannte Frau Zuckermann gehören zu den wenigen jüdischen Überlebenden, die der Verfolgung durch die Nazis entgehen konnten. In Volker Koepps Dokumentarfilm erzählen sie über ihre Vergangenheit und das Schicksal ihrer Angehörigen, über Kultur und Politik – mal melancholisch, mal mit leisem Humor, aber stets mit spürbarer Energie und einem ungebrochenen Willen zum Leben.
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Paul Celan, Rose Ausländer, auch der aus Brody stammende Joseph Roth werden heute mit dieser Region in Verbindung gebracht, die unter der Herrschaft des österreichischen Kaisers Franz Josef durch ihr Vielvölkergemisch geprägt war. Die Amts- und Kultursprache war deutsch, aber hier lebten mehr oder minder friedlich Ruthenen, Rumänen, Russen, Ukrainer, Ungarn, Deutsche und Juden mit- oder zumindest nebeneinander. Heute sind nur noch, im architektonischen Sinne, Rudimente zu besichtigen, umso wichtiger ist es, die letzten noch lebenden Zeitzeugen zu befragen.
Dabei geht es nicht um bloße Nostalgie, sondern um die fatalen Auswirkungen der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Und um die Lebensbedingungen der noch übrig gebliebenen „Altösterreicher“ im Armenhaus Ukraine. Rosa Roth-Zuckermann kann von ihrer kleine Rente ebenso wenig leben wie Mathias Zuckermann von der seinen. Sie unterrichtet Kinder begüterter Eltern in der englischen und der deutschen Sprache, er gibt, obwohl ebenfalls hochbetagt, naturwissenschaftlichen Unterricht in einem Polytechnikum. Beide verbindet neben ihrer Freundschaft auch das Wissen um die Vergangenheit – und nicht zuletzt die deutsche Sprache. Täglich besucht Herr Zwilling („Der Pessimist“) in den Abendstunden die 90-jährige Frau Zuckermann (“Die Optimistin“ – als seien es zwei Figuren aus „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus).
Volker Koepp und sein Kameramann Thomas Plenert sind Zaungäste dieser Begegnungen und Gespräche, so als gehörten sie zur Familie. Sie fallen nicht weiter auf, und das ist vielleicht der nachhaltigste Eindruck des Films: Er kommt praktisch ohne äußere Einwirkungen und Einflussnahmen aus. Das Team ist quasi unsichtbar, nur wenn es sich auf Spurensuche in der Stadt bewegt, auf dem Marktplatz, bei einer Feier, in einer Kneipe mit Lebensmittelverkauf, dann merkt man an den Reaktionen der anderen Bewohner, dass etwas außergewöhnliches passiert, dass ein Filmteam aus dem fernen Deutschland hier am Ende der zivilisierten Welt dreht.
Pitt Herrmann