Inhalt
Verfilmung des Bestsellers von Julia Franck. In den "goldenen" 1920er Jahren kommen die Schwestern Helene und Martha nach Berlin, um sich ein neues Leben aufzubauen. Martha gerät schon bald in das Nachtleben voller Partys und Drogenexzessen und verliert die Kontrolle über ihr Leben. Helene hingegen verfolgt ehrgeizigere Ziele: Sie will Medizin studieren und Ärztin werden. Als sie sich in Karl verliebt, scheint ihr Glück perfekt zu sein. Dann stirbt Karl jedoch unerwartet. Kurz darauf kommen die Nazis an die Macht und Helene lernt Wilhelm kennen, der sich in sie verliebt, allerdings ganz andere Vorstellungen davon hat, wie eine Frau zu leben hat. Sein traditionelles Weltbild kollidiert mit Helenes Lebensplänen. So muss sie eine folgenschwere Entscheidung treffen.
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Barbara Alberts kaum weniger epische Leinwand-Adaption beginnt dagegen mit dem Epilog der Vorlage: „Wo ich herkomme, erzählt man sich die Geschichte der Mittagsfrau“ sagt Helene über den stets zur Mittagszeit auf den Feldern erscheinenden wendischen Naturgeist, „mit der man sprechen muss, sollte man ihr begegnen.“ Helene fährt nach Mecklenburg zum Bauernhof ihres Schwagers, um Peter an seinem 17. Geburtstag zu besuchen. Der freilich von seiner Mutter nichts wissen will – und ihr im Roman auch nicht begegnet. Im Film dagegen, der die ersten beiden Buch-Kapitel „Die Welt steht uns offen“ und „Kein schönerer Augenblick als dieser“ knapp zusammenfasst, gibt’s am versöhnlichen Ende der Rahmengeschichte eine vorsichtige Annäherung im Kornfeld…
Ihre nach dem Verlust ihrer Söhne im 1. Weltkrieg und dem Typhus-Tod ihres Gatten psychisch kranke jüdische Mutter Selma in der Obhut der Haushälterin in Bautzen zurücklassend, folgen die 13-jährige Helene und ihre 22-jährige Schwester Martha einer Einladung ihrer Charlottenburger Tante Fanny ins aufregende Berlin der wilden 1920er Jahre. „Engelchen“ Helene kann dort auf eine höhere Schule für Mädchen gehen mit dem Ziel eines Medizinstudiums und jobbt nebenbei in einer Apotheke. Während sich Martha an der Seite ihrer Kindheitsfreundin, der Ärztin Leontine, im Party- und Drogenrausch verliert.
Helene lernt den Studenten Karl Wertheimer kennen, der sie in seinen Künstlerzirkel mitnimmt. Als sie ungewollt schwanger wird, kommt die Engelmacherin zum Engelchen. Karl will sie trotz dieses Vertrauensbruchs heiraten – und stirbt am letzten Tag vor Helenes Matura. Im Roman profan durch einen Unfall auf schneeglatter Straße, spektakulärer im Film bei einem politischen „Vorfall“ vor dem Reichstag, eine Anspielung auf das von den Nationalsozialisten selbst in Brand gesteckte Parlament.
Auf dem Höhepunkt der mit Massenarbeitslosigkeit einhergehenden Wirtschaftskrise tritt der Ingenieur Wilhelm Sehmisch in Helenes Leben. Der glühende NSDAP-Anhänger macht ihr acht Jahre nach Karls Tod einen Heiratsantrag, auf den sie erst eingeht, als er der Halbjüdin eine neue arische Identität verschafft: Alice Schulze, verheiratete Sehmisch. Schon in der Hochzeitsnacht kommt es zum Bruch: Helene ist keine Jungfrau mehr. Als sie den 3155 Gramm schweren „Prachtkerl“ Peter zur Welt bringt, zieht Wilhelm aus. Helene alias Alice arbeitet im Schichtdienst als Krankenschwester, während sich ihre Nachbarin Kozinska mehr schlecht als recht um Peter kümmert. Der nach Kriegsende auf dem Hof von Onkel Sehmisch lebt, während sein Vater in den Westen rübergemacht hat und seine Mutter sich mit ihrer Schwester ein Zimmer in Berlin teilt…
Der Roman „Die Mittagsfrau“ ist ein facettenreiches Geschichtspanorama des 20. Jahrhunderts aus der Sicht einer ehrgeizigen jungen Frau, die sich nicht mit der traditionellen, von den Nazis wiederbelebten Rolle als Hausfrau und Mutter abfinden will. Nach der zweiten, aus einer Vergewaltigung hervorgegangen Schwangerschaft kann sie keine enge Beziehung zu ihrem Sohn aufbauen. Helene gibt Peter schon früh in fremde Hände gibt und unternimmt im Roman gleich drei Versuche, ihn zu verlassen.
Meike Hauck und Barbara Albert halten sich, besonders was das dritte Buch-Kapitel „Nachtfalle“ betrifft, bisweilen wörtlich an die Vorlage. Die sowohl um zahlreiche Figuren wie den Vater der Schwestern, den Buchdrucker Ernst Ludwig Würsich, und den Maler Heinrich Baron als auch um Nebenstränge wie Marthas Liaison mit dem Heidelberger Botanik-Studenten Arthur Cohen gekappt ist. Das ständige Verschieben der Zeitachse sorgt für zusätzliche Spannung, hinzuerfundene Figuren der Zeitgeschichte wie die aus Galizien stammende Berliner Dichterin Mascha Kaléko verdichten die Atmosphäre der Zwischenkriegszeit.
Pitt Herrmann