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Verfilmung von Peter Weiss' Theaterstück "Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen" (1965), das auf persönlichen Aufzeichnungen, Zeitungsartikeln und Protokollen des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses (1963-1965) basiert. Im Mittelpunkt des Films stehen ein Richter, ein Verteidiger und ein Ankläger, die im Rahmen der Verhandlung auf 28 Zeuginnen und Zeugen treffen, die von ihren Erlebnissen und Beobachtungen in Auschwitz berichten. Außerdem sagen elf Zeug*innen der ehemaligen Lagerverwaltung aus. Im Verlauf des Prozesses werden die 18 Angeklagten unmittelbar mit den Ausführungen der Zeug*innen konfrontiert und sind aufgefordert, dazu Stellung zu beziehen.
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Regisseur Rolf Peter Kahl hat das gleichnamige Theaterstück von Peter Weiss aus dem Jahr 1965 mit 60 Schauspielern für die Kinoleinwand inszeniert. Das „Oratorium in 11 Gesängen“ des deutsch-schwedischen Schriftstellers, der am 8. November 1916 in Nowawes bei Potsdam geboren wurde und am 10. Mai 1982 in Stockholm starb, basiert auf persönlichen Aufzeichnungen, Zeitungsartikeln und Protokollen des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses (1963 bis 1965). In unmissverständlich klarer Sprache zu einem lyrischen Klagegesang verdichtet und montiert, konfrontiert das Stück Täter und Opfer und lässt das Grauen in Auschwitz-Birkenau spürbar werden.
„Die Ermittlung“ wurde am 19. Oktober 1965 als offene Ringuraufführung gespielt – von der Royal Shakespeare Company in London sowie an 13 westdeutschen Theatern. In der DDR fand die Uraufführung als Lesung im Plenarsaal der Volkskammer statt, beteiligt waren Schauspieler, Regisseure, Maler, Bildende Künstler und Schriftsteller sowie Kulturpolitiker, darunter auch Überlebende der NS-Konzentrationslager.
Im Zentrum des Stücks wie des Films stehen ein Richter, ein Verteidiger und ein Ankläger, die im Rahmen der Verhandlung auf 28 Zeugen treffen, die von ihren Erlebnissen und Beobachtungen in Auschwitz berichten. Weitere elf Zeugen der ehemaligen Lagerverwaltung sagen vor Gericht aus. Die 18 Angeklagten werden im Prozess mit Beschreibungen der Zeuginnen und Zeugen konfrontiert und sollen Stellung beziehen. „Uns wurde das Denken abgenommen, das taten andere für uns“: Wie erwartet behaupten alle, nur kleine Rädchen im Getriebe oder Befehlsempfänger ohne Alternative gewesen zu sein. Einige behaupten sogar, passiven Widerstand geleistet zu haben.
„Die Ermittlung“ ist ein künstlerisch radikales Projekt, das Kino, Theater und neueste Broadcast-Techniken vereint, um einen zeitgemäßen Beitrag zur Erinnerungskultur zu leisten. Nach einer intensiven, vierwöchigen Probenzeit haben 60 Schauspieler den Text von Peter Weiss für die Kinoleinwand zum Leben erweckt. An insgesamt fünf Drehtagen wurden vom 21. bis 25. August 2023 die einzelnen Gesänge mit einem ausgefeilten visuellen Konzept in jeweils nur einer Einstellung in Berlin-Adlershof gedreht – eingefangen von insgesamt acht Kameras.
Rolf Peter Kahl im Leonine-Presseheft: „Wir haben in einem Raum gedreht, wo ansonsten die großen Shows produziert werden. Die Lampen, die dort hängen, sind keine Film-, sondern Showlampen! Christian A. Buschhoff, unserer Technischer Leiter, hat am Ende alle Elemente aus Film, Theater, Show und Fernsehen zu einem Hybrid organisch zusammengebracht.“
Während es im Film zuvor nur vereinzelte skizzenhafte Sounds von Matti Gajek zu hören gibt, erklingt am Schluss mit „Lento e Largo – Tranquillissimo“ ein Gesangsstück aus Henryk Góreckis Symphony No. 3, interpretiert von der Portishead-Stimme Beth Gibbons und unterlegt mit Aufnahmen aus der heutigen KZ-Gedenkstätte im polnischen Oświęcim. RP Kahl: „Wir wollten dem Publikum erlauben, in eine gewisse Form von Emotion und Versöhnung einzusteigen, vorausgesetzt, man will es.“
Bezüglich der Intensität lässt „Die Ermittlung“ trotz der bewussten Kargheit der Stilmittel und der sich nur bisweilen in minimalen Gesten oder einem Zucken der Augen ausdrückenden Emotionen der am Prozess Beteiligten verdienstvolle Vorgängerproduktionen wie den Spielfilm „Im Labyrinth des Schweigens“ (2014) und die Dokumentation „Der Staat gegen Fritz Bauer“ (2015) hinter sich: die Ungeheuerlichkeit der Zeugenaussagen steht der Ungeheuerlichkeit der Reaktion der Angeklagten und ihres Verteidigers darauf in nichts nach.
Pitt Herrmann