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"Der Geist der Berge existiert. Wenn du mit ganzem Herzen an ihn glaubst, wird er dir alle Kraft der Welt geben."
Mitten in der der mongolischen Steppe wächst der elfjährige Amra in einer traditionellen Nomandengemeinschaft auf. Morgens wird er von seinem Vater in die Schule gefahren, abends hilft er, die Herde mit den Schafen und Ziegen zur Jurte zu treiben. Mit seinen gleichaltrigen Freunden schaut er YouTube-Videos und träumt davon bei "Mongolia's Got Talent" aufzutreten. Daheim treffen sich die Erwachsenen, um über die Zukunft der Gemeinschaft zu beraten. Auf der Suche nach Gold bedrohen globale Bergbaukonzerne die Lebensgrundlage in der Steppe. Der unerwartete Tod des Vaters lässt Amras Träume den Ansprüchen der Realität weichen. Mit aller Macht und weit über seine Kräfte hinaus nimmt der Junge sich vor, dem Vermächtnis seines Vaters gerecht zu werden.
Quelle: 70. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Amra träumt davon, in der Fernseh-Show „Mongolia’s Got Talent“ aufzutreten. Wozu er die Erlaubnis seiner Eltern benötigt. Doch die haben gerade ganz andere Sorgen, welche Erdene dem Rat der Nomaden vorträgt: das ursprüngliche Leben nicht nur der eigenen Familie wird durch das Eindringen internationaler Bergbauunternehmen bedroht, die auf ihren Weideflächen nach Gold schürfen und so den Lebensraum der Nomaden rücksichtslos zerstören. Während Zaya dafür ist, ihr Land zu verkaufen, nimmt Erdene den aus ihrer Sicht sinnlosen Kampf gegen die Minenkonzerne auf. Die er dazu bringen will, einen Kontrakt über die Renaturierung des von ihnen zerstörten Landes abzuschließen. Doch viele andere Nomaden haben bereits ihr Land verkauft – und andere schürfen auf eigene Faust, bevor die großen Bagger anrücken. Als Erdene mit seinem Auto in ein Bohrloch einer solchen illegalen Mine stürzt und dabei ums Leben kommt, will Amra den Kampf seines Vaters fortführen – mit ganz eigenen Mitteln. Zu denen auch Zucker gehört, der gewaltige Maschinen lahmzulegen imstande ist.
Da nun Erdenes Gehalt fortfällt, bereitet Zaya zusammen mit der Schwägerin Oyunaa den Wegzug aus Töv Aimags vor. Amra verkauft derweil den Ziegenkäse jetzt nicht nur auf dem Markt, sondern auch an die illegalen Goldsucher. Dort ist er bald auch als kundiges Reparatur-Talent gefragt, das offenbar eine Menge bei seinem Vater gelernt hat. Zudem lässt sich der Zwölfjährige zusammen mit seinem Freund Bataa in schwer zugängliche Stollen schicken – bis seine Mutter dahinterkommt. Um ihren Sohn in die Hauptstadt zum Contest bringen zu können, versetzt Zaya ihren Schmuck. Amra tritt mit dem Lied „Adern aus Gold“ an, einer Hymne auf die Heimat und ihre Natur, das auf einer alten mongolischen Sage beruht...
Byambasuren Davaa, ursprünglich in ihre Heimat zurückgekehrt für ein anderes Filmprojekt, im Presseheft: „Ich musste unbedingt über diesen Raubbau und die Verdrängung der Nomaden erzählen. Über das Versiegen der Wasserquellen und die großräumige völlige Verschiebung der Landschaft inklusive der Flüsse, in der man heute keine Fische mehr ganz nebenbei mit der Hand fangen kann wie damals. Es blieb mir gar nichts anderes übrig, es ist meine Verantwortung.“
Mit „Die Adern der Welt“ ist der inzwischen 50-jährigen, in München ausgebildeten Dokumentaristin („Die Geschichte vom weinenden Kamel“) ein spannendes Spielfilm-Debüt gelungen, dessen grandiose Landschaftsaufnahmen unbedingt die große Kinoleinwand benötigen. Die Fiktion basiert freilich auf dokumentarischem Hintergrund, wie die Regisseurin im Presseheft erläutert: „Wir haben mit Schauspielern gearbeitet, aber keine unserer Filmumgebungen außen war für den Film gebaut. Sie war einfach genauso da in der Realität: Wir drehten mittendrin im Schürfland. Der Baum im Film auf dem Hügel steht genau auf der Grenze zwischen noch nicht lizensiertem Gebiet und Schürfgebiet. Wir planten für manche Szenen eigentlich VFX-Anteile, die wir dann gar nicht brauchten, weil z.B. die Goldschürfer schon viel näher gerückt waren, als wir dachten. Das ist ein großes Glück für mich als Filmemacherin, aber eine große Tragödie für mich als Mongolin. Denn es geht ja nicht nur um Landraub und -zerstörung. Es geht um Traditions- und Kulturraub: Es wird Kultur- und Naturwissen zerstört, wenn die Lebensräume zerstört werden.“
Uraufgeführt am 23. Februar 2020 auf der 70. Berlinale sollte „Die Adern der Welt“ ursprünglich am 19. November 2020 in unsere Kinos kommen. Pandemiebedingt kommt der Film nun am 29. Juli 2021 heraus und damit gerade recht in die Hochphase der Klimaschutz-Diskussion nach den verheerenden Überschwemmungen: Die Abholzung des brasilianischen Urwaldes und die Verwüstung der mongolischen Landschaft stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit unserer mitteleuropäischen Gegenwart. Die Hinterlassenschaften der Minengesellschaften entsprechen im Übrigen ganz der Wüstenei unserer Braunkohle-Tagebau-Reviere. Byambasuren Davaa im Pandora-Presseheft: „Als Kind hat es mich immer fasziniert, wie in der Wüste Gobi ein kleines Sandkorn die Welt als Fata Morgana spiegeln kann. In meinen Filmen versuche ich, ähnlich dem Sandkorn, die Welt in der kleinsten menschlichen Einheit, der Familie, zu spiegeln.“
Pitt Herrmann