Der Hauptmann

Deutschland Frankreich Polen 2017 Spielfilm

Inhalt

In den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs findet der junge Gefreite Willi Herold auf der Flucht eine Hauptmannsuniform. Ohne zu überlegen, streift er die ranghohe Verkleidung und die damit verbundene Rolle über. Schnell sammeln sich versprengte Soldaten um ihn – froh, wieder einen Befehlsgeber gefunden zu haben. Aus Angst enttarnt zu werden, steigert sich Herold nach und nach in die Rolle des skrupellosen Hauptmanns und verfällt dem Rausch der Macht. "Der Hauptmann" zeigt auf eindringliche Weise, wie selbst im Chaos der letzten Kriegstage etablierte Befehlsketten und Machtmechanismen funktionieren, und stellt den Zuschauer vor die Frage: Wie würde ich handeln?

Quelle: Filmfestival Max Ophüls Preis

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Heinz17herne
Heinz17herne
April 1945, drei Wochen vor Kriegsende, irgendwo in Nordwestdeutschland. Aufgrund ihrer silbernen Halsplakette „Kettenhunde“ genannte Feldjäger machen kurzen Prozess mit Deserteuren, Dieben, Plünderern, Vergewaltigern und anderen Wehrkraftzersetzern hinter der Front. Zu denen auch umsichtige Bürgermeister gezählt werden, die in Erwartung der britischen Befreier schon 'mal weiße Bettlaken mit dem Schriftzug „Welcome“ parat halten.

Der 19-jährige, kriegsmüde Gefreite Willi Herold zieht auf seiner Flucht vor der kämpfenden Truppe einen entkräfteten Kameraden von den Bahngleisen. Beide ruhen sich im verlassenen Dorfbahnhof aus, um danach Essbares zu requirieren. Ein als Plünderer Aufgeknüpfter weist ihnen den Weg zu einem Bauernhof, in dem es offenbar noch etwas zu holen gibt. Doch sie werden erwischt und nur Herold kann entkommen.

Am Rande eines Waldstücks findet er ein im Straßengraben gestrandetes Wehrmachtsfahrzeug, daneben eine Feuerstelle mit hastig verbrannten Dokumenten. Vom Besitzer ist im Fond des Wagens nur ein Koffer mit persönlichen Gegenständen und etwas Obst zurückgeblieben. Herold restauriert sein Äußeres, zieht die mit zahlreichen Orden versehene Uniform eines Marinehauptmanns an und übt sogleich Posen und Sprache eines Offiziers, der nichts anderes gewohnt ist als Befehle zu geben, ein.

Kleider machen Leute: Als erster fällt der Gefreite Walter Freytag auf die Verkleidung herein. Er macht den Wagen wieder flott und dient Herold als Fahrer. Weitere versprengte Soldaten, die froh sind, wieder einen Offizier gefunden zu haben, der ihnen Befehle erteilt, schließen sich an, zuletzt sogar eine Flak-Einheit mit nur noch zwei Mann.

Im Wirtshaus des nächsten Dorfes treffen sie auf zugeknöpfte Bauern, die Herolds „deutschen Gruß“ nur müde erwidern - wenn überhaupt. Erst als er sich als Offizier ausgibt, der im Auftrag der Partei ermittelt, welche Schäden den Landwirten durch marodierende Soldaten entstanden sind, erklingt das „Heil Hitler!“ so zackig wie vor sechs Jahren und der Wirt Gerd Schnabel lässt Braten mit Kraut und Klößen auftischen. Als die Bauern in der Nacht einen Dieb dingfest machen, muss der falsche Hauptmann Farbe bekennen: er verdient sich sein Abendessen mit einer Hinrichtung ohne Anhörung.

Als sie am andern Tag bei einem Bauern mehrere Deserteure um den Gefreiten Kipinski vorfinden, die etwas vorschnell schon das Ende des Zweiten Weltkriegs feiern, requiriert der falsche Hauptmann kurzerhand alle für das Kommando „Leibgarde Herold“ mit dem Ziel, für den Führer persönlich die Lage hinter der Front zu ermitteln. Als dem Fahrzeug der Sprit ausgeht, scheint die Blase zu platzen: Umstellt von Feldjägern um den Hauptmann Junker soll Herold seinen Marschbefehl vorweisen. Aber er vermag geistesgegenwärtig zu kontern - und Junker, offenbar selbst ein Drückeberger vor der Front, schleppt die „Leibgarde“ in ein KZ-ähnliches Arbeitslager für Defätisten und Deserteure.

Dort schlägt sich der überforderte SA-Führer Schütte mit dem Vertreter der Militärgerichtsbarkeit, Hauptmann Hansen, herum und ist froh, in Herold nun einen Verbündeten zu haben: Standgerichte ohne juristisches Verfahren mit dem Ziel, den heranrückenden Tommys keinen Gefangenen zu überlassen. Schüttes Wachmann Brockhoff lässt Gefangene ohne jedes Gerichtsverfahren gruppenweise erst ihr Massengrab ausheben, bevor sie niedergeschossen werden. Was nur möglich ist, nachdem Schütte, der fest daran glaubt, dass an Hitlers Geburtstag die Wehrmacht zum großen Gegenschlag ansetzt, in Kooperation mit der Gestapo und dem Gauleiter das Einverständnis der höheren Dienststellen in Emden, Wilhelmshaven und Oldenburg eingeholt hat.

Herold verfällt dem Rausch der Macht - und lässt zusammen mit Schütte und dessen attraktiver Gattin Gerda in der Kantine die Puppen tanzen: Schnaps für alle, die an den nervenzehrenden Exekutionen beteiligt sind. Fürs schenkelklopfende Unterhaltungsprogramm sorgen mit Schneider und Roger Kuckelsberg zwei inhaftierte Schauspieler mit Kleinkunst und „Kabarett“ vornehmlich auf Kosten der Juden. Die Front rückt immer näher, als Schütte mit dem Volkssturm auf Fahrrädern ausrückt, um Jagd auf Volksfeinde zu machen. Als sie zurückkommen, steht im Lager kein Stein mehr auf dem anderen - woran nicht nur die vorrückenden Tommys Schuld sind.

Also sucht sich die „Leibgarde Herold“ ein neues Betätigungsfeld - und zieht nun als „Rächer der deutschen Ehre“, als selbsternanntes Schnellgericht durch die Lande. Ein heißer Tanz auf einem längst ausgebrochenen Vulkan beginnt - und endet mit der Verhaftung durch echte „Kettenhunde“. Der falsche Hauptmann Willi Herold muss sich vor einem regulären Kriegsgericht verantworten, dass sich freilich als Farce herausstellt: Längst von der bevorstehenden Befreiung Deutschlands durch die Alliierten überzeugt suchen Richter wie Konteradmiral Weyher (Hendrik Arnst), ein alter Freicorps-Haudegen, aufrechte Männer für die Werwolf-Tätigkeit nach der Kapitulation...

Die auf wahren Ereignissen beruhende todernste Münchhausiade, der erst 21-jährige Willi Herold wird von einem englischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt und am 14. November 1946 hingerichtet, offenbart, wie selbst im Chaos des untergehenden Tausendjährigen Reiches (Führer-) Befehl und bedingungsloser Kadavergehorsam noch funktionieren. Der britische Besatzungsoffizier T.X.H. Pantcheff, der die Gerichtsverhandlung in Oldenburg leitete, schildert die Herold-Geschichte in seinem 1993 herausgekommenen Buch „Der Henker vom Emsland“.

„Der Hauptmann“ weist im letzten Drittel eine farbige Einstellung auf: ein stummer Schwenk über ein Kornfeld, dem einstigen Standort eines Arbeitslagers der Wehrmacht für Deserteure, Plünderer und Defätisten. Nur der Bodenanker eines Schlagbaums kündet heute vom Ort der Verbrechen. Robert Schwentke offenbart die erschreckend simple Manipulierbarkeit von Menschen, die nicht gewohnt sind, ihren eigenen Verstand zu gebrauchen. Ebenfalls in Schwarzweiß gedrehte, als Abspann laufende dokumentarische Bilder zeigen, wie das Filmteam in voller „Schnellgericht Herold“-Montur durch die Fußgängerzone einer Stadt im 21. Jahrhundert fährt und Passanten anmacht. Ganz davon abgesehen, dass das ein alter Hut ist: Was, bitte, soll behauptet oder gar bewiesen werden, was nicht schon jede Comedyshow im Fernsehen mit Fake-Straßenbefragungen über die Dummheit des gemeinen Volkes und die damit verbundene Affinität für Verführer aller Art offenlegt? Free-TV-Premiere war am 8. Mai 2020 auf 3-Sat.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Drehbuch

Ausstattung

Geräusche

Mischung

Toneffekte

Darsteller

Produktionsleitung

Dreharbeiten

    • 10.02.2017 - 12.04.2017: Görlitz, Breslau und Umgebung
Länge:
119 min
Format:
DCP
Bild/Ton:
s/w, Dolby
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 19.12.2017, 173179, ab 16 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (CA): 07.09.2017, Toronto;
Erstaufführung (DE): 22.01.2018, Saarbrücken, Max Ophüls Preis;
Kinostart (DE): 15.03.2018

Titel

  • Originaltitel (DE) Der Hauptmann

Fassungen

Original

Länge:
119 min
Format:
DCP
Bild/Ton:
s/w, Dolby
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 19.12.2017, 173179, ab 16 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (CA): 07.09.2017, Toronto;
Erstaufführung (DE): 22.01.2018, Saarbrücken, Max Ophüls Preis;
Kinostart (DE): 15.03.2018

Auszeichnungen

Bayerischer Filmpreis 2019
  • Bester Nachwuchsdarsteller
Europäischer Filmpreis 2018
  • Bestes Sounddesign
Traverse City Film Festival Michigan 2018
  • Stanley Kubrick Award for Bold Filmmaking
Deutscher Filmpreis 2018
  • Lola, Beste Tongestaltung
Cinepocalypse Genre Film Festival Chicago 2018
  • Bester Film
FBW 2017
  • Prädikat: besonders wertvoll
Film Festival San Sebastián 2017
  • Jurypreis, Beste Kamera