Inhalt
Tim Engels, seine Frau Milena, die Zwillinge Frieda und Jon sowie Milenas Sohn Dio sind eine moderne Familie, die in Berlin unter einem Dach lebt und dabei einen Lebensstil pflegt, der es den einzelnen Familienmitgliedern erlaubt, ihre Leben getrennt voneinander zu führen, selbst wenn sie sich durch die Gemeinschaftsräume ihrer Wohnung bewegen. Als die geheimnisvolle Farrah, die gerade aus Syrien nach Deutschland gekommen ist, als neue Haushälterin dazukommt, gerät dieses Gefüge in Bewegung. Verborgene Gefühle kommen zum Vorschein. Alle machen Erfahrungen, die ihren Blick aufs Leben auf unerwartete Weise verändern und erweitern. Denn Farrah setzt einen Plan in die Tat um, der sie die menschliche Existenz in einer neuen Dimension erleben und begreifen lässt.
Quelle: 75. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Die Engels bestehen aus Vater Tim, der als selbst erklärter Gutmensch wie ein missionarisch weltverbessernder SPD-Abgeordneter redet, aber seine Kohle mit höchst suspekten Greenwashing-Werbekampagnen verdient, aus der emanzipiert-weltoffenen Mutter Milena, die als Projektbetreuerin mit deutschen Geldern gerade irgendwo in der kenianischen Pampa ein Theatergebäude hochzieht und dafür dauernd im Flugzeug nach Nairobi sitzt, aus den gemeinsamen 17-jährigen Zwillingen Frieda und Jon sowie dem Jüngsten, Milenas Sohn Dio. Der aus einer offenbar nur kurzen Beziehung mit dem Kenianer Godfrey stammt, der in Nairobi für die Unesco, die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, arbeitet.
Die Engels, die glatt als Bobo-Familie durchgeht (der Neologismus, der gleichzeitig auch Oxymoron und Akronym ist, setzt sich aus den französischen Wörtern bourgeois und bohémien zusammen), leben naturgemäß in West-Berlin und können sich sogleich eine neue Haushälterin leisten, die frisch aus Syrien gekommene Farrah. Sie hat in Aleppo als medizinische Fachkraft gearbeitet, ist dreisprachig und als empathische Therapeutin dieser dysfunktionalen Familie, in der jedes Mitglied vor allem um sich selbst kreist, völlig überqualifiziert. Farrah spendet den Engels dennoch das titelgebende Licht mit ihrem scheinbar selbstlosen Einfühlungsvermögen für alle Familienmitglieder einschließlich der sich einer Paartherapie unterziehenden Eltern.
Sie zockt mit dem nerdigen Jon, welcher das echte Leben mit dem virtuellen der VR-Brille eintauscht, der sich Essen in sein zugemülltes Zimmer bestellt, das er nur im äußersten Notfall verlässt, und keine Traute hat, eine an ihm interessierte Gamerin real zu treffen. Sie spricht mit der angeblich unter einer Sexstörung leidenden, nun aber schwangeren Frieda, die mit ihrer Clique in angesagten Clubs abhängt und Gefahr läuft, drogenabhängig zu werden. Und sie tröstet Dio, der es seiner Hautfarbe wegen schwer hat in der Schule.
Als Tim seinen gut dotierten Freelancer-Job bei der Werbeagentur verloren hat und das Theater-Projekt in Kenia zu scheitern droht, ist es Farrah, die mit einer an spiritistische Sitzungen erinnernden Séance, bei der flackerndes Stroboskop-Licht zum Einsatz kommt, eine in der Neurologie und Psychotherapie tatsächlich existierende Therapie zur Stimulanz bestimmter Gehirnregionen, die Familie wieder an einem Tisch zusammenbringt – bis Dio aus dem Nebenzimmer das Experiment abrupt beendet.
Apropos Experiment: Nach acht Jahren und vier Staffeln mit der TV-Serie „Babylon Berlin“ ist Autor und Regisseur Tom Tykwer, 1965 in Wuppertal geborener Miteigentümer der Berliner Produktionsfirma X Filme Creative Pool, mit seinem Kinofilm „Das Licht“ in die Gegenwart zurückgekehrt und zu Figuren, die ihm offenbar persönlich sehr nahe sind, indem sie sich der Frage „Wer bin ich?“ stellen. Die mit 162 Minuten viel zu lange, an Metaphern überreiche Melange aus Gesellschaftskritik und (Selbst-) Ironie beleuchtet die zerbrechende Ordnung im linksintellektuellen bürgerlichen Milieu mit ungewöhnlichen Extempores (Tanz, Gesang) und einer Vielfalt an bildkünstlerischen Mitteln (animierte Sequenzen, VR-Gaming).
Mir scheint, „Das Licht“ ist vor allem Tom Tykwers eigener Befreiungsschlag von den Zumutungen einer schier nicht enden wollenden, weil höchst erfolgreichen konventionellen Bildschirm-Serienproduktion. Was der Regisseur offenbar auch so sieht im X-Verleih-Presseheft: „Ja, nach einer ziemlich langen Zeit, die ich mit ‚Babylon Berlin‘ in den 20er Jahren verbracht habe, wollte ich mich endlich wieder unserer Gegenwart zuwenden. In ‚Das Licht‘ wird gestritten, gerungen und gekämpft, aber es wird auch gelacht, gesungen und getanzt. Der Film will das Spektrum der Gefühle und die entsprechenden erzählerischen Möglichkeiten herausfordern. Und die Figuren sind mir sehr vertraut. So will ich versuchen, ihre Zerrissenheit und gleichzeitige Verbundenheit für das Publikum zu spiegeln und spürbar zu machen.“
Pitt Herrmann