Inhalt
Annegret Simon ist neu im Altersheim. Sofort wird Herr Tiedgen auf sie aufmerksam, der ebenso wie Annegret nichts vom langweiligen Heimalltag hält. Denn der besteht nur noch aus Bewegungstherapie, Chören und Lesenachmittagen. Auf ihre alten Tage noch etwas erleben anstatt im Altersheim zu versauern – das ist es, was die Bewohner der Seniorenresidenz wollen. Die Möglichkeit dazu bietet sich, als sie eines Tages zu einem Rundflug in einem alten Flugzeug eingeladen werden: Auch um Annegret zu imponieren, schlüpft Tiedgen ins Cockpit und übernimmt die Rolle des Kapitäns. Kurzerhand ist das Flugzeug gekapert, auf dem Weg ans Mittelmeer und damit in die Freiheit. Doch dann geht der Treibstoff aus…
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„Am Ende geht alles in eine Reisetasche, das ganze Leben“: Annegret Simon hat sich für ihren letzten Lebensabschnitt eine andere Umgebung vorgestellt. Aber Sohn Friedhelm tritt einen Job bei den Vereinten Nationen in New York an, dorthin kann sie ihn und ihre Schwiegertochter Sybille nicht begleiten. „Wenn die Sonne scheint, ist das bestimmt ganz toll hier“: Gut gemeint von ihr, aber noch nicht einmal ein schwacher Trost. Auch Tiedgen kann sie zu nächtlicher Stunde nicht wirklich aufmuntern. Dafür geht es bei Schwester Amelie ganz handfest zu. Und weil ihr Staatsbeamter etwas zu hastig die Hosen hat fallen lassen, kann Tiedgen die Pistole des Polizisten an sich nehmen. Steht am anderen Morgen doch ein Rundflug über Brandenburg auf dem Heim-Programm – und er wollte schon immer 'mal ans Meer auf seine alten Tage. Warum nicht die Gelegenheit beim Schopf ergreifen – aber bitte mit den eigenen Beißerchen, wie er seinem temporären Zimmergenossen erbost deutlich macht: „Wenn Sie mit Ihren Zähnen unzufrieden sind, wechseln Sie den Zahnarzt, nicht die Zähne!“
Es ist schon eine illustre Truppe, die Schlepper und sein junger Kopilot Mittwoch neben Tiedgen, Stronz und Simon an Bord der klapprigen JU 52 nehmen: Da ist zunächst der gutmütige Klaussner, der sich sehr um die frühere Schauspielerin Fanny De Artong bemüht, welche ihrer Schwester Hanni das Leben im „Abendstern“ schwer macht, zumal diese selbst ein heimliches Auge auf Klaussner geworfen hat. Dann die auf den Rollstuhl angewiesene Margarete Tetzner, deren Augen auch nicht mehr die besten sind. Und schließlich, nomen est omen, das streitsüchtige Ehepaar Evelyn und Herbert Miesbach, das dreimal voneinander geschieden war und doch immer wieder aufs Neue geheiratet hat - und sich immer noch selbst im Weg steht, ob im Heim-Doppelbett oder hintereinander an Bord der rumpelnden Junkers-Propellermaschine.
„Leben jeden Tag, als ob es der letzte wär', das mache ich jetzt“: Tiedgen kapert kurzerhand die „alte Tante Ju“, die es mit dem letzten Tropfen Kerosin so gerade noch bis Schwechat schafft. Weil der russische Präsident zum Staatsbesuch in Wien erwartet wird, gelingt der kleine Zwischenstopp zum allseitigen Auftanken, der Vie-Caterer serviert Tafelspitz und Kaiserschmarrn, völlig problemlos: Eine kleine schauspielerische Einlage Fannys reicht aus, damit es rasch weitergehen kann – über die Alpen in den sonnigen Süden. In das Land, wo die Zitronen blühen. Das sich dann zwar statt des sizilianischen Sandstrandes als kleine griechische Felseninsel entpuppt, auf der es auch noch regnet. Aber bald scheint wieder die Sonne und die Gastfreundlichkeit der Menschen in der zuletzt arg gebeutelten Wiege unserer europäischen Zivilisation lässt Träume wahr werden: Evelyn Miesbach zieht nichts mehr zurück in den „Abendstern“, ihr Gatte schon gar nicht. Der hat wenigstens an die Ausweise und die Kreditkarten gedacht. Die Athener Nachrichten senden derweil, live aus Manhattan, eine persönliche Botschaft des Botschafters Dr. Friedhelm Simon an seine Mutter, um sie sich jedoch längst Tiedgen kümmert - mit beiderseits wachsender Begeisterung...
Bernd Böhlich ist mit „Bis zum Horizont, dann links!“ eine charmante Geronto-Komödie gelungen nach dem Sponti-Motto aus der Zeit, in der wir alle noch jung waren: Du hast keine Chance, also nutze sie! Die Story ist eine ziemlich vorhersehbare Aneinanderreihung von Klischees. Aber durchsetzt von frechem Dialogwitz und gepusht von skurrilen Gags. Die zwischendurch auch Raum geben für leisere, zu Herzen gehende Töne, sogar für stumme Momente stillen Einverständnisses. Florian Foest hat herrliche Sehnsuchtsbilder vom Überflug über die Alpen beigesteuert. Das aber ist alles nichts gegen ein anarchisch-spielfreudiges Ensemble, hochkarätig besetzt bis in die kleinsten Episodenrollen wie etwa Steffen „Shorty“ Schult als Polizist.
71 Jahre jung ist Angelica Domröse, die bei ihrem Leinwand-Comeback nach zehnjähriger Abstinenz tapfer gegen die eigene Krankheit ankämpft und so in kongenialer Weise eine endgültig aufs Altenteil abgeschobene Frau verkörpert, die sich keine Illusionen macht und gerade deshalb auf sich hält. Obwohl die 1941 in Berlin geborene Defa-Legende, die nach ihrer Übersiedlung aus der DDR in Folge der Ausbürgerung Wolf Biermanns auch am Schauspielhaus Bochum auf den Brettern stand, mit Annegret Simon wenig gemein hat. „Sie ist so ein kleines Segelschiff, das gar nicht weiß, wohin“ charakterisierte Angelica Domröse die von ihr verkörperte Figur im Gespräch mit Christina Bylow für die „Berliner Zeitung“: „Ich erkenne mich manchmal gar nicht und denke: Nehmt die arme Frau in den Arm, sonst springt die mal vom Dach.“
Was der Otto Sander dann ja auch übernimmt. Man kann sich an seinem und den Gesichtern seiner Kollegen Ralf Wolter, Herbert Köfer und Tilo Prückner schier nicht sattsehen. Und das reicht völlig aus, um eine Kinokarte zu lösen. Bernd Böhlich im Presseheft über seine am 4. Mai 2012 beim 22. Filmkunstfestival Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin uraufgeführte Komödie: „‘Bis zum Horizont, dann links! handelt von Menschen, denen niemand mehr etwas zutraut, die abgeschoben wurden in ein Seniorenheim, damit sie dort ihren Lebensabend ‚genießen‘ können. Und der Film handelt von Menschen, die sich aufmachen, die etwas erleben wollen, die wieder spüren wollen, was es heißt, lebendig zu sein, was es heißt ein Ziel zu haben und es auch zu erreichen, wenn auch mit unorthodoxen Mitteln. Doch seine Helden sind alte Menschen. Und genau das macht diesen Film so attraktiv.“
Pitt Herrmann