Inhalt
Verfilmung des gleichnamigen Romans von Judith Kerr. Deutschland, 1933: Die kleine Anna Kemper lebt mit ihrer Familie in Berlin. Da ihr Vater, ein berühmter Theaterkritiker, offener Gegner der Nationalsozialisten ist, muss er nach Hitlers Machtübernahme nach Zürich flüchten. Die Mutter, Anna und ihr zwölfjähriger Bruder folgen ihm bald nach. Weil kaum Zeit für die Vorbereitung der Flucht bleibt, muss Anna in der Eile ausgerechnet ihr geliebtes Stoffkaninchen zurücklassen. Doch auch in der Schweiz findet die Familie keine dauerhafte Bleibe und sieht sich gezwungen über Paris nach London zu fliehen. Immer wieder muss sich Anna den sich ständig ändernden Umständen anpassen, ist mit ihrer Familie vor immer neue Herausforderungen gestellt und vor allem mit großen Entbehrungen konfrontiert. Trotzdem versucht Anna, den Mut nicht zu verlieren.
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Onkel Julius, ein im Zoo tätiger Naturwissenschaftler, hält das alles für übertrieben und pflichtet Max bei: „Wenn die Nazis uns nicht mögen, dann sind sie doch bestimmt froh, uns loszuwerden.“ Doch dann brennt der Reichstag und am Tag vor dem befürchteten Wahlsieg der NSDAP reisen die drei über Stuttgart in die eidgenössische Republik. Anna vertreibt sich die Zeit mit der Lektüre des Buches „Sie wurden berühmt“ und stellt fest, dass es all' den Berühmtheiten in ihrer Jugend schlecht ergangen war. Sie hatten alle eine besonders schwere Kindheit gehabt, weshalb Anna zu der festen und für sie enttäuschenden Überzeugung gelangt, niemals berühmt zu werden. In Zürich werden sie von Papa abgeholt, der Zimmer im besten Hotel der Stadt reserviert hatte in der Hoffnung, im deutschsprachigen Teil der Schweiz Arbeit zu finden. Doch die Blätter der neutralen Schweiz wollten es sich mit Hitler-Deutschland nicht verderben.
Umzug in ein einfaches, billigeres Gasthaus am Zürichsee. Das Wirtsehepaar Zwirn hat drei Kinder, von denen Vreneli (Hannah Kampichler) bald Annas beste Freundin wird. Während Max zur höheren Knabenschule in Zürich fährt, besucht Anna mit den Zwirnschen Kindern die Dorfschule. Die Großstadtkinder blühen in der naturnahen Umgebung Zürichs förmlich auf. Als Onkel Julius zu Besuch kommt und davon berichtet, dass man auch Papas Bücher öffentlich verbrannt und viele gemeinsame Freunde verhaftet hat, sind das für sie Nachrichten aus einer fernen, vergangenen Welt. An Annas zehntem Geburtstag bringt Papa Paris ins Gespräch: „Wenn die Schweizer nichts von dem, was ich schreibe, drucken wollen, weil sie Angst haben, die Nazis jenseits der Grenze zu verärgern, dann können wir genauso gut in einem ganz anderen Land leben.“
Anna hat sich zwar noch nicht ganz daran gewöhnt, ein Flüchtling zu sein und nicht zu wissen, wann oder ob überhaupt eine Rückkehr in die Heimat möglich ist. Aber es kommt ihr andererseits auch schön und abenteuerlich vor, kein festes Zuhause zu haben. Weil: Wer einmal berühmt werden will, muss eine schwere Kindheit gehabt haben. Nun fühlt sie sich auf dem besten Wege dahin: Papa kann für die gerade gegründete deutschsprachige „Pariser Zeitung“ schreiben und so ziehen die Kempers in eine kleine möblierte Etagenwohnung unterm Dach eines Hauses, das recht zentral zwischen dem Eiffelturm und dem Triumphbogen liegt. Und von einer, wie sich freilich erst viel später herausstellt, antisemitischen Concierge, Madame Prune, betreut wird. Mitbewohnerin ist mit Grete Hader eine österreichische Studentin, die in Paris Französisch lernen will und Mama Dorothea bei der Hausarbeit unterstützen soll. „Es ist mir wirklich ganz gleich“, sagt Anna am anderen Morgen am Frühstückstisch, „wo wir sind, solange wir nur alle zusammen sind.“
Nun müssen die Geschwister freilich Französisch lernen: Max kommt auf ein Lycee, eine höhere Schule für Jungen, Anna auf eine kleine ecole communale an einer Seitenstraße der Champs Elysees. Auf dieser „Ecole de filles“ findet sie nicht nur mit Madame Socrate (Marie Goyette) eine verständnisvolle Lehrerin, sondern mit Colette (Chammas Viktoria) eine gleichaltrige Freundin. Anna hat größte Probleme mit der Sprache, bemerkt aber auch, wie lange sie schon nicht mehr mit anderen Kindern gespielt hat: „Es war herrlich, wieder in die Schule zu gehen.“ Max entwickelt einen besonderen Ehrgeiz, was die Sprache, aber auch das Outfit betrifft. „Du siehst genau aus wie ein französischer Junge“: das Lob seiner Schwester zaubert ein Lächeln in sein sonst verbissen-ernstes Gesicht. Im Frühling hebt sich die Stimmung: Anna und Max fühlen sich wohl in Paris. Und in der französischen Sprache, die sie nun fast perfekt beherrschen. Zumal Papa in der Synagoge Robert Stein getroffen hat. Den „talentlosen“ Berliner Regisseur hat der Kritiker zwar mehrfach bis an die Grenze zur persönlichen Beleidigung verrissen, erhält aber doch von ihm eine freundliche Einladung zum Tee. Am reichhaltig gedeckten Tisch entwickelt sich besonders zwischen den beiden Frauen, Rebecca Stein ist eine begnadete Pianistin, eine Freundschaft.
Am 14. Juli feiern alle den Jahrestag der Französischen Revolution – mit Essen und Trinken, Tanz und Musik bis zum frühen Morgen. Anna bereitet sich im neuen Schuljahr auf das „certificat d'etudes“ genannte Examen vor, das sie an einem heißen Julitag des Jahres 1935 mit Auszeichnung besteht, während gleichzeitig ihr Bruder den „prix d'excellence“ als bester Schüler der Klasse gewonnen hat. So könnte es also weitergehen, aber es ziehen dunkle Wolken am blauen Pariser Sommerhimmel auf: die allgemeine Wirtschaftskrise hat sich auch auf Papas Verdienstmöglichkeiten negativ ausgewirkt. Arthur setzt nun auf ein Filmmanuskript über Napoleons Mutter, doch kein französischer Produzent zeigt Interesse. Aber ein in London lebender ungarischer Regisseur bietet tausend Pfund: die britische Metropole zu viert ist nun keine Vision mehr...
Caroline Link hat sich bei ihrer Adaption eng an die Vorlage gehalten – mit zwei Ausnahmen. Ursula Werners Rolle der Haushälterin Heimpi ist zu einer Identifikations-Figur aufgewertet und der übrigens weitgehend in Prag gedrehte Paris-Teil der Vorlage, der etwa die Hälfte der 230-seitigen Romanvorlage einnimmt, ist stark zusammengestrichen worden. Judith Kerr hat den Film leider nicht mehr sehen können: Sie starb am 22. Mai 2019 im Alter von 95 Jahren. Ihr Geburtsname lautete Judith Kempner, den ihr Vater, der berühmte und gleichzeitig gefürchtete Theaterkritiker Alfred Kerr, erst später ändern ließ. Die Verfilmung des 1971 bei Collins in London erschienenen Romans „When Hitler Stole Pink Rabbit“ setzt einige so im Roman nicht vorkommende Ausrufezeichen. Etwa wenn sich die „dramatische kleine Person“ Anna auf einer Faschingsveranstaltung mit Hitlerjungen prügelt und von ihrem älteren Bruder im wahren Wortsinn herausgehauen wird.
Der Schweizer Zwischenaufenthalt ist vor allem ein optisches Vergnügen durch grandiose Landschaftsaufnahmen der Kamerafrau Bella Halben – und ein akustisches durch das bisweilen sogar hochdeutsch untertitelte Schwyzerdütsch. Der Film lebt natürlich von der Hauptdarstellerin: die zehnjährige Newcomerin Riva Krymalowski begeistert mit selbstverständlicher Souveränität. Sie besucht die gleiche Grunewalder Grundschule wie einst Judith Kerr und kannte wie ihre Familie schon vor dem Cast die um „Warten bis der Frieden kommt“ und „Eine Art Familientreffen“
komplettierte autobiographische Roman-Trilogie und die Lebensgeschichte der Autorin.
Pitt Herrmann