Am heutigen Abend wird die 42. Duisburger Filmwoche eröffnet. Bis 11. November sind beim Festival des deutschsprachigen Dokumentarfilms 23 Filme und ein vielseitiges Rahmenprogramm zu sehen.
Zwei Beiträge kommen aus Österreich, drei aus der Schweiz, drei Filme werden als Uraufführung, vier als deutsche Erstaufführung zu sehen sein. Das Festival findet unter dem Motto HANDELN statt. Das für die Filmauswahl nicht maßgebliche Motto konnotiert, dass die Filmwoche an intervenierenden Bildern interessiert ist und sich weniger als Marktplatz für Bilder versteht.
In ihrem 42. Jahr setzt die Filmwoche die Tradition ihres einzigartiges Formats fort—keine Parallelvorführungen, eine Stunde Diskussion mit dem Filmemacher nach dem Film—und präsentiert ein sorgfältig kuratiertes Programm. Die bekannten, manchmal gefürchteten Diskussionen der Filmwoche werden protokolliert und anschließend zum Nachlesen veröffentlicht.
Die 42. Duisburger Filmwoche wird die letzte sein, die Werner Ružička als Festivalleiter verantwortet. Damit verlässt eine prägende Persönlichkeit der deutschen Film- und Festivalgeschichte nach 34 Jahren als Festivalleiter die Duisburger Bühne. Ružička hat die deutsche Dokumentarfilm- und Festivallandschaft, hat Duisburg und die Filmwoche geprägt. Der Verband der Deutschen Filmkritik hatte diese Zäsur auf der diesjährigen Berlinale bereits im Blick, als er Ružička mit dem Ehrenpreis ehrte.
Viele der diesjährigen Filme thematisieren die Öffentlichkeit, ihr Entstehen und die Entwicklung von Meinungen und Haltungen in dieser Öffentlichkeit. Sie fragen weniger nach verbindlichen Wahrheiten, sondern untersuchen die Strukturen und Sprechweisen, in denen diese zustande kommen. So zeigt etwa Dieter Fahrers "Die vierte Gewalt" die Veränderungen im Schweizerischen Journalismus und die Folgen eines Wechsels von Leser- zu Useransprache. Auch Marie Wilkes "Aggregat" zeigt Veränderungen im öffentlichen Reden: Im Infomobil, in Konferenzräumen und Kneipen, auf Demonstrationen und in Redaktionen geht sie der Veränderung des Tons, dem Ruck nach rechts in Deutschland nach. Zwei unserer Filme geben dem Interesse an Öffentlichkeiten eine historische Wendung und zeigen darin die Wiedervorlagequalität des Dokumentarfilms auf: Während Kristina Konrad in "Unas Preguntas" Aufnahmen eines Schweizer Fernsehteams montiert, die ein Uruguay Ende der 80er zeigen, das sich gerade von einer Militärdiktatur befreit hat und über Straffreiheit für die Schergen des alten Regimes diskutiert, sehen wir in Ruth Beckermanns "Waldheims Walzer" ein Österreich, das sich ebenfalls Ende der 80er Jahre anhand der Wahl Waldheims zum Bundespräsidenten in eine nationale Erregung und eine öffentliche Diskussion über die eigene Rolle im Nationalsozialismus verstrickt. Adnan Softics "Bigger Than Life" und Sergei Loznitsas "Den' Pobedy" untersuchen unterdessen, inwiefern Historie beim Gedanken an sie erst entsteht—Softic anhand der Geschichtskitscharchitektur in Skopje, Loznitsa anhand der Festlichkeiten am Sowjetischen Ehrendenkmal im Treptower Park. Andreas Goldsteins "Der Funktionär" wendet diese Thematik ins Familiäre, wenn er das öffentliche Gebaren seines Vaters Klaus Gysi in der DDR als choreographiertes Verhalten beschreibt, seine Rolle als Vater als eine auf Probe. Gerd Kroskes "SPK Komplex" ist zwar am Aufdecken eines weniger bekannten Kapitels der deutschen Geschichte interessiert—dem Sozialistischen Patientenkollektiv (SPK), dass 1970 im Deutschen Spätsommer psychische Krankheit als Leiden am System begriff, zeichnet aber vor allem den Weg der damals Beteiligten als Konsequenz einer geteilten, polarisierten Öffentlichkeit nach.
Mit "Familienleben" von Rosa Hannah Ziegler sowie "Lucica und ihre Kinder" von Bettina Braun zeigt das Festival Filme, die sich für Menschen am Rande der Gesellschaft interessieren—im Falle der beiden Filme Familien. "Draußen" von Johanna Sunder-Plassmann und Tama Tobias-Macht widmet sich derweil obdachlosen Männern und zeigt, inwiefern ihre Habseligkeiten Geschichten erzählen. Personen und Landschaften am Rande, auch am Rande großer Erzählungen, zeigen auf ganz unterschiedliche Weise die Filme "Game Girls" von Alina Skrzeszwska und "Barstow, California" von Rainer Komers. Skrzeszwska zeigt uns ein afroamerikanisches, lesbisches Paar im Obdachlosenbezirk L.A.s, das erratisch und in Rage, aber auch zärtlich die Hoffnung auf eine Zukunft mit besseren Problemen lebt. Komers dagegen zeigt in "Barstow, California" die Brache des amerikanischen Mythos: Er erzählt die Geschichte eines Häftlings anhand der Bilder eines kleinen Orts in der kalifornischen Wüste, den dieser nie wieder sehen wird.
Weitere Themen sind die Beziehung zur Natur— "Walden" von Daniel Zimmermann, "Seestück" von Volker Koepp und "Becoming Animal" von Peter Mettler und Emma Davie— und das Thema Flucht und Ankunft—"27. Februar" von Marie-Thérèse Jakoubek und "Nachbarn" von Pary El-Qalqili und Christiane Schmidt.
Als Eröffnungsfilm zeigt das Festival "Kulenkampffs Schuhe" von Regina Schilling — ein Fernsehfilm mit Kinoformat. Der Film ruft Erinnerungen wach an Samstagabende mit vom Wirtschaftswunder ermatteten Eltern vor den Empfängern: Kulenkampff, Alexander und Rosenthal sind so alt wie Papa. Sie bieten neuartige Zerstreuung, kleinbürgerliche Selbstvergewisserung, Therapie für ein Land in Amnesie. In Versprechern, Unbeholfenheiten, Subtilitäten wiegt die beschwiegene Vergangenheit gleichwohl schwer auf der leichten Unterhaltung und ihren Zuschauern. Deutsche Geschichte anhand der Geschichte dreier Showmaster und der Familie der Filmemacherin—die Themen der Öffentlichkeit, der Familie und der Konstruktion von Geschichtsbewusstsein in einem würdigen Eröffnungsfilm.
Quelle: www.duisburger-filmwoche.de