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Alle Fotos (4)Biografie
Sergei Loznitsa wurde am 5. September 1964 in Baranowitsch in Weißrussland (damals Sowjetunion) geboren und wuchs in Kiew auf. Er studierte Angewandte Mathematik und arbeitete ab 1987 als Ingenieur am Institut für Kybernetik in Kiew. Daneben war er als Übersetzer für Japanisch tätig. Zu dieser Zeit erwachte auch Loznitsas Leidenschaft für den Film. Im Jahr 1991 zog er schließlich nach Moskau, wo er an der staatlichen Filmhochschule, dem Gerassimow-Institut für Kinematographie (WGIK), Regie studierte. Bereits für seinen ersten studentischen Kurz-Dokumentarfilm "Sewodnja my postroim dom" ("Heute bauen wir ein Haus", 1996), über die Errichtung eines Hauses in Russland, erhielt er mehrere internationale Auszeichnungen, darunter die Goldene Taube beim DOK Leipzig Festival sowie die Dokumentarfilmpreise der Internationalen Filmtage Augsburg und des Potsdamer Studentenfestivals Sehsüchte.
Nach seinem Studienabschluss realisierte Loznitsa am Dokumentarfilmstudio (SPSDF) im russischen Sankt Petersburg mehrere preisgekrönte Kurz-Dokumentarfilme. Darin porträtierte er konkrete Orte, etwa den Wartesaal eines russischen Bahnhofs in "Polustanok" ("Haltepunkt", 2000) oder gesellschaftliche Gruppen, etwa Bewohner der russischen Provinz in "Portret" (2002). Schon damals zeichneten sich seine Filme durch einen rein beobachtenden Stil und den kompletten Verzicht auf Interviews und Off-Kommentare aus.
Mit "Posselenije" ("Die Siedlung", 2001), über eine Gemeinschaft von Geisteskranken, drehte er seinen ersten abendfüllenden Dokumentarfilm. Zur gleichen Zeit, im Jahr 2001, siedelte Loznitsa mit seiner Frau nach Deutschland über. Trotzdem realisierte er weiterhin Filme in Russland, darunter "Blokada" ("Blockade", 2005), über die Blockade Leningrads im Zweiten Weltkrieg.
Sein Spielfilmdebüt gab Loznitsa mit "Mein Glück" (DE/UA/NL 2010), einem bitteren, sozialkritischen Drama über einen russischen Fernfahrer, der angesichts von Korruption, Unrecht und Verbrechen selbst kriminell wird. "Mein Glück" lief im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes und erhielt beim Tallinn Black Nights Film Festival den Preis für den Besten Film. Auch sein zweiter, international koproduzierter Spielfilm "Im Nebel" (2012) wurde in den Wettbewerb von Cannes eingeladen. Das 1942 spielende Drama über einen russischen Arbeiter, der von Partisanen der Nazi-Kollaboration verdächtigt wird, erhielt dort den FIPRESCI-Preis und beim Odessa Filmfestival den Preis als Bester Film.
Nach zwei kurzen Dokumentarfilmen stellte Loznitsa bei den Cannes Filmfestspielen 2014 seinen langen Dokumentarfilm "Maidan" (UA/NL) vor: Dafür filmte er die anhaltenden Proteste am Kiewer Maidan im Winter 2013/14, die schließlich zum Sturz des ukrainischen Ministerpräsidenten Wiktor Janukowytsch führten. "Maidan" lief auf zahlreichen Festivals in aller Welt und erhielt unter anderem den Filmpreis der Menschenrechte beim Nuremberg International Human Rights Film Festival (NIHRFF). Ebenfalls 2014 in Cannes wurde der Omnibusfilm "Ponts de Sarajevo" uraufgeführt. Darin warfen 13 internationale Regisseurinnen und Regisseure (u.a. Jean-Luc Godard und Angela Schanelec) einen sehr persönlichen Blick auf die Stadt Sarajevo, auf ihre historische Entwicklung und ihre Bedeutung in der Gegenwart.
Anschließend drehte Loznitsa den kurzen Dokumentarfilm "The Old Jewish Cemetery" (NL 2015), über einen Park in einer verlotterten Gegend Rigas, auf dessen Areal sich einst der jüdische Friedhof befand. Beim Venedig Film Festival 2015 feierte sein nächster langer Dokumentarfilm Premiere: In "Sobytie" ("The Event", NL/BE 2015) vermittelt er durch geschickt montierte Archivaufnahmen seine persönliche Sicht auf die Hintergründe und Folgen des Augustputsches 1991 in Moskau. Vom russischen Filmkritikerverband erhielt "The Event" die Auszeichnung als Bester Dokumentarfilm des Jahres.
Auch Loznitsas nächster Dokumentarfilm "Austerlitz" (2016) wurde in Venedig uraufgeführt. Darin beobachtet er die Besucher einer KZ-Gedenkstätte und versucht (ohne Gespräche oder Interviews) die Frage zu ergründen, was Menschen dazu bewegt, ihre Freizeit an einem solchen Ort zu verbringen. Beim DOK Leipzig Festival wurde "Austerlitz" im November 2016 mit dem Hauptpreis, der Goldenen Taube, ausgezeichnet. Im folgenden Dezember startete er in den deutschen Kinos.