Die Trickabteilung

Dem kleinen Muck wachsen Eselsohren, der Teufel vom Mühlenberg verwandelt sich in einen Felsen, drei riesige Hunde bewachen den Schatz im Feuerzeug und im kalten Herz spielt das kleine Glasmännlein neben dem großen Holländer-Michel. Die Spezialeffekte aus den DEFA-Märchen haben nicht nur die Kinder von damals verzaubert. Was heutzutage zumeist am Computer entsteht, war zu dieser Zeit mühevolle Handarbeit.

Quelle: DIF, © DEFA-Stiftung
Szene aus "Die Geschichte vom kleinen Muck"

Manufaktur Kunstmann
Der Kameramann Ernst Kunstmann entwickelte die Trickabteilung der DEFA mit seiner individuellen Arbeitsweise zur Manufaktur. Jeder Effekt war speziell auf den jeweiligen Film zugeschnitten. Zu den damaligen Aufträgen gehörten Modellaufnahmen, Rück- und Diaprojektionen sowie Arbeiten an der optischen Kopiermaschine und der optischen Bank. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Kunstmann am Titeltrick für sowjetische Filme, 1947 wurde er zum festen Mitarbeiter der DEFA. Seine Spezialität: Trickkombinationen als Zusammenführung von Spiegeltrick und Vorsatzmodellen. Gemeinsam mit Eugen Schüfftan, bei dem er in Ufa-Zeiten lernte, entwickelte er das Spiegeltrickverfahren zur Kombination von realen Objekten und Modellen.

Den Alltag im Trickgeschäft stellten Modellbauten für Hintergrundkulissen dar, um Baukosten einzusparen. Weniger ökonomische Gründe galt es bei Kinderfilmen zu beachten. Bei den phantasievollen DEFA-Märchenfilmen konnte sich die Trickabteilung vielmehr richtig austoben, sie bildeten die Ausnahme und damit einen Höhepunkt im Alltagsgeschäft. So gab es im Film "Das kalte Herz" (1950) von Paul Verhoeven 81 Einstellungen, die Trick erforderten: Modellaufnahmen, optische Einbelichtungen sowie Spiegel-, Bau- und Linsentricks. Besonders reizvoll waren die vielen Verkleinerungen des Glasmännleins und demgegenüber die Vergrößerungen des Holländer-Michel. Der Film "Das singende, klingende Bäumchen" wurde 1957 zur Überbrückung der lichtarmen Wintermonate ausschließlich im Atelier gedreht und bot zahlreiche Spezialeffekte: Ein Prinz verwandelt sich in einen Bären, ein Pferd wird versteinert, ein See friert in Sekundenschnelle zu und ein rauschender Wasserfall erstarrt zu Eis. Zu dieser Zeit bestand das Atelier Kunstmann aus ihm selbst, einem Bühnenarbeiter, einem Kameraassistenten und seiner Tochter Vera Kunstmann, die insgesamt elf Jahre an seiner Seite arbeitete.

Quelle: Vera Futterlieb
Ernst Kunstmann am Set mit Tochter Vera

Die Gründung der Abteilung Tricktechnik
1963 übergab Kunstmann den Stab an Kurt Marks, der zuvor drei Jahre lang bei ihm gelernt hatte. 1964 gründete dieser aus der Arbeitsgruppe "Rückprojektion, Modelltrick- und Blendetechnik" die Abteilung Tricktechnik. Eine technische Innovation bei den optischen Tricks brachte der Kauf der optischen Trickkopiermaschine 35 mm/70mm OXBERRY – ein Versuch, den internationalen Anforderungen nach modernen Gestaltungsmöglichkeiten im Film gewachsen zu sein. Unter Marks begann außerdem die Science-Fiction-Ära mit den Filmen "Signale – ein Weltraumabenteuer" (1969/70) und "Eolomea" (1971/72). Stanley Kubricks "2001 – Odyssee im Weltraum" aus dem Jahr 1968 spielte dabei eine besondere Rolle für die Weiterentwicklung der DEFA-Spezialeffekte: Man analysierte die Tricks im Kino, um sie mit den eigenen Mitteln nachzubauen.

Animationsversuche unter Erich Günther
Die Trickabteilung zählte um 1978 acht bis zehn Mitarbeiter, und mit dem Erwerb eines 35mm-Tricktisches sowie kleiner Rückprojektion konnten erstmals reale Szenen mit Zeichentrickvorlagen kombiniert werden. Marks Nachfolger Erich Günther widmete sich dem Kombinationsfilm, der Animations- und Realfilm verband: Im Film "Hans Röckle und der Teufel" (1973/74) beispielsweise schneidert eine Schere selbstständig ein Kleid. Dies wurde in Stop Motion realisiert, das heißt für eine Sekunde Film wurden 24 Einzelphasen bewegt und fotografiert. Im Kinderfilm "Konzert für Bratpfanne und Orchester" schuf Günther 1975/76 mithilfe dieses Verfahrens aus dem Modell einer Teekanne eine kleine Persönlichkeit mit vielen Bewegungsmöglichkeiten. Gerade jene Wünsche, die spezielle und neue Lösungen erforderten, sorgten für eine stetige Weiterentwicklung der Trickabteilung. "Das Schulgespenst" beispielsweise war 1986/87 eine in sich variable Flachfigur, deren Animation neun Monate in Anspruch nahm. Erich Günther baute dafür einen Spiegelkasten in den man halbdurchlässige- sowie Vollspiegel einsetzen konnte. Er kombinierte die Erfahrungen von Guido Seeber, Eugen Schüfftan und Ernst Kunstmann. Der Spiegel als Hilfsmittel war immer schon ein unentbehrlicher Begleiter gewesen.

Quelle: DIF, © DEFA-Stiftung
Szene aus "Signale - Ein Weltraumabenteuer"

Die digitale Wende
Mit der politischen Wende zum Ende der 1980er Jahre ging auch eine zweite einher: Das digitale Zeitalter überrollte die Trickabteilung, die noch immer mit den konventionellen und traditionsreichen Verfahren arbeitete. Im Sommer 1989 versuchte die DEFA mit einem internationalen Treffen von Filmtrickspezialisten aus Moskau, Prag, Bratislava, Sofia und der BRD eine vorsichtige Öffnung zum internationalen Geschehen. Zum Zeitpunkt des Mauerfalls zählte die Abteilung unter Uwe Fleischer 40 Mitarbeiter. Es gab viele Aufträge für Titelgestaltungen, Zeichentrick, Puppentrick, optische Tricks sowie Spezialaufnahmen. Im letzten DEFA-Film "Novalis – Die blaue Blume" von 1993 waren die Glasmaler und Modellbauer noch einmal gefragt.
Nach Übernahme des Betriebes durch CPI (Compagnie Immobiliére Phénix), eine Tochterfirma des französischen Mischkonzerns CGE (Compagnie Générale des Eaux), erklärte der neue Geschäftsführer Volker Schlöndorff jedoch, das damalige Trick- und Grafikzentrum der DEFA finde keinen Platz in der Struktur des neuen, marktorientierten Studio Babelsberg. Für das alte Haus 5 wurde eine digitale OXBERRY aus Amerika importiert, die eine neue Zeit im Filmtrick einleitete. Von den traditionellen Filmtricks sind heute Technologien zur perspektivischen Vereinigung, die Glasmalerei und das Vorsatzmodell sowie die Arbeit mit klassischen Modellen geblieben.