Inhalt
In den Berliner Nachkriegswirren von 1948 wird die junge Katharina Zernik vom Frauenmörder Retzlaff in den Wald gelockt, erwürgt und mit Salzsäure entstellt. Im sowjetischen Sektor nimmt der neu eingestellte Inspektor Kramm die Ermittlungen auf. Er versucht mit westlichen Kollegen zu kooperieren, was sich aufgrund der immer noch provisorischen Situation der Polizei als schwierig erweist: Ein Präsidium für die drei Westsektoren wird gerade erst errichtet. Während übergeordnete Instanzen sich noch um Zuständigkeiten streiten, müssen weitere Opfer dran glauben. Retzlaff holt sich dreist Wertgegenstände aus Katharinas Wohnung und hinterlässt dabei allzu deutliche Spuren. Schließlich kann Kramm ihn in einem Hotelzimmer stellen.
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Ein Reichsbahner nähert sich einer jungen Frau, deren Hamstertour-Ziel Bernau ist und die mit anderen im Abteil darüber diskutiert, ob es nicht einträglicher wäre, von dort aus mit dem Bus weiter ins Biesental zu fahren. Er gibt ihr hinter vorgehaltener Hand einen angeblichen Geheimtipp weiter: In einer einsam gelegenen Gärtnerei, zu der er selbst unterwegs sei, gäbe es im Tausch für Wertsachen noch alles, was in Berlin so dringend benötigt würde. Sie müsste dann freilich bereits in Buch aussteigen.
Die junge, alleinstehende Witwe, die, wie sich später herausstellt, Katharina Zernik heißt und in Zehlendorf wohnt, verabredet sich mit dem vertrauenserweckenden Uniformierten auf einem Feldweg unweit der Bahngleise. Es ist Erwin Retzmann, dem sie in ein einsames Waldstück folgt – und er ist ihr Mörder. Er wird die Erwürgte ins Unterholz ziehen, alle ihre Papiere an sich nehmen und zuletzt ihr Gesicht mit konzentrierter Schwefelsäure verätzen.
Retzmann ist kein Sexualtäter, sondern ein gerissener Dieb. Unter dem Vorwand, er sei Kriminalpolizist, verschafft er sich Zugang zu Katharina Zerniks Wohnung. Dem leichtgläubigen Hauswartsehepaar erzählt er, dass ihre Nachbarin wegen Schieberei verhaftet worden sei und beauftragt sie, ihre Lebensmittelkarte beim Wirtschaftsamt abzumelden. Mit diesem Trick wird das Verschwinden der Ermordeten verschleiert, sodass Retzmann in aller Ruhe die Wertsachen aus der Wohnung schaffen kann...
„Leichensache Zernik“ beruht auf dem authentischen Fall des Mörders und Vergewaltigers Willi Kimmritz, der als „Schrecken der brandenburgischen Wälder“ in den Jahren 1946 bis 1948 sein Unwesen trieb. Hinzu kommt die Zeitgeschichte: Gut zehn Jahre nach der besonders in Berlin offenbaren Teilung Deutschlands blickt der Film zurück auf die unmittelbare Nachkriegszeit der von den Siegermächten in vier Sektoren untergliederten Hauptstadt. Er beginnt mit einem längeren dokumentarischen Prolog: Gesprengte Brücken, ganze Straßenzüge in Schutt und Asche, Ruinen-Sprengungen, mühsamer Wiederaufbau durch Trümmerfrauen, Schwarzmarkt, Armenspeisungen, Hamsterfahrten ins Umland.
Aber auch Tanzstunde, Fahrrad-Rikschas als Taxis und die ersten rumpelnden Trambahnen. Das Leben der über Jahre den Ausnahmezustand des Krieges gewohnten Menschen beginnt sich erst allmählich wieder zu normalisieren – ein nachgerade idealer Humus für skrupellose Schieber, Hehler, Diebe und Mörder. Denn den staatlichen Behörden wie der Polizei sind durch die Sektoreneinteilung die Hände gebunden.
Als unweit des S-Bahnhofs Berlin-Buch in einem schwer zugänglichen Waldgelände eine tote Frau gefunden wird, deren Gesicht so verätzt worden ist, dass alle Hinweise einer Identifikation außer einer selbstgenähten Tasche fehlen, erinnert sich Kriminalrat Stübner daran, dass in gleicher Weise unweit des aktuellen Tatortes schon einmal eine junge Frau ermordet worden ist. Hat ein Serientäter erneut zugeschlagen? Der Leiter der hier zuständigen Mordkommission im sowjetischen Sektor betraut neben seinem erfahrenen Ermittler Dieter Neltner den jungen Kriminalanwärter Horst Kramm mit dem Fall. Der ausgebildete Maschinist ist gerade erst vom Kabelwerk Oberspree abgeworben worden und geht mit viel Enthusiasmus, aber ohne jede kriminalistische Erfahrung an die Arbeit.
Dennoch gelingt es dem blutigen Anfänger in beharrlicher Kleinarbeit, die Identität der Toten herauszufinden. Da sie aus Zehlendorf kommt, übermittelt Kramm ein entsprechendes Fahndungshilfeersuchen beim dort zuständigen Kommissariatsleiter Probst. Welcher sogleich zur Zusammenarbeit bereit ist. In Wedding dagegen stößt Kramm auf Granit: Um weitere vermutliche Opfer identifizieren zu können, werden Meldeunterlagen mit den Fingerabdrücken vermisster Personen zum Abgleich benötigt. Doch die politisch Verantwortlichen der drei westlichen Sektoren mauern, wollen einen Aktentransfer in den Osten unterbinden. Bei einer Konferenz redet der amerikanische Stadtkommandant Klartext: Das bisher im sowjetischen Sektor ansässige Polizeipräsidium für Groß-Berlin mit Oberst Kleinert als Leiter der Kriminal-Direktion soll in einen der Westsektoren verlegt werden. Und politisch unsichere Kantonisten wie das SED-Mitglied Probst erhalten die Kündigung. Während der Zehlendorfer Kommissariatsleiter im Osten eine entsprechende neue Stelle bekommt, wechselt Dieter Neltner in den Westen, allerdings aus privaten Gründen: Seine ganzen Angehörigen leben in Charlottenburg.
Noch ist Erwin Retzmann nicht entlarvt. In der West-Berliner Hawaii-Bar nähert er sich seinem nächsten Opfer, der attraktiven, lebenslustigen Ingrid Walter. Unter Alkoholeinfluss erzählt sie ihm von ihrem Kellerversteck, in dem sie eine respektable Menge Metall gelagert hat – für schlechte Zeiten oder auch für gute, wenn nämlich ihr Mann zurückkehrt und Startkapital benötigt. Retzmann erwürgt sie bei erstbester Gelegenheit auf einem Trümmergrundstück. Diesmal ist ihm jedoch die Polizei hart auf den Fersen und stellt Retzmann eine Falle, als dieser mit dem Kreuzberger Kleinunternehmer Werner W. Bergmann die Kupferrollen abtransportieren will...
„Leichensache Zernik“ entbehrt es keineswegs an Krimi-Spannung, auch einige heitere Szenen besonders zu Beginn, als der Neuling Kramm eine sich heftig gegen ihre Verhaftung wehrende Prostituierte so gut wie nackt auf dem Revier abliefert, haben hohen Unterhaltungswert. Doch es geht weniger um die Dingfestmachung eines Serien-Frauenmörders als um die politischen Verwerfungen im Berlin der vier Sektoren, die eine effektive Polizeiarbeit unmöglich machen. Dass dafür allein die „Trizonesier“ verantwortlich gemacht werden, versteht sich bei einer Babelsberger Produktion von selbst.
Dieser Flashback so kurz vor Erich Honeckers Machtantritt 1971, der gerade unter den Künstlern und nicht zuletzt unter den Filmschaffenden der DDR eine regelrechte Aufbruchstimmung erzeugte, erstaunt aus heutiger Sicht schon. Zumal das ursprüngliche Drehbuch von 1970, das der Regisseur und Berlin-Film-Spezialist Gerhard Klein gemeinsam mit Wolfgang Kohlhaase schrieb, noch ein dreistündiges Geschichtspanorama vorsah - mit Wolfgang Kieling als Retzmann. Doch Klein verstarb nach zehn Drehtagen am 21. Mai 1970 und sein früherer Assistent Helmut Nitzschke sprang ein. Er unterbrach die Produktion für mehrere Monate, schrieb mit Joachim Plötner ein neues, um rund zwei Drittel gekürztes Drehbuch und besetzte die meisten zentralen Rollen neu, zumal Wolfgang Kieling zwischenzeitlich in den Westen übergesiedelt war.
Pitt Herrmann