Inhalt
Ein poetisches Alltagsmärchen über die Sehnsucht nach persönlicher Entfaltung: Nach dem Tod ihres Vaters müssen sich die 18-jährige Helene Raupe und ihre kleine Schwester Asta in einer radikal veränderten Lebenssituation zurechtfinden. Helene wird von den Behörden an verschiedene Arbeitsplätze vermittelt, scheitert jedoch an den Erwartungshaltungen ihrer reglementierten Umwelt. Erst als sie lernt, ihren Träumen Ausdruck zu verleihen, kann sie sich gegenüber den Bevormundungen der anderen behaupten.
Die Fertigstellung des Films wurde 1966 abgebrochen, erst 2005 wurde das überlieferte Material chronologisch montiert.
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Auch der Tabakladen des gerade verstorbenen Oskar Raupe, der mit Helene (eine Audrey Hepburn des Ostens: Melania Jakubisková), der jungen Frau mit dem Schirm aus der Eingangsszene, und ihrer kleinen Schwester Asta (Christina Burkhardt), zwei Töchter als Vollwaisen hinterlässt. Und dazu einen Papagei - aber kein Bares. „Ihr habt es doch ganz gemütlich“ ist der erste gesprochene Satz des Films – von Tante Raupe aus Potsdam, die mit den Kindern von der Beerdigung in die Wohnung hinter dem Laden zurückkehrt. Sie verspricht, sich um beide zu kümmern. Was auch bitter nötig ist, denn Helene ist noch zu jung, um das väterliche Geschäft fortzuführen. Zudem ein Vertreter der Stadtverwaltung mit dem schönen Namen Himmelblau verkündet, dass der ganze Häuserblock abgerissen wird und das 17-jährige „Fräuleinchen“ fragt, wie sie sich ihre Zukunft vorstellt.
Helene träumt sich nach Schönefeld, als Stewardess oder besser noch als Passagier in eine Interflug-Maschine, als Mannequin in die große weite Welt der Mode und des Luxus, mit einem Mann tanzend, in einem weißen Mercedes-Kabrio die Karl-Max-Allee entlangfahrend. Das Leben ein Traum, der Film, der zeitweise den Titel „Die Geburt eines Schmetterlings“ trug, ein Märchen. Die Realität holt Helene als Fischverkäuferin in einer Markthalle und deren resoluter Chefin (Carmen-Maja Antoni) rasch auf den Boden zurück. Doch sie bringt es nicht fertig, den am Abend mit nach Hause gebrachten Karpfen zu schlachten: Das Tier wird von beiden Schwestern nachts im nächsten Gewässer ausgesetzt. Herr Himmelblau runzelt die Stirn, weiß aber eine Alternative: „Dessü“ an der Karl-Marx-Allee. Doch auch im Exquisit-Laden mit ausgewählter Dessous-Importware und entsprechend exklusiver Kundschaft kommt Helene nicht zurecht, und mit deren arroganter Leiterin schon gar nicht.
Es kommt noch dicker: Die Tante der beiden hoffnungslos überforderten Waisen muss daheim nach dem Rechten sehen und ist nach Potsdam zurückgekehrt. Und dann wird auch noch der Räumungsbefehl für die Wohnung zugestellt! Helene wird BVG-Schaffnerin in Tram und O-Bus. Sie spielt die Szenen ihrer inzwischen häufig wechselnden beruflichen Anforderungen stets mit ihrer kleinen Schwester Asta durch – anrührende Szenen, die zugleich ihre eigene Kindlichkeit und Überforderung offenbaren. Da ist ihre Freundin Marion (Karin Heinrich) schon von anderem Schlage – mit ihren häufig wechselnden Liebhabern. In der Boxhalle auf der Kirmes steht sie Kalle (Heinz-Jörg Herrmann) vom Plakat in Wirklichkeit gegenüber. Doch nach dem ersten Kuss nimmt sie reißaus und schmeißt auch ihren dritten Job. Was nun das Jugendamt in Person einer Frau Fertig auf den Plan ruft: Asta soll ins Heim kommen.
An Helenes 18. Geburtstag kehrt endlich Tante Raupe mit Kuchen und der Zusage, Asta bei sich daheim aufzunehmen, zurück, während Herr Himmelblau und Frau Fertig für Helene eine kleine Neubauwohnung gefunden haben. Für die Träumerin jedoch mutiert der Frosch im Zentrum der Geburtstagstorte zum Märchenprinzen, da bleibt kein Platz für eine neue Lebensperspektive. Als Helene beim Zirkusbesuch, Tantes Geburtstagsgeschenk, einem Pantomimen (die nicht enden wollenden Szenen mit Milan Sladek drohen den Film zu sprengen) zuschaut, ist es endgültig um sie geschehen: Helene flüchtet sich in eine utopisch-poetische Welt, die mit dem Arbeitsethos der SED, für das hier vor allem der Busfahrer Kubinke mit seinen 30 Jahren Berufserfahrung steht, nicht vereinbar ist...
Die Defa-Produktion „Fräulein Schmetterling“ wurde nach dem Rohschnitt abgebrochen. Der hochkarätig besetzte Film erzählt vom Selbstfindungsprozess einer jungen Frau und ihrer wesentlich jüngeren Schwester, die nach ihren eigenen Vorstellungen leben wollen und sich der staatlichen Bevormundung widersetzen. Dabei wurde die Spielfilmhandlung nicht nur um Traum-Visionen, sondern immer wieder auch um dokumentarische Szenen ergänzt, die einen tiefen Eindruck vom Alltagsleben im Berlin der 1960er Jahre, wo der Gendarmenmarkt noch ein Trümmerfeld und der Alexanderplatz bis auf die Peter Behrens-Häuser gänzlich leer ist, vermitteln.
Die heute spurlos verschwundene Rohschnittfassung des Nachfolgeprojektes von Christa Wolfs Erfolgsstreifen „Der geteilte Himmel“ (1964) wurde am 4. Februar 1966 einem Gremium von DDR-Kulturfunktionären vorgeführt, die den Film anschließend im Tresor verschwinden ließen. „Fräulein Schmetterling“ sei ebenso ein Babelsberger „Kuckucksei“ wie die nach dem 11. Plenum des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) im Dezember 1965 als „republikfeindlich“ eingestuften und einkassierten Defa-Produktionen „Das Kaninchen bin ich“ von Kurt Maetzig und „Denk bloß nicht, ich heule“ von Frank Vogel. Der Film, so heißt es im Gutachten der Polit-Funktionäre, enthalte „keine klare parteiliche Sicht auf unsere sozialistische Wirklichkeit“, sondern reflektiere vielmehr die bürgerlich-kapitalistische Entfremdungstheorie: „Die kritischen Aussagen müssen sich deshalb objektiv gegen die sozialistische Gesellschaft, deren Staatsmacht und gegen die führende Rolle der Partei wenden. Die Zuschauer werden praktisch aufgefordert, zwischen der Führung unseres Staates und der Partei und den breiten Volksmassen eine Kluft zu sehen und sich in ihren Handlungen von einem derartig gestörten Verhältnis bestimmen zu lassen.“
Die von Ralf Schenk und Ingeborg Marszalek in den Jahren 2002/2003 vorgenommene und am 16. Juni 2005 im Berliner „Blow up“ uraufgeführte Rekonstruktion basiert auf dem im Bundesarchiv vorgefundenen Material und unternimmt nicht den Versuch, die vorhandenen Leerstellen zu ergänzen und den Film so zu vollenden. Vielmehr wurde das Material in der vom Regiedrehbuch vorgegebenen Reihenfolge montiert, Originaltöne wurden beibehalten, kaum hörbare sowie fehlende Dialogpassagen durch Untertitel ersetzt. Eine Methode, die ausdrücklich die Zustimmung von Christa und Gerhard Wolf fand.
Seit 30. April 2021 liegt „Fräulein Schmetterling“ nach einer erneuten Rekonstruktion durch die Defa-Stiftung (PL Klaus Schmutzer) entlang des Original-Drehbuchs und der vorhandenen Musik erstmals als endmontierter digitalisierter Film vor (bei Icestorm). Dabei konnten die Originalstimmen der wichtigsten Darsteller erhalten bleiben. Fehlende Dialoge sowie die von Melania Jakubisková in slowakischer Sprache vorgetragen Passagen wurden neu synchronisiert. Anschließend erfolgte die Erstellung eines neuen Sound-Designs einschließlich der Geräuschkulisse in den dokumentarischen Teilen. Die Musik Peter Rabenalts, der maßgeblich an der Rekonstruktion beteiligt war, wurde durch Roland Ploog ergänzt. Auf Grundlage der neuen Tonspur wurden Bild und Ton synchron gelegt und anschließend das Bild in 2K farbkorrigiert und retuschiert.
Pitt Herrmann