Munitionsarbeiterin, Etappenhelferin, Sufragette: Repräsentationen des Weiblichen in Filmen zum Ersten Weltkrieg

Von Kerstin Herlt, DFF - Deutsches Filminstitut & Filmmuseum
Fabrication munition de guerre
Quelle: Centre nationale du cinéma et de l’image animée
Szene aus "Fabrication des munitions et du matériel de guerre" (1916?)

Der Erste Weltkrieg beschleunigte die Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse in den westlichen Industrienationen, das gilt auch für das Verhältnis der Geschlechter. Maßgeblichen Einfluss auf die Repräsentation von Frauen- und Männerbildern hat der Film, der sich im Ersten Weltkrieg zum wirkungsmächtigsten Medium des 20. Jahrhunderts entwickelte.

Der Wandel der Geschlechterbeziehungen wird unter anderem darauf zurückgeführt, dass Frauen – freiwillig oder unfreiwillig - die Arbeit der eingezogenen Männer übernahmen. Neue Verdienstmöglichkeiten gab es vor allem in der Rüstungsindustrie. In allen kriegsbeteiligten Ländern wurden massiv Frauen angeworben und je länger der Krieg dauerte, desto mehr Frauen zog es in die Fabriken. Das  Potential des jungen Mediums für Rekrutierungs- und Propagandazwecke wurde schnell erkannt und genutzt: auf dem European Film Gateway lässt sich ein Einblick in die zahlreichen Produktionen aus dieser Zeit gewinnen, die Frauen in Männerberufen zeigen oder für diese Berufe anwerben.

Wanderung in einer mechanischen Werkstätte
Quelle: Bundesarchiv-Filmarchiv
Szene aus "Wanderung in einer mechan. Werkstätte" (1917)

In "Wanderung in einer mechan. Werkstätte" (1917) etwa begleitet die Kamera Arbeiterinnen vom Schichtbeginn vor den Toren der Fabrik bis zum Feierabend, wo sie sich an einem langen Waschbecken fröhlich die Hände waschen. Der Filmtitel suggeriert eine Leichtigkeit, die im Kontrast steht zur harten und tödlichen Arbeit, Töpfe für Handgranaten herzustellen. In der Gaumont-Wochenschau "Fabrication des munitions et du matériel de guerre" (GB? 1916?) stellen Fabrikarbeiter Schrapnells her, die von den Arbeiterinnen mit Sprengstoff befüllt werden.  Der Zwischentitel liest sich dabei wie ein zynischer  Kommentar: "Des doigts des fées pour un oeuvre de mort." / "Feenfinger für ein Todeswerk".

Was die Filme ausblenden, sind die harten Arbeitsbedingungen: Arbeitsschutzgesetze für Frauen, Kinder und Jugendliche wurden in Deutschland und anderen kriegsbeteiligten Ländern schon bei Kriegsbeginn aufgehoben. Überstunden und Nachtarbeit waren die Regel. Bei der Herstellung von Granaten, Sprengstoff und anderem Kriegsgerät kam es häufig zu Explosionen und Unfällen.

Auch in anderen Bereichen füllten die Frauen die Lücken: In "Frauenarbeit im Ersten Weltkrieg" (DE 1917) sehen wir Straßenbahnfahrerinnen und Lokomotivführerinnen, Kohleträgerinnen und Fensterputzerinnen fröhlich bei der Arbeit.

Frauen im Militärdienst

Insbesondere in Großbritannien gab es spezielle Organisationen für Frauen, wie das Volunteer Aid Detachment oder die Women's Land Army, die 1917 gegründet wurde, um die Versorgung der Bevölkerung trotz Ernteausfall und Lebensmittelknappheit zu aufrechtzuerhalten. Ebenfalls 1917 gegründet wurde der Women's Army Auxiliary Corps (WAAC), eine militärische Einheit, die den Frauen offen stand. "The Life of a WAAC" (GB 1918) ist ein Rekrutierungsfilm, der junge Frauen für den Dienst im WAAC begeistern soll. Nicht untypisch für die Filme aus dieser Zeit kombiniert er dokumentarische und inszenierte Elemente und führt zu Beginn eine Protagonistin ein, die die Kamera allerdings im Verlauf der Handlung wieder aus den Augen verliert. Angesprochen durch ein großes Banner, dass für den Dienst im WAAC wirbt, registriert sich die junge Frau, nimmt ihre Uniform entgegen, und freut sich sichtlich über ihre Entscheidung. Nun zeigt die Kamera den Alltag einer "Wax", der aus sportlichen Übungen, Exerzieren, Kochen, Servieren, Gartenarbeit und Freizeit besteht und in fröhlicher Gemeinsamkeit bestritten wird. Wir sehen unbeschwerte Frauen in Uniform, die augenzwinkernd mit Kamera und Inszenierung  ein fröhliches Spiel treiben - in einer Szene imitiert  eine der WAX Charlie Chaplin.  Selbst auf der Krankenstation ist die Stimmung  unbeschwert. Selbstverständlich sind die Patientinnen sind nicht ernsthaft krank: "Nothing serious", so der Zwischentitel.

Life of a WAAC
Quelle: Imperial War Museums
Szene aus "Life of a WAAC" (1918)

"The Life of a WAAC" hat ohne Zweifel wenig mit der Realität der Frauen in der Militäradministration zu tun. In der militärischen Hierarchie standen sie auf unterster Ebene, und der Alltag in der Etappe entsprach nicht dem romantischen Bild. Indem der Film das Spielerische und die Inszenierung hervorhebt, hat er eine Männer beruhigende Funktion, was die Geschlechterverhältnisse betrifft: die Frau ist keine ernstzunehmenden Konkurrentin zum Mann. Gleichzeitig aber scheint die Möglichkeit einer anderen Geschlechterordnung auf, das Bild einer gleichberechtigten, modernen und selbstbestimmten Frau, die ohne Männer zurechtkommt.

In der deutschen Militäradministration wurden ab 1917 Etappenhelferinnen eingesetzt, die in der Regel als Schreibkraft tätig waren und dafür auch besser bezahlt wurden als Soldaten oder Krankenschwestern. In der öffentlichen Wahrnehmung tauchen sie nicht auf, denn die Helferinnen waren nicht uniformiert, auch wurde auf Rekrutierungs-und Werbemaßnahmen verzichtet. Ihr Ruf war nicht besonders gut, weil sie anders als die Soldaten und Krankenschwestern Geld verdienten. Geld macht bekanntlich frei und (sexuell) unabhängig. Bianca Schönberger sieht sie deshalb auch als Vorboten der weiblichen Angestellten der Weimarer Republik (Schönberger, Bianca, “Mütterliche Heldinnen und abenteuerlustige Mädchen. Rotkreuz-Schwestern und Etappenhelferinnen im Ersten Weltkrieg” in: Hagemann, Karen (Hrsg), Heimat – Front. Militär- und Geschlechterverhältnisse im Wandel der Zeit, Frankfurt am Main, Campus, 2002.).

Das weibliche Pendant zum heroischen Soldaten ist allerdings nicht die Etappenhelferin oder die Beschäftigte im Militärhilfsdienst, sondern die Rotkreuz-Schwester, die ihr Leben riskiert, um anderen zu helfen. Sie verkörpert das Ideal weiblicher Fürsorge und Opferbereitschaft, ein Bild, das sich eingeschrieben hat in die kollektive Erinnerung an den Ersten Weltkrieg.

Nach dem Krieg wurden viele Frauen aus den Fabriken und anderen Arbeitsfeldern wieder verdrängt, um Platz zu machen für die heimgekehrten Männer. Bilder von Frauen, die Kohle geschleppt, Züge und Straßenbahnen gefahren sind, Schaufenster und Straßenlaternen geputzt haben, sind weitgehend in Vergessenheit geraten, nicht so das Bild der Krankenschwester.
 

Das Tagebuch des Dr. Hart
Quelle: Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen
Szene aus "Das Tagebuch des Dr. Hart" (1918)

Diese Teilhabe am Gemeinschaftsideal "Opfern für das Vaterland" war den Frauen aus dem gehobenen Bürgertum und Adel vorbehalten, die auf Lohn nicht angewiesen waren. Filmisches Beispiel dafür ist "Das Tagebuch des Dr. Hart" (1918): die Gräfin Jadwiga Bransky,  (Dagny Servaes) und die Schlossherrin Ursula von Hohenau  (Käthe Haack) arbeiten als Krankenschwestern in einem Feldlazarett. Im Spielfilm ist das Lazarett selten ein Ort des Leids und der Schmerzen, sondern das Setting für romantische Liebesbeziehungen zwischen Krankenschwester und Arzt oder Krankenschwester und Soldat.

Doch nicht nur im Spielfilm, auch in den überlieferten Dokumentarfilmen zum Thema Medizinische Versorgung sind die Bilder von Kriegslazaretten geschönt: die reinweiße Tracht der Krankenschwestern ist die Kehrseite der blutigen, versehrten Körper, die die meisten Filme ausblenden. So zum Beispiel in "Im Lazarett Assfeld in Sedan" (DE 1917) und in "Comment sont soignés nos blessés de guerre" (?; 1914-1918).

Frauenwahlrecht und Emanzipation

Die Frage, ob der Erste Weltkrieg die Emanzipation der Frau befördert hat, lässt sich nicht pauschal beantworten. Zwar wurde das Frauenwahlrecht in Deutschland im November 1918 eingeführt, die Frauenrechtsbewegung war aber lange vor dem Krieg aktiv. Zahlreiche Frauenvereine haben, zumindest in den ersten Kriegsjahren, ihre Aktionen eingestellt und sich patriotisch für das Vaterland engagiert. Gerade für die Britinnen, die massiv für den Dienst an der "home front" angeworben und für ihren Einsatz auch öffentlich gewürdigt wurden, musste es eine bittere Enttäuschung gewesen sein, dass das Frauenwahlrecht erst 1919 und nur für Frauen ab 30 Jahre eingeführt wurde.

War Womens of  England
Quelle: Imperial War Museums
Zwischentitel aus "The War Women of England" (GB 1918)

Nach dem Krieg verloren im Zuge der Demobilisierung viele Frauen ihre Arbeitsplätze wieder. "The War Women of England" (GB 1918), der die Leistung der Frauen im Krieg würdigt, zeigt in einer Sequenz mit dem Titel "Will there be women MPs?" die berühmten Anführerinnen der 'Votes for Women'-Bewegung Emmeline Pankhurst und ihre Tochter Christabel Pankhurst bei einer Versammlung in der Queens Hall zur Gründung  der "Womens Parliamentary Party".

Aber selbst wenn sich an den patriarchalischen Strukturen wenig geändert hat und das Frauenwahlrecht in vielen Ländern auf sich warten ließ: Die Anforderungen, denen Frauen standhalten mussten und die neuen Rollen, die sie während des Krieges einnahmen, passten nicht mehr zu den konservativen Geschlechterbildern der Vorkriegszeit. Veränderte Moralvorstellungen und ein neues weibliches Selbstverständnis boten die Grundlagen für das Erscheinen der "Neuen Frau" im städtischen Alltag und den Medien der Nachkriegszeit: unverheiratet und berufstätig, lässig, mit Bubikopf und Zigarette. Mag diese mediale Repräsentation einer neuen Weiblichkeit auf den Großteil der Frauen, die weiterhin den konventionellen Lebens-und Familienstrukturen verhaftet sind, nicht zutreffen, es eröffnete ein Experimentierfeld für neue Lebensentwürfe.