Drehbuchpreis für "Good Bye, Lenin!"
In "Good bye, Lenin!" ist der Erfahrungsmangel oder -verlust unmittelbar in die Geschichte eingeschrieben. Das Buch ist klassisches Erzählkino. Es lebt von der Intrige, von Täuschungen und überraschenden Wendung. Aber Alex gaukelt unter Aufbietung aller Kräfte seiner Mutter ja nicht nur eine andere, die vergangene Welt der DDR vor, sondern einen Zustand, in dem sich nichts, aber auch gar nichts verändert. Das ist ja sein Glück, deshalb bemerkt ja die Mutter so lange nichts: weil sich auch zuvor nichts getan hat. Eine der herrlichsten Figuren ist Daniel. Ein junger Wessi, mit dem sich Alex anfreundet. Daniel lebt nun nur noch von der medialen Vermittlung, kennt nichts anderes als sein vermülltes Zimmer, in dem er Tag und Nacht Videos sammelt, kopiert, ausschlachtet, produziert. Aber Daniel ist absolut authentisch und mit sich im Reinen - im Gegensatz zu Alex. Er hilft Alex. Er macht es möglich, dass die Mutter ihren größten Wunsch erfüllt bekommt und endlich wieder Fernsehen kann: Aus alten Aufnahmen der aktuellen Kamera schneidet er ein Programm zurecht. Die Lüge, die Vortäuschung einer vergangenen Realität hilft uns scheinbar besser wissenden Zuschauern, diese Realität noch einmal mit den Augen der Unwissenden oder der in der Täuschung Verfangenen zu sehen. Darin liegt das Vergnügen. Aber es öffnet vor allem die Augen auf die Zeit, die Figuren und schließlich für uns selbst, für unsere eigenen Erfahrungen, wir, die wir Teil dieser Vergangenheit sind. Wie Alex gehen wir noch einmal zurück, um nach vorne gehen zu können. Der gute Bert Brecht mit seinem Verfremdungseffekt kommt hier zu neuen Ehren. Als Drehbuchautor von "Hangmen Also Die" hatte er es am Kompaktesten gezeigt: Dass die Lüge in einer auf Lügen gebauten Welt sehr wohl geeignet ist, die Wahrheit und das Überleben zu retten.
Quelle: Michael Töteberg (Hg.): "Good Bye Lenin!" Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 2003.