Ayşe Polat
Ayşe Polat, geboren am 19. November 1970 in Malatya, Türkei, zog 1978 mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern nach Hamburg, wo der Vater als türkischer Einwanderer in einem Versandhaus arbeitete. Bereits als Teenagerin unternahm sie erste Filmversuche auf Video und Super-8. Von 1991 bis 1993 studierte sie in Berlin und Bremen Germanistik, Philosophie und Kulturwissenschaft. Parallel dazu startete sie mit einer Reihe erfolgreicher Kurzfilme ihre Regiekarriere: Für ihren Kurzfilm "Entfremdet" erhielt sie 1991 den Förderpreis beim Bundeswettbewerb Jugend und Video. In dieser Milieustudie, wie auch in ihren anderen Frühwerken, thematisierte Polat das Leben von Migranten in Deutschland. So etwa in dem Kurzfilm "Fremdennacht" (1992) über den Selbstmord des Asylbewerbers Kemal Altun, oder in dem mehrfach preisgekrönten Kurzfilm "Ein Fest für Beyhan" (1994).
"Gräfin Sophia Hatun" (1997) erhielt beim Internationalen Filmfestival in Ankara 1997 den Spezialpreis der Jury. Zwei Jahre später gab Polat, die nie eine Filmhochschule besucht hat, mit dem Fernsehspiel "Auslandstournee" ihr Langfilmdebüt. Hilmi Sözer spielt darin einen schwulen türkischen Travestiekünstler, der sich der elfjährigen Tochter eines verstorbenen Kollegen annimmt. Der Film lief auf einer Reihe internationaler Festivals und wurde beim Ankara Filmfestival als "Bestes Regiedebüt" ausgezeichnet. Ihr Kinodebüt gab Ayşe Polat 2004 mit "En Garde". Die Geschichte über die Freundschaft zweier Mädchen in einem Erziehungsheim feierte beim Locarno Filmfestival Premiere und wurde prompt mit dem Silbernen Leopard preisgekrönt; Maria Kwiatkowsky und Pinar Erincin erhielten für ihre Leistung ex aequo den Darstellerinnenpreis. 2005 erhielt "En Garde" zudem den Preis der deutschen Filmkritik.
Trotz dieses Erfolgs legte Polat danach eine Filmpause ein und inszenierte 2006 am Berliner Theater Hebbel am Ufer ihre erste Theaterarbeit: "Otobüs" erzählt von der Entführung einer Gruppe deutscher Pauschaltouristen in der Türkei. Nach einer sechsjährigen Kinopause meldete Polat sich 2010 mit "Luks Glück" zurück. Die Tragikomödie über eine türkische Familie, die den Lotto-Jackpot knackt, wurde bei den Hofer Filmtagen uraufgeführt. Dort erhielt er den Förderpreis Deutscher Film.
Polats nächster Film "Die Erbin" (2013) handelte von einer jungen Deutschtürkin, die in das Heimatdorf ihrer Eltern reist, um einen Roman über ihren verstorbenen Vater zu schreiben; dabei wird sie mit dunklen Seiten ihrer eigenen Familiengeschichte konfrontiert. Der Film feierte beim Internationalen Filmfestival Rotterdam Premiere, erhielt jedoch keinen regulären Kinostart.
In ihrem ersten Dokumentarfilm "The Others" (2016) forschte Polat den Spuren des Genozids an den Armeniern im Jahr 1915 nach. Beim Festival DOK Leipzig 2016 wurde der Film mit dem Preis der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ausgezeichnet.
2018/19 inszenierte sie zwei Folgen der ZDF-Krimiserie "Der Staatsanwalt", 2020 führt sie bei der Dortmunder "Tatort"-Folge "Masken" Regie, die Ende 2021 ausgestrahlt und von der Kritik eher zwiespältig rezipiert wurde. Ebenfalls 2021 begann Polat mit der Arbeit an ihrem nächsten Kinofilm: Der Spielfilm "Im toten Winkel" erzählte von einer deutschen Dokumentarfilmerin, die im Nordosten der Türkei mit der Situation der dort lebenden Kurden konfrontiert wird. Die Uraufführung des multiperspektivisch erzählten Films fand auf der Berlinale 2023 statt. Bei der Verleihung des Deutschen Filmpreis im Mai 2024 gewann Polat in den Kategorien Beste Regie und Bestes Drehbuch, zudem wurde der Film als Bester Spielfilm in Bronze ausgezeichnet.