Herbert Selpin
Herbert Selpin wurde am 29. Mai 1902 in Berlin geboren. Dort begann er zunächst ein Medizinstudium, das er jedoch bald abbrach; in der Folgezeit war er in unterschiedlichsten Berufen tätig: unter anderem als Antiquar, Buchhändler, Börsenmakler bei einer Berliner Bank und Boxer. Er wurde brandenburgischer Boxmeister im Federgewicht, gewann dreimal die deutsche Meisterschaft im Tanzen in Baden-Baden und arbeitete als professioneller Tänzer bei Varietés, mit Gastspielen in der Schweiz, in Italien und Ägypten.
Durch den Schauspieler Max Wogritsch kam Herbert Selpin Mitte der 1920er Jahre zum Film: zunächst als Komparse, dann als Volontär bei F.W. Murnaus "Faust" (1926). Danach sammelte er Erfahrungen als Regieassistent von Berthold Viertel bei "K 13 513. Die Abenteuer eines Zehnmarkscheines" (1926) und ging schließlich für mehrere Jahre nach London, wo er unter anderem Paul Czinners Assistent bei "The Way of Lost Souls" (1929) war. Zurück in Deutschland war er als Editor unter anderem an Czinners "Ariane" (1931) und Carl Boeses "Der ungetreue Eckehart" (1931) beteiligt.
Sein Regiedebüt gab Herbert Selpin 1931 mit der Komödie "Chauffeur Antoinette", von der er im folgenden Jahr in London eine englischsprachige Version ("The Love Contract") und in Paris eine französische Version ("Conduizez-moi, Madame") inszenierte. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten blieb Selpin in Deutschland; am 1. April 1933 trat er der NSDAP bei. Im gleichen Jahr zeichnete er für die deutschsprachige Fassung des faschistischen italienischen Dokumentarfilms "Camicia Nera" ("Schwarzhemden") verantwortlich.
In Nazi-Deutschland reüssierte Selpin als vielseitiger Regisseur in verschiedenen Genres. Bei den meisten seiner Filme handelte es sich um vermeintlich harmlose Unterhaltung wie die Wintersportkomödie "Der Springer von Pontresina" (1934), die Oscar-Wilde-Adaption "Ein idealer Gatte" (1935) und die Kriminalkomödie "Spiel an Bord" (1936). Er inszenierte Hans Albers in Abenteuerfilmen im Westernstil ("Sergeant Berry", 1938; "Wasser für Canitoga", 1939) und erzählte von exzentrischen Außenseitern wie einem charmanten Gauner in "Heiratsschwindler" (1937) und einem arbeitsüberdrüssigen Fabrikanten in "Ein Mann auf Abwegen" (1938).
Allerdings drehte Selpin auch mehrere eindeutige NS-Propagandafilme: die euphemistische Kolonialgeschichte "Die Reiter von Deutsch-Ostafrika" (1934), den Soldaten-Lobgesang "Trenck, der Pandur" (1940) und die antibritische und antirussische Spionagegeschichte "Geheimakte W.B. 1" (1941). Bei "Carl Peters" (1941), einer Filmbiografie des gleichnamigen Kolonialisten (gespielt von Hans Albers), die die Eroberungspolitik der Nazis verherrlichte, handelt es sich bis heute um einen Vorbehaltsfilm, der nur unter speziellen Bedingungen gezeigt werden darf.
Dessen ungeachtet fiel Herbert Selpin schließlich in Ungnade: Am Set der Großproduktion "Titanic", einem Herzensprojekt von Propagandaminister Joseph Goebbels, äußerte er sich 1942 mehrfach kritisch über das deutsche Militär - Selpin, als Perfektionist und Choleriker bekannt, schimpfte zum Beispiel auf die "Arschlöcher" der Luftwaffe und die "Scheißer auf ihren U-Booten". Kurz darauf wurde er wegen "wehrkraftzersetzender Äußerungen" denunziert, mutmaßlich von seinem Stamm-Drehbuchautor und gutem Freund Walter Zerlett-Olfenius, mit dem er sich kurz zuvor überworfen hatte. Nachdem Selpin seine Äußerungen bei einem Treffen mit Goebbels nicht zurücknehmen wollte, wurde er verhaftet. Am folgenden Morgen, dem 1. August 1942, fand man ihn erhängt in seiner Zelle auf. Man geht von Selbstmord aus, doch die Umstände seines Todes wurden nie vollständig geklärt.
Der Film "Titanic" wurde auf Goebbels' Befehl von Werner Klingler fertiggestellt, dann aber wegen einer befürchteten demoralisierenden Wirkung (Untergangs-Metaphorik) nicht freigegeben. Erst 1950, fünf Jahre nach dem Ende des NS-Regimes, kam er in die Kinos. Walter Zerlett-Olfenius wurde im August 1947 wegen seiner Denunziation Selpins in die Gruppe I der Hauptschuldigen des NS-Regimes eingestuft und für vier Jahre im Arbeitslager Moosburg inhaftiert; die Hälfte seines Vermögens wurde eingezogen.