Seymour Nebenzahl
Seymour Nebenzahl wurde als Sohn von Heinrich Nebenzahl aus Krakau und der Ungarin Gussie Lustig am 22. Juli 1897 in New York geboren. Die jüdische Familie emigrierte noch während seiner Kindheit nach Berlin, wo Seymour Nebenzahl das Gymnasium besuchte, während sich sein Vater nach dem Handel mit Eiern dem Filmgeschäft zuwendete. Er schickte Seymour nach dem Abitur zunächst nach England, wo dieser ebenfalls im Eierhandel arbeitete. Später machte er eine Bankier-Lehre, arbeitete zu Beginn der 1920er-Jahre erfolgreich als Makler und gründete schließlich eine eigene Bank.
Später schloss auch er sich dem Kinogewerbe an und gründete mit seinem Vater 1925 die Heinrich Nebenzahl & Co GmbH. Bereits ein Jahr später entstand als gemeinsame Tochterfirma mit der Richard Oswald Produktion GmbH 1926 die Nero-Film GmbH, die wiederum im 1927 in die Nero-Film Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, mit Seymour Nebenzahl im Aufsichtsrat und als Produktionschef. Während Heinrich Nebenzahl bis dahin hauptsächlich kommerzielle Unterhaltungsfilme hergestellt hatte, zeichneten sich bei seinem Sohn Seymour von Beginn an künstlerische Ambitionen ab. Gleichzeitig war Seymour stets auf Wirtschaftlichkeit bedacht, die er unter anderem durch die von seinem Vater übernommene, lukrative Zusammenarbeit mit Harry Piel in Filmen wie "Rätsel einer Nacht" (1927) gewährleisten konnte.
1928 gelang es ihm G.W. Pabst für einen Film zu gewinnen und gleich aus dieser ersten Zusammenarbeit entstand mit Louise Brooks in der Hauptrolle "Die Büchse der Pandora" (1928/29), ein Klassiker des Kinos der Weimarer Republik. Weitere Kooperationen mit Pabst folgten, darunter "Westfront 1918. Vier von der Infanterie" als 1930 wegweisender Tonfilm, sowie die von Rechtstreitigkeiten begleitete Verfilmung der "3-Groschen-Oper".
Zu Beginn der 1930er-Jahre kam es ebenfalls zur ersten Kooperation mit Fritz Lang, der der Ufa den Rücken gekehrt hatte und der nun für Seymour Nebenzahls Nero-Film "M" inszenierte (1930/31), ein Meilenstein des frühen Tonfilms durch den nicht zuletzt auch Peter Lorre berühmt wurde. Wenig später drehte Lang "Das Testament des Dr. Mabuse" (1932/33) seine letzte deutsche Produktion vor dem Exil auch bei der Nero-Film. Weiterhin zählt auch Richard Oswald zu den Filmschaffenden, die im Hause Nebenzahl erfolgreiche Regiearbeiten realisieren konnten.
Besonders nennenswert ist zudem Seymour Nebenzahls Zusammenarbeit mit dem Stummfilm-Star Henny Porten, die ab 1929 eigenständig produzierte. Nachdem die Nero-Film bereits die ersten beiden Stummfilme der Henny Porten Film-Produktion GmbH in ihr Verleihprogramm aufgenommen hatte, bot die Schauspielerin unter der Regie von G.W. Pabst ein überzeugendes Tonfilmdebüt in "Skandal um Eva" (1930). In dem nach einer Erzählung von Stefan Zweig adaptierten "24 Stunden aus dem Leben einer Frau" gab Porten 1931 erneut die Hauptrolle in einer Koproduktion der Henny Porten Film-Produktion und der Nero-Film GmbH. Aus Vertriebszwecken gründeten Seymour Nebenzahl und Henny Porten 1930 die Verleihfirma Vereinigte Star Film.
Neben zahlreichen filmwirtschaftlichen Unternehmensgründungen, zuallererst natürlich die Nero-Film, sollte sich Seymour Nebenzahl vor allem damit einen Namen machen, dass er den Regisseuren stets den für ihre kreative Arbeit notwendigen Freiraum ließ und gleichzeitig auf technische Innovation setze. Die zeitgenössische Fachpresse schrieb: "Seymour Nebenzahl, dessen Initiative die neue Aktivität Langs zu verdanken ist, hat der Tonfilm-Ära die Nero zielbewußt aufgebaut. Henny Portens geglückter Sprechfilmstart, Westfront 1918, 3-Groschen-Oper, sind die bisherigen Etappen. In einer Zeit, in der die Bereicherung des Tons den Film vor eine ganz andere kulturelle Verantwortung stellt, verdient diese Aktivität eines unabhängigen Produzenten besondere Aufmerksamkeit." (Film-Kurier, 23.08.1930) Nebenzahls groß-budgetierte Nero-Film-Produktionen waren dabei vor allem durch die Anfertigung von unterschiedlichen Sprachfassungen international konkurrenzfähig.
Nachdem die Büros der Nero-Film am 31. März 1933 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden, floh Seymour Nebenzahl nach Paris, wo er mit seiner Frau Else von ihren gemeinsamen Kontakten zu weiteren jüdischen Emigranten profitieren konnte. Seymour Nebenzahl passte sich dem französischen Markt der Zeit an und produzierte hauptsächlich Komödien sowie Verfilmungen von Theaterstücken. Während dieser Zeit arbeitete er mit Regisseuren wie Max Ophüls, Raymond Bernard, Anatole Litvak sowie häufig mit seinem Cousin Robert Siodmak zusammen. So entstanden unter anderem "La crise est finie" (1934), "Le roi des Champs-Élysées" (1934) mit Buster Keaton, "La vie parisienne" (1935/36) sowie "Mayerling" (1935/36).
Als von den Nationalsozialisten verfolgter Jude siedelte Nebenzahl 1938 schließlich in die USA über, wo er – in amerikanischer Schreibweise nun meist ohne "h" im Namen – als einer von wenigen Produzenten zunächst nicht festangestellt bei einem der Major Studios arbeitete. Durch das in Inflationszeiten extrem unbeständige europäische Produktionssystem geschult, soll Nebenzahl besondere Akquisemethoden initiiert haben, darunter das sogenannte "Angeling", bei der im Vorfeld einer Produktion die finanzielle Beteiligung mehrerer Privatpersonen an einem Filmprojekt gesichert wird.
In Hollywood gründete Nebenzahl die Angelus Pictures und produzierte mit dieser 1942 die Reinhard-Heydrich-Biografie "The Hangman", die in Zusammenarbeit vieler weiterer Emigranten, darunter Regisseur Douglas Sirk und Kameramann Eugen Schüfftan entstand, und die, von MGM gekauft, schließlich als "Hitler's Madman" in den Verleih kam. Weiterhin verschrieb er sich den ungewöhnlichen Stoffen und stellte sich als Meister der B-Movies heraus: "Pictures a little bit out of the ordinary (…) I've wanted an artistic picture with an idea (…) Purely commercial pictures don't amuse me. They don't interest me. Too many people are trying that." (Wottrich, M wie Nebenzahl. Nero–Filmproduktion zwischen Europa und Hollywood) Zu den Titeln aus der Zeit in Hollywood gehören Film noirs wie "We Who Are Young" (1940) und "Summer Storm" (1943/44, "Sommerstürme"). Herausragendes kaufmännisches Feingespür und künstlerisches Geschick veranlasste die Fachpresse, seinen Filmen den "Nebenzal touch" zuzuschreiben – ein Zusatz, der meist der Regie vorbehalten war.
1944 sollte Seymours Sohn Harold Nebenzahl, wie sein Vater und sein Großvater Heinrich bereits vor ihm, mit der gemeinsamen Gründung der Nero Films Inc., später Nero Pictures, Inc. Hollywood, ins Filmbusiness einsteigen. Im Auftrag von United Artists produzierten sie so Titel wie "Whistle Stop" (1945), "The Chase" (1946) und "Heaven Only Knows" (1947). Mit dieser Firma wagte sich Nebenzahl außerdem an ein Remake von Pabsts "Die Herrin von Atlantis" ("Siren of Atlantis", 1949) sowie an von ein Remake von "M", wobei Fritz Lang die Regie mit der Begründung verweigerte, der Stoff sei nicht in den amerikanischen Kontext übertragbar. Mit David Wayne in der Hauptrolle, gelang Regisseur Joseph Losey der Kniff, die Berliner Straßenbande als amerikanischen Taxifahrerverband zu reinszenieren.
Am Ende seiner Karriere kehrte Seymour Nebenzahl nach Deutschland zurück, wo er erneut eine Nero-Film GmbH gründete, mit der er 1961 einen einzigen Film produzierte, das Drama "Bis zum Ende aller Tage" unter Regie von Franz Peter Wirth.
Seymour Nebenzahl, mittleres Glied einer Dynastie von jüdischen Filmschaffenden, Kosmopolit mit ambitionierter künstlerischer Vision und Zeit seines Lebens Inhaber der amerikanischen Staatsbürgerschaft, starb am 23. September 1961 in München und wurde in Berlin-Grunewald beigesetzt.
Autorin: Elena Baumeister
Dieser Text wurde im Rahmen des Masterstudiengangs "Filmkultur - Archivierung, Programmierung, Präsentation" erstellt, der von der Goethe-Universität Frankfurt am Main und dem Deutschen Filminstitut gemeinsam angeboten wird.