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Alle Fotos (10)Biografie
Ellen Richter wurde als Käthe Weiß am 28. Juli 1891 in Wien als jüngstes von fünf Kindern geboren. Ihre Eltern waren der jüdische Schneider Jakob Weiß und seine Frau Rosa Weiß, beide ungarischer Herkunft. 1906, im Alter von 15 Jahren, begann sie ein Schauspielstudium am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreude, ebenfalls in Wien, und zwei Jahre später debütierte sie auf der Bühne des Stadttheaters in Brünn (heute Tschechische Republik), wo es damals einen großen deutschsprachigen Bevölkerungsanteil gab. Hier trat sie bereits unter ihrem Künstlernamen Ellen Richter auf. Zwei Jahre später wechselte sie an die Wiener Residenzbühne. Nach einem kurzen Intermezzo am Münchner Künstlertheater im Jahr 2012 zog es Richter nach Berlin, wo sie am Theater am Nollendorfplatz unter anderem als Orestes in Jacques Offenbachs Operette "Die schöne Helena" auftrat. In dieser Zeit lernte sie auch den Zahnarzt und Librettisten Willi Wolff kennen, der für den Intendanten des Theaters am Nollendorfplatz Liedertexte schrieb und 1915 dann Richters Ehemann wurde.
Doch schon vorher, im Jahr 1913, gab Richter ihr Debüt als Filmschauspielerin in "Rechte des Herzens" an der Seite von Paul Otto. Es folgten weitere Auftritte mit Hauptrollen in Melodramen wie "Der Eremit" mit Richter als berühmter Sängerin oder dem von Joe May inszenierten Kriminalfilm "Das Gesetz der Mine" (1915). Zudem spielte sie in dieser Zeit als Serien-Darstellerin Hauptrollen in zahlreichen frühen Dramen und Kriminalfilmen des später sehr erfolgreichen Regisseurs Richard Eichberg und seiner Produktionsfirma Eichberg-Film GmbH, darunter 1916 in "Leben um Leben" als intrigante Fürstin oder 1917 in "Schuldlos Geächtete", der unter dem Verleih-Titel "Die im Schatten leben" die Tragödie einer unehelichen Mutter und ihres Kindes verhandelt und thematisch dem beim Publikum gestiegenen Interesse an sozialen Fragestellungen Rechnung trug.
Schon in den ersten sieben Jahren ihrer Filmkarriere war Ellen Richter so als gefragte Stummfilmdiva in über 30 Filmproduktionen zu sehen. Ihren Namen verband das Publikum früh mit Witz und Charme, mit Furchtlosigkeit und Abenteuerlust.
Ab 1920, mit der gemeinsamen Gründung der Produktionsfirma Ellen Richter-Film Käthe Wolff, wurden Richter und ihr Mann auch beruflich ein Team, wobei Wolff die Produktion und künstlerische Gesamtleitung übernahm und häufig auch als Regisseur und Drehbuchautor fungierte, während Richter der Star vor der Kamera blieb. War sie zuvor oft auf die Rolle der "Exotin" festgelegt worden, so hatte sie nun mit ihrer eigenen Produktionsfirma die Freiheit, sich ihre Rollen selbst auszusuchen: Detektivinnen, Künstlerinnen und Revuestars gehörten zu ihren Lieblingsfiguren, sie schlüpfte in Männerkostüme und spielte mit ihren Rollen. Immer wieder stellte sie auch berühmte Frauen aus der Geschichte oder Heldinnen in großen Reise- und Abenteuerfilmen dar, etwa im Dreiteiler "Die Abenteuerin von Monte Carlo" (1921) und 1922 in "Lola Montez, die Tänzerin des Königs" an der Seite von Heinrich George. Viele ihrer Filme wurden zum Teil im Ausland, in Nordafrika, Indien oder den USA gedreht und warteten mit sportlichen Actionszenen auf. 1927 kamen mit der Operettenverfilmung "Der Juxbaron" und der Komödie "Kopf hoch, Charly!" zwei Filme in die Kinos, in denen auch die junge Marlene Dietrich vor ihrem großen Durchbruch zu sehen war.
Der Umstieg auf den Tonfilm gelang Richter im Gegensatz zu manch anderem Stummfilmstar zunächst gut; 1932 gründete sie, wiederum mit ihrem Mann, noch die Riton (Ellen Richter Tonfilm). Im aufkommenden Nationalsozialismus und mit Hitlers Machtergreifung wurde Richter dann jedoch, wie andere jüdische Künstler*innen auch, 1933 mit einem Auftrittsverbot belegt und ihre Produktionsfirmen enteignet, "arisiert" und umbenannt. "Manolescu, der Fürst der Diebe", der im März 1933 in Berlin uraufgeführt wurde, sollte der letzte Film Richters werden, deren erfolgreiche Film-Karriere durch die Repressionen der Nationalsozialisten beendet wurde.
1935 kehrten Richter und Wolff nach Wien zurück, von wo aus sie 1938, nach Richters aus der Reichsfilmkammer, nach Paris flohen. Hier betrieb Wolff, der seinen letzten Film - "Wer wagt - gewinnt. Bezauberndes Fräulein" mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle - 1934 produzieren konnte, eine Zeitlang eine Zahnarztpraxis.
Kurz nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich bzw. der Besetzung von Paris im Juni 1940 floh das Ehepaar weiter - zunächst nach Lissabon in Portugal und von dort mit Unterstützung von Ernst Lubitsch nach New York, wo sie im Dezember des Jahres ankamen. Auch hier war Wolff bestrebt, wieder als Zahnarzt zu arbeiten und nahm zu diesem Zweck ein Studium auf, um den amerikanischen Doktortitel zu erwerben. 1946 erhielten Richter und Wolff die amerikanische Staatsbürgerschaft, doch bereits im folgenden Jahr starb Willi Wolff während einer Europareise des Ehepaares plötzlich an einem Herzinfarkt.
In den Jahren nach dem Tod ihres Mannes pendelte Richter zwischen Amerika, der Schweiz und Deutschland. Sie starb am 11. September 1969 im Alter von 78 Jahren in Düsseldorf. Nach dem erzwungenen Ende ihrer Karriere durch die Nazis hatte sie nie wieder für den Film gearbeitet.
Trotz ihrer damaligen Popularität und einer Filmografie von über 70 Filmen gehörte Ellen Richter lange Zeit zu den vielen von der Filmgeschichtsforschung marginalisierten und damit vergessenen Frauen, die in den frühen Jahren dem Kino in allen Gewerken maßgeblich Form und Ausdruck gaben. Von den Filmen, in denen sie mitwirkte oder die von ihrer Produktionsfirma realisiert wurden, bis heute nur ein Bruchteil überliefert. Erst mit dem wachsenden Interesse an der Rolle von Frauen in der Filmgeschichte und durch konkrete Impulse einer feministisch geprägten Filmwissenschaft wurden in den 2010er Jahren mehrere ihrer Filme in Filmarchiven entdeckt und restauriert. Im Sommer 2019 widmeten ihr das Deutsche Historische Museum Berlin und die Filmuniversität Babelsberg den internationalen Workshop "Die große Unbekannte - Ellen Richter und das populäre Kino in Deutschland 1913 - 1933", in dessen Rahmen auch eine umfangreiche Retrospektive ihrer Filme gezeigt wurde.