Karla

DDR 1965/1966 Spielfilm

Inhalt

Karla, Pädagogik-Absolventin, tritt voller Ideale ihre erste Stelle an. Sie möchte ihre Schüler zu kritischen, selbstständig denkenden Menschen erziehen, wird aber sehr bald von Direktor Hirte, einem Altkommunisten, in die Schranken des Lehrplanes und der Grundsätze sozialistischer Erziehungsziele verwiesen. Ein Schüler meint den Direktor aus einem alten Foto in SA-Uniform erkannt zu haben und versucht ihn damit bloßzustellen. Auch Karla ist unsicher, muss aber klein beigeben, als sich herausstellt, dass das Foto von einer Laienspielgruppe des Jahres 1948 stammt. Ihre Beziehung zu dem "ausgestiegenen" Journalisten Kaspar ist der Schulbehörde ein weiterer Dorn im Auge. Karla wird schließlich an eine andere Schule versetzt.

-------------------

Zur Zensurfassung:

Anfang Dezember 1965, noch vor dem 11. Plenum, deutete sich an, dass es mit "Karla" Probleme geben würde. Die anstehende Synchronisierung wurde zunächst verschoben, und sofort nach dem Plenum begann die Arbeit an einer Änderungskonzeption. Die junge Lehrerin Karla, die von sich wie von anderen kompromisslos Ehrlichkeit verlangt, sollte gebändigt werden, ihre Fehler einsehen, sich fügen. Schnitte, Nachdrehs und Dialogänderungen wurden diskutiert. Manche der vorgeschlagenen Eingriffe finden sich in einer erhalten gebliebenen Zensurfassung. Bereits Karlas furioser erster Auftritt, eine improvisierte Rede über ihr Verständnis des Lehrerberufs, wurde ihr genommen. Schuldirektor Ali Hirte, väterlicher Freund mit mehr Sympathie für Karlas Eskapaden als es seinem Amt geziemt, wurde zur distanzierten Autoritätsperson. Karlas Liebe zu Kaspar, einem Menschen mit unklarer gesellschaftlicher Haltung, durfte kein Happy End haben …

Die Zensurfassung ist ein Fragment, das Brüche und fehlende Zusammenhänge in der Handlung aufweist. Eine Fertigstellung blieb dem Film in seiner Zeit verwehrt. Erst 1990 konnte er in seiner ursprünglichen Form rekonstruiert und aufgeführt werden.

Quelle: 66. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)

 

Kommentare

Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!

Heinz17herne
Heinz17herne
Auditorium Maximum der Berliner Humboldt-Universität. Die „pädagogische Jugend“ wird in den Lehrerberuf entlassen, die meisten der jungen Leute gehen in die Provinz. Die zierliche, aber vor Temperament sprühende Karla Blum (Zschoches Gattin als „Heilige Johanna“: eine grandiose Jutta Hoffmann), die von ihren Kommilitonen gedrängt wird, in ihrem Namen ein paar Worte von der Bühne aus zu sagen, versteckt sich keineswegs hinter dem für sie viel zu großen Rednerpult oder gar hinter einem Stapel Zettel mit sorgsam gewählten Worten. Frei und selbstbewusst spricht sie davon, dass Lehrer das Lernen lehren sollen und, da das Wissen sich so rasch vermehrt, auch das eigene Lernen während der Berufsausübung nicht vernachlässigen dürfen: Der Lehrer soll helfen, das Leben leichter, anmutiger und schöner werden zu lassen. Karla tritt ihre Stelle in einer Kleinstadt im Norden an. Liegt der Bahnhof noch in der idyllischen Altstadt, muss sie zur Theodor-Fontane-Oberschule über Sandberge und Baumaterialien stolpern: ihre erste Arbeitsstätte liegt mitten in einem gerade errichteten und längst noch nicht fertigen Neubaugebiet. Da noch Ferien sind, trifft sie im Gebäude niemanden an und wird hinaus aus der Stadt zu einem Jugendlager geschickt. Doch am See sind die Zelte längst abgebrochen, weshalb sie zunächst in der Fischerhütte eines kaum älteren jungen Mannes unterkommt, der Kaspar Stein heißt und nicht zufällig den gleichen Vornamen trägt wie die bis heute rätselhafte Figur des etwa 16-jährigen Hauser, der am 26. Mai 1828 in Nürnberg auftauchte, nur dass dieser hier weder geistig zurückgeblieben noch sonderlich verschlossen wirkt.

Aber ganz offenbar ein gesellschaftlicher Außenseiter ist, der mit der Bürokratie des Arbeiter- und Bauernstaates auf Kriegsfuß lebt: Kaspar findet nichts dabei, der Fischereigenossenschaft ein paar Aale für den Eigenbedarf aus den Reusen zu holen. Er arbeitet vornehmlich nachts in einem Sägewerk, weshalb er in den Augen der aus offenkundiger eigener Zuneigung misstrauischen Karla zunächst als Bummler gilt, der in den Tag hineinlebt ohne sich viel Gedanken um eine bürgerliche Zukunft zu machen in Analogie zur späteren Plenzdorfschen Figur des Edgar Wibeau in seinem 1972 uraufgeführten Bühnenstück „Die neuen Leiden des jungen W.“. Dabei hat Kaspar studiert und zunächst als Journalist gearbeitet, bevor er politischen Ärger bekam beim Thema der Verbrechen Stalins. Ihren ersten Schultag hat sich Karla anders vorgestellt, wird sie doch Zeugin einer Kontroverse zwischen ihrem Chef, Schuldirektor Alfred „Ali“ Hirte, und der Kreisschulrätin Janson: Bei der Besetzung ihrer Planstelle fühlt sich die treue Partei-Funktionärin vom Genossen übergangen. Doch der lässt, gerade was die Partei betrifft, deren Abzeichen selbstverständlich auch am Revers seiner Jacke steckt, Fünfe auch 'mal gerade sein. Und freut sich über die blutjunge Kollegin, die abends im Ort vom Apothekersohn Rudi Schimmelpfennig für eine neue Mitschülerin gehalten und sogleich mit brühwarmen Interna versorgt wird.

Als sie am anderen Morgen von ihrer Klasse, es ist ausgerechnet eine Zwölfte und damit ein harter Brocken für den Einstieg als Lehrerin für Deutsch und Geschichte, lauthals mit „Freundschaft!“ begrüßt wird, hat der Vorfall längst die Runde gemacht. Sodass Karla, und zwar mit großem Geschick, allerhand Versuche, sie aus dem Konzept zu bringen, kontern muss. Ihr thematischer Einstieg ist der Namenspatron der Schule – und schon tritt Karla in das erste ideologische Fettnäpfchen. Denn dass Theodor Fontane einst ein Deutschnationaler gewesen ist, verschweigt sie ebensowenig wie ihr Problem mit der Parteilinie, den Dichter heute als Helden der Arbeiterklasse hinzustellen. Dabei trifft Karla auf erstaunte Gesichter und offene Ohren einer Schülerschaft, die bisher gewohnt war, den SED-Ideologen hübsch nach dem Mund zu reden – und sich selbstredend freiwillig dazu verpflichtet hat, keine Westsender zu hören. Als ein Foto unter den Schülern kursiert, das Direktor Hirte in Nazi-Uniform zeigt, kommen selbst Karla Zweifel an der Integrität ihres Chefs. Ein auf das Lehrerpult gemaltes Hakenkreuz bringt den Hausmeister in Rage und lässt die Kreisschulrätin Janson nicht ruhen: sie will Karla zwangsversetzen lassen. Ein Pädagogischer Rat wird einberufen, in dem sich Alfred Hirte, das Foto entstammt einer Brecht-Theateraufführung von 1948, gegen das Kollegium durchsetzen kann: „Soll bleiben – und ihre Suppe gefälligst selbst auslöffeln.“

Ein halbes Jahr später erhält Karla sogar eine Auszeichnung im Rahmen eines Festaktes zum 50-Jahr-Jubiläum der Oberschule: Sie habe sich, strahlt Kreisschulrätin Janson mit einem süffisanten Lächeln, dem Lehrerkollektiv eingefügt und mit fester eigener Haltung einen disziplinierten Unterricht ermöglicht. „Ich bin eine ausgezeichnete Leiche“: die Prämie der „Pädagogischen Front“ versäuft Karla sogleich mit ihrem Chef Hirte in der Schulkantine. „Ich bin an der Vorsicht gestorben“: Künftig will sie wieder so aufmüpfig sein wie in der Anfangszeit. Als es um das Aufsatzthema „Was mir die Schule gegeben hat“ geht, schneit eine hohe Delegation aus Berlin in den Unterricht. Und Rudi, der eine glatte Fünf kassiert hat so kurz vor dem Abitur, erhält ausgiebig Gelegenheit, einmal Klartext zu sprechen ohne all' die vorformulierten Floskeln. Lange Gesichter bei den Genossen vor Ort, blankes Entsetzen bei der Kreisschulrätin, aber aufmunternde Worte vom Obergenossen aus der Hauptstadt: mitdenkende, kritikfähige junge Leute brauche die DDR! Als Rudis Eltern übers Wochenende ausgeflogen sind, herrscht bei den Schimmelpfennigs sturmfreie Bude: Twist ist angesagt, der hotte Modetanz des westlichen Klassenfeindes. Und Karla mittendrin. Leider auch nachts im Mercedes des Apothekers, den Rudi an den Ostseestrand steuert. Barbara, eine eifersüchtige Klassenkameradin, lässt die Bombe platzen – und nun muss auch der gute Hirte von Schuldirektor seine schützende Hand zurückziehen. Da jeder Spekulation nun Tür und Tor geöffnet ist, wird Karla weiter gen Norden versetzt – und Frau Janson ist endlich den Querkopp los. Von Rudi an die Bahn gebracht hat Karla kaum noch Hoffnung, dass Kaspar mit ihr an die See zieht...

„Karla“ ist 1965 fertiggestellt. Jutta Hoffmann im Gespräch mit Steffi Hoffmeister in: „Für Dich“, Illustrierte Frauenzeitschrift der DDR, Nr. 46/2. November 1965: „Ich glaube, ich spiele diese Karla, weil sie ein Mensch mit eigener Meinung ist. Karla besitzt Ideale, die sie nicht aufgeben will. Was sie für richtig erkannt hat, dafür tritt sie vorbehaltlos ein. Als es für sie an der Schule schwierig wird, entscheidet sich Karla trotzdem für den schwierigen Weg. Nur einmal versucht sie, sich ‚anzupassen’ [...]. Sie wird gelobt – und ist unglücklich. Ihre letzte Entscheidung gehört wieder dem Richtigerkannten, dem Komplizierten ... [...] Ich glaube, dass Menschen oft bereit sein können, ihre Ideale aufzugeben oder sogar ein Stück eigener Individualität, wenn es Schwierigkeiten für sie gibt. Unsere sozialistische Gesellschaft braucht aber Menschen, die eigenständig denken. Nur sie können schöpferisch arbeiten. Karla versucht, solch ein Mensch zu sein.“

Von der Zensur zunächst verstümmelt ist „Karla“ 1966 ganz verboten worden. Die Vorwürfe: Pessimismus, Skeptizismus, Geschichtsverfälschung. Vor allem: Keine Parteilichkeit erkennbar, klare Abweichung vom verordneten Stil des Sozialistischen Realismus. Vom damaligen Kameramann Günter Ost 25 Jahre später wieder rekonstruiert wurde der nun 128-minütige Film im Februar 1990 mit weiteren „Regalfilmen“ im Forum der erstmals in beiden Teilen der Stadt abgehaltenen 40. Berlinale erstmals präsentiert („lobende Erwähnung“ des Kritikerpreises Fipresci sowie der evang. Interfilm). Die offizielle Uraufführung fand am 14. Juni 1990 im (Ost-) Berliner International statt und selbst das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ kam neun (!) Tage später nicht umhin, „Karla bleibt sich treu trotz bitterer Erlebnisse“ zu titeln. Der Filmtext Ulrich Plenzdorfs war dagegen bereits 1978 im Ost-Berliner Henschelverlag erschienen („Karla. Der alte Mann, das Pferd, die Straße“). Für die TV-Erstausstrahlung sorgte der Hessische Rundfunk am 14. November 1990.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
3355 m, 134 min
Format:
35mm, 1:2,35
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 14.06.1990, Berlin, International

Titel

  • Originaltitel (DD) Karla
  • Weiterer Titel (DD) Wer zuletzt lächelt
  • Originaltitel (DD) Karla (Zensurfassung)

Fassungen

Original

Länge:
3355 m, 134 min
Format:
35mm, 1:2,35
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 14.06.1990, Berlin, International

Kurzfassung

Abschnittstitel
  • Originaltitel (DD)
  • Karla (Zensurfassung)
Länge:
102 min
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Aufführung (DE): 13.02.2016, Berlin, IFF - Retrospektive