Baby
Baby
Oliver Rahayel, film-dienst, Nr. 4, 19.02.2004
Ein Urlaub, ein Unfall: Der Ausflug zweier befreundeter Paare an die Nordsee endet mit einer Katastrophe. Die beiden Frauen kommen ums Leben, übrig bleiben die beiden Männer und die Tochter des einen. Einige Jahre später ist diese ein Teenager, den die beiden Männer in der gemeinsamen kleinen Wohnung aufgezogen haben. Aus den braven Bürgern sind Kleinkriminelle im Rotlichtmilieu geworden. Vor allem Frank, der Vater, gibt sich als Brutalo, während sich Paul eher in Sanftmut übt. Dann zerbricht das raue Idyll. Lillis ersten Liebhaber lehnt Frank rigoros ab; als der schwarze Junge seiner Tochter zu nahe kommt, dreht er durch und tötet ihn. Er wandert in den Knast, während sich Paul und Lilli näher kommen. Als sie schwanger wird, fahren sie zwecks Abtreibung nach Holland und landen wie zufällig am Ort des lange zurückliegenden Unglücks. Derweil bricht Frank aus der Haft aus und begibt sich auf die Suche nach den beiden Abtrünnigen.
Knochentrocken hat Philipp Stölzl seinen Film gestaltet. Die Dinge geschehen ohne Vorwarnung, und die Figuren agieren mit derselben Rücksichtslosigkeit wie das Schicksal selbst. Daher kann man nie wissen, was als Nächstes kommt, alles erscheint möglich. Zwar sind die Hauptfiguren in ihrer Kauzigkeit und ihrer etwas ungewöhnlichen Lebensweise durchaus liebenswürdig, und manche Verfehlung sieht man ihnen nach, dennoch wirken die drei nach außen hin ähnlich unangepasst wie die Addams Family oder die Munsters: Außenseiter, verstrickt in ihre Sicht der Dinge, nur in Maßen fähig zur Kommunikation mit der Restwelt. Am ehesten versucht noch Lilli, Kontakt mit anderen Menschen aufzunehmen, mit dem armen schwarzen Jungen oder mit einem jungen Holländer, der auf dem Campingplatz arbeitet, auf dem sie und Paul wohnen. Allerdings kann man sicher sein, dass auch das nicht gut geht. Diese sich in nahezu jeder Szene manifestierende Grundstimmung macht den Reiz des Kinodebüts aus, das in den besten Momenten an die brutalen Chaoten-Krimis eines Guy Richie erinnert. Wie dieser geschult in Musik- und Werbevideos, weiß Stölzl um die Möglichkeiten schneller Plots und Wendungen, von markanten Dekors und Einstellungsgrößen. Dennoch wirkt sein Film nicht wie ein Clip oder Spot. Was er sehr wohl versucht, ist eine Karikatur: vom Leben am Rande, ohne Chance auf Integration, und irgendwie auch von Filmen, die sich diesem Thema mit Ernst nähern. Denn ernst ist sein Film nicht, eher eine Art Meta-Film, der das Genre des deutschen Road Movies ebenso zitiert wie Szenen aus Krimiserien, die im "Milieu" spielen, ganz zu schweigen von den medial allgegenwärtigen Familiendramen. Da will Stölzl offenbar nicht hinein, er macht sich lieber darüber lustig – aber in Maßen. Wenn es dann doch irgendwie ernst und bedeutend wird, im zweiten Teil vor allem, fällt sein Film zwangsläufig ab. Der Humor weicht im Schlamm des Campingplatzes auf, und das zweideutige Verhältnis Paul- Lilli erscheint bald ausgereizt. Dennoch ragt "Baby", vor allem durch seinen Willen zur Rasanz, aus dem Mittelmaß deutscher (Action-)Komödien, Road Movies und Familiendramen heraus.