Das Leben der Anderen
"Man muss der inneren Wahrheit nachspüren"
Mit insgesamt sieben Auszeichnungen – darunter für den besten Spielfilm, die beste Regie und das beste Drehbuch – war "Das Leben der Anderen" der herausragende Gewinner beim Deutschen Filmpreis 2006. Drei Tage nach der Verleihung der Preise in Berlin stellte Regisseur und Autor Florian Henckel von Donnersmarck am 15. Mai 2006 seinen Film in der Reihe "Was tut sich – im deutschen Film?" im Kino des Deutschen Filmmuseums, Frankfurt a. M. vor.
Im Anschluss an die Vorführung diskutierte Florian Henckel von Donnersmarck mit Rudolf Worschech (epd Film) und dem Kinopublikum über Hintergründe und Motive seiner Arbeit. filmportal.de präsentiert Auszüge aus dem Gespräch.
Über das vermeintlich späte Interesse des Kinos an der DDR-Geschichte
Ich glaube, 1989 und unmittelbar danach war das Verhältnis zur DDR und ihrer Geschichte sehr angespannt. Das ist meistens nicht die beste Ausgangsposition, um eine Filmgeschichte zu erzählen. Es braucht einen gewissen Abstand, um sich der Sache ohne vorschnelles Urteil erzählend zu nähern, und es braucht auch eine gewisse Zeit, um sich dieses Thema anzueignen: Bevor ich überhaupt anfing, das Drehbuch zu schreiben, habe ich anderthalb Jahre nur recherchiert. Zu dieser Zeit waren die Stasi-Aktenbestände durch die Gauck und Birthler-Behörde schon sehr systematisch aufgearbeitet. Auch viele der Stasi-Leute wären zu einem früheren Zeitpunkt nicht so auskunftsbereit gewesen. Inzwischen hatten sie schon verstanden, dass sie für ihre Verbrechen nicht belangt werden, und waren deshalb bereit, sie mir im Detail zu schildern - was sehr wichtig war für den Film.
Über historische Hintergründe und den Charakter des Stasi-Hauptmanns Wiesler
Es hat tatsächlich Stasi-Leute gegeben, die ausgestiegen sind oder abtrünnig wurden. Meist ist das für sie sehr schlecht ausgegangen – nicht nur in der Poststelle beim Briefe aufdampfen. Es gibt zum Beispiel einen Fall, den die Birthler-Behörde mir als Tondokument zur Verfügung gestellt hat: Der Hauptmann Werner Teske wurde von seinem Vorgesetzten dabei erwischt, wie er in eine Akte schaute, die ihn eigentlich nichts anging. Man sagte ihm daraufhin, dass er seine Position nur retten könne, indem er wirklich alles erzähle. Dieser kurze Prozess ist auf einem Tonband aufgezeichnet worden und der Mann nahm seine Vorgesetzen beim Wort und erzählte alles: seine Bedenken und Zweifel am System und die Überlegung auszusteigen und damit die Stasi zu verraten. Und erst durch das, was er ihnen dort erzählte, bekamen sie dann genug Material beisammen, um ihn 1981 durch Nahschuss ins Hinterhaupt hinzurichten.
Es gab also Aussteiger, bei einer so großen Organisation gibt es letztlich alles. Natürlich ist die Geschichte des Hauptmann Wiesler aus meinem Film keine typische Geschichte, doch auch wenn es genau diese Figur so nicht gegeben hat, so verleiht sie trotzdem einer Hoffnung Ausdruck, dass man sich so hätte verhalten können. Ich glaube, dass man es Stasi-Leuten oder, vereinfacht gesprochen, Leuten in verbrecherischen Organisationen viel zu leicht macht, wenn man sagt: Sobald das Label "Stasi" auf Eurem Kopf ist, seid ihr einfach für die Menschheit verloren. Man hat immer die Möglichkeit sich zu entscheiden, und das versucht dieser Film zu erzählen.
Außerdem denke ich, dass tatsächlich viele Menschen in der DDR – und das habe ich auch bei einer Tour mit Ulrich Mühe und Sebastian Koch durch die neuen Bundesländer gemerkt – innerlich einen Weg gegangen sind wie der Hauptmann in diesem Film. Viele Menschen sind mit einem Glauben an die DDR groß geworden und mussten dann im Laufe der Zeit einfach erkennen, dass die Realität des SED-Staats nichts mit dem hehren Anspruch zu tun hatte, mit dem man einmal angetreten war. Und ich glaube, die Tatsache, dass sich viele Leute in einem passiven Widerstand vom System verabschiedeten, hat dazu geführt, dass es 1989 diese historisch einzigartige, friedliche Revolution geben konnte. Man muss dabei allerdings auch von der Volkspolizei, der Stasi und der Nationalen Volksarmee sprechen: Die hätten 1989 die Mittel gehabt, ein neues Peking, ein neues Prag, einen neuen 17. Juni anzurichten. Es gab nichts dergleichen, weil die Leute einfach nicht mehr an das System glaubten.
Über dramatische Konstellationen und die Entwicklung der Figuren
Es geht mir letztlich um Veränderung. Ich mache Filme nicht primär um eine Aussage zu machen, sondern um eine Geschichte zu erzählen. Doch wenn der Film eine Aussage hätte, dann wäre es diese: Menschen verändern sich. Das entspricht auch meiner Überzeugung.
Man muss sich im Leben entscheiden, ob man ein Prinzipienmensch ist oder ein Gefühlsmensch. Das ist tatsächlich eine Skala, auf der sich jeder von uns Tag für Tag einordnen muss, wenn er in eine moralische Entscheidungssituation gerät: Bin ich jetzt jemand, der nach Prinzip vorgeht, oder mache ich, was sich gerade richtig für mich anfühlt. Wahrscheinlich sind beide Extreme falsch, und die Wahrheit liegt ganz langweilig in der Mitte.
Aber Extreme sind ja meistens gute Ausgangspunkte für Filme und deshalb habe ich hier halt zwei ganz extreme Figuren genommen. Einmal Wiesler als extremen Prinzipienmenschen, der für sich irgendwann begriffen hat: Der Sozialismus ist das woran ich glaube, und für diesen Glauben kämpfe ich. Und dieser Zweck heiligt die Mittel. Und auf der anderen Seite Dreymann, der nicht wirklich Position bezieht, eigentlich für alles Verständnis hat und mit einem Bonzen genauso auskommt wie mit seinem Freund, der Berufsverbot hat. Der dann aber erkennen muss: Irgendwann musst Du Position beziehen, sonst bist Du kein Mensch.
Diese beiden Figuren nähen sich einander an: Wiesler rückt etwas ab von seinem Prinzip, und Dreymann findet ein bisschen mehr zum Prinzip hin. Das war die Grunddynamik, alles andere sind unterschiedliche Formen und Schattierungen davon, wie man mit organisierter Macht umgeht und wie sie auf Menschen wirkt.
Christa-Maria, die Figur von Martina Gedeck, etwa ist zu sensibel für die vielen Abhängigkeiten, in denen sie leben muss. In einem freien System wäre sie vielleicht eine glückliche Künstlerin geworden, so hingegen zerbricht sie. Eine Figur wie der Minister Hempf dagegen, dass ist eine Art Mensch, wie es sie immer und überall in jedem System gibt. Ihnen ist Ideologie eigentlich ziemlich egal, für sie zählt nur die eigene Macht. Ulrich Tukur wiederum spielt den Oberstleutnant Grubitz, einen Menschen, der über einen so sicheren Instinkt verfügt, dass er sogar weiß, wann er seinem Instinkt misstrauen muss. Vielleicht liegt es an meiner besonderen Liebe zu Ulrich Tukur, dass ich selbst diese fiese Figur noch irgendwie mag. Grubitz bleibt charmant, obwohl er so ein Widerling ist. Im Grunde habe ich also überlegt, was gibt es für Möglichkeiten, in solch einem System zu funktionieren und wie könnten sich Menschen dazu verhalten. Daraus habe ich die Schattierungen entwickelt.
Über die Bedeutung von Ausstattung und Look
Auch wenn man sich eines Stoffes annimmt, bei dem man nicht auf den ersten Blick an Schönheit denkt, ist es mir sehr wichtig, dem darin beschriebenen Milieu und Umfeld eine eigene Schönheit abzugewinnen, die aber natürlich authentisch sein muss. Zu diesem Zweck haben die Szenenbildnerin und ich uns über fast ein halbes Jahr hinweg Fotobände angeschaut, denn die Fotokunst war in der DDR kaum der Zensur unterworfen. Deshalb findet man dort eine sehr umfangreiche Dokumentation der DDR.
Anhand dieses Materials haben wir versucht herauszufinden: Was sind hier die Tendenzen? Zum Beispiel in der Farbenwelt. Es gab tendenziell mehr Grün als Blau, es gab mehr Orange als Rot, es gab sehr viel Beige und sehr viel Grau. Und dann sagten wir: Verstärken wir die Tendenzen, um diese ganz eigene, seltsame Schönheit herauszuarbeiten. So haben wir Rot und Blau komplett aus dem Konzept gestrichen – es gibt in der gesamten DDR-Zeit dieses Films keinen blauen oder roten Gegenstand.
Ich glaube, dass hat sich sehr bewährt, denn als wir durch die DDR getourt sind, haben die Leute gesagt: Ja, genauso war es. De Facto war es nicht genauso, aber in der Erinnerung ist es genauso. Denn das Wichtigste ist ja, der inneren Wahrheit des Ganzen nachzuspüren. In der Erinnerung verstärken sich die Tendenzen, und das haben wir hier versucht abzubilden.
Etwas anderes, das mir auf den ganzen Fotos auffiel, war die Leere. Alles in der DDR war wirklich sehr viel leerer als bei uns - das hatte auch eine ganz eigene Form von beruhigender Schönheit. Deshalb haben wir immer gesagt, "wenn uns etwas stört, nehmen wir es im Zweifel raus". Dadurch wurde es immer leerer. Und: Wir haben nicht alles abgelichtet, was es gab, aber alles, was wir abgelichtet haben, gab es.
Über das Arbeitscredo
Letztendlich machen wir ja alle nur die Filme, die wir selber sehen wollen. Es gibt eigentlich nur zwei Kategorien von Filmemachern: Die, die letztendlich aus einem Kalkül heraus denken "so was wollen die Leute sehen" und dann irgendwelche Filme machen, die sie nicht mal selbst sehen wollen. Und das merkt man – finde ich – einem Film nach ein paar Minuten an - und das ekelt mich wirklich an.
Und es gibt Leute, die sagen: Okay, ich nehme mich selbst zum Maßstab, hoffe, dass ich nicht allzu anders ticke als meine Freunde und die anderen Zuschauer, und mache jetzt mal den Film, der mich interessiert.
Über Vorbilder, Prägungen und den deutschen Film
Neulich fragte eine Zeitung bei mir an, ob ich anlässlich des runden Geburtstags von Rossellini nicht etwas schreiben wolle, da sie sich vorstellen könnten, dass er mein Werk sehr geprägt hat. Ich habe zurückgeschrieben "eher nicht", denn zwar habe ich auf der Filmhochschule einige seiner Filme gesehen, aber das hat mich jetzt nicht geprägt. Vielleicht wenn Peter Weir einen runden Geburtstag hat, oder Robert Zemeckis, oder auch Elia Kazan, dann würde ich mich sehr freuen wenn ich da etwas schreiben dürfte.
Aber ich bin ein großer Gegner von stilistischen Hommagen, weil man dabei letztlich das Werk eines Anderen über das eigene stellt. Man muss ja als Filmemacher eigentlich größenwahnsinnig sein und sagen: "Ich erzähle es nur genau so wie ich es sehe". Ich bin zu unbescheiden und zu größenwahnsinnig um ein Vorbild oder einen Lehrmeister zu haben. Was jedoch nicht heißt, dass es keine Regisseure gibt, deren Werk mich inspiriert.
Bei der alten Generation der deutschen Autorenfilmer habe ich manchmal das Problem, dass ich bei einigen Filmen den erhobenen Zeigefinger spüre. Ich mag Filme, die eine Geschichte erzählen wollen und das Urteil dem Zuschauer überlassen, ihn nicht bevormunden. Aber es gibt schon deutsche Filme, die mich ungeheuer beeindruckt haben. Ich erinnere mich, wie ich, als "Lola rennt" herauskam, ganz am Anfang der Filmschule stand und gleich in der ersten Woche ins Kino ging. Und ich sah diesen Film und war völlig weggefegt vor Begeisterung. Ich bin drei Vorstellungen hintereinander im Kino geblieben und hatte wirklich das Gefühl: "Okay, unser Messias ist geboren, er heißt Tom Tykwer". Das war für mich ein sehr prägendes Filmerlebnis.
Oder "Jenseits der Stille", den ich auch in meinem ersten Jahr auf der Filmschule gesehen habe. Von der Sinnlichkeit, Schönheit und Eleganz her war dieser Film sehr groß und hat mich sehr beeindruckt. Ich fand auch "Good Bye, Lenin" toll: Ich habe gelacht und war gerührt und es hat mich überhaupt nicht gestört, dass der Film politisch – wenn man denn eine Aussage sucht – eine sehr andere Aussage macht als mein Film. Ich finde beides hat völlig seine Berechtigung.
Ich habe eigentlich nicht so kleine Geheimtippfilme. Wenn ich einen Film fantastisch finde, dann ist es meistens ein Film, den fast alle fantastisch finden.