Fateless - Roman eines Schicksallosen
Fateless – Roman eines Schicksallosen
Michael Kohler, film-dienst, Nr. 11, 2005
Am Ende bleibt der Heimkehrer mit seinen Erfahrungen allein. György Köves hat die Vernichtungslager von Buchenwald und Auschwitz überlebt, die Erniedrigungen, den alltäglichen Hunger, das elende Dahinsiechen, zuletzt den allgegenwärtigen Tod. Nun steht er wenige Wochen nach der Befreiung im Sträflingshemd in der Straßenbahn von Budapest Die Anteilnahme eines Fahrgastes, der Buchenwald mit Dantes Höllenkreisen vergleicht, lehnt er mit der selben tonlosen Stimme ab, mit der er zuvor die spöttischen Zweifel eines anderen erduldet hatte. "Die Hölle gibt es nicht", sagt György. "Nur die Lager." Aus dem Off wird er noch hinzufügen, dass es für ihn auch keinen Himmel mehr gibt und kein Leben dazwischen – überhaupt nichts außerhalb des Stacheldrahts. Für den 15-Jährigen ist der Alltag in den Todesfabriken zur Normalität geworden, zur eigentlichen Heimat, die alles andere ausgelöscht hat. Selbst wenn er sich an das Glück erinnert, fällt ihm nur die Sonne über Auschwitz ein.
Es ist vielleicht die größte Enttäuschung von "Fateless - Roman eines Schicksallosen", dass Lajbs Koltai sein Publikum mit diesem bestürzenden Resümee entlässt und zuvor keine Bilder gefunden hat, die es einem begreiflich machen würden. Zwar sieht man seiner Verfilmung eines autobiografisch motivierten Romans von Imre Kertesz an, dass er sein Handwerk als Kameramann versteht, doch um den Stoff zu diesem Ende hin zu formen, hätte es mehr bedurft als die teils beflissene, teils biedere Illustration einer jüdischen Passionsgeschichte. Jede Episode ist bei Koltai nicht viel mehr als eine mit historischen Insignien ausstaffierte Filmbühne, jeder Ort eine beliebige Ansichtspostkarte des Unvorstellbaren. Auf die letzten Tage der Kindheit folgt das bange Warten der Familie, dann die beinahe zufällige Deportation und schließlich der absurde Verschiebebahnhof des Todes, durch den György von einem Lager zum nächsten geschafft wird. Dass die Bilder zu Sepia erbleichen, sobald die Irrfahrt der Hauptfigur ihr Ziel in einem deutschen Vernichtungslager findet, mag man als ästhetisches Zeichen der Pietät interpretieren – am schalen Gesamteindruck ändert es nichts. Auf der Pressekonferenz der "Berlinale" 2005 deutete Imre Kertesz an, er habe das Drehbuch zu "Fateless" nur geschrieben, um ein bereits bestehendes, schlimmeres zu verhindern. Was immer man von diesem Bekenntnis des Nobelpreisträgers halten mag, es weckt doch das Interesse am verworfenen Werk. Denn obwohl jede Adaption von "Roman eines Schicksallosen" ein schwer kalkulierbares Risiko dargestellt hätte, bietet Koltais Arbeit, so missglückt sie sein mag, immerhin Anhaltspunkte für einen anderen, besseren Film. Die Frage, warum man überhaupt versuchen sollte, sich ein realistisches Bild des Holocaust zu machen, wird vom Regiedebütanten nämlich durchaus überzeugend beantwortet: "Fateless" ist die bewusste Pervertierung des klassischen Bildungsromans, in dem der Protagonist die Stationen seines Lebens als Erziehung des Herzens zu akzeptieren lernt. Diese Form eines ins Negative gewendeten Erzählens wäre es wert, erkundet und mit filmischem Leben erfüllt zu werden. Leider war Lajos Koltai nicht der geeignete Mann dafür.