Offset
Heirat auf rumänisch
Daniel Kothenschulte, Frankfurter Rundschau, 02.11.2006
Es ist nicht lange her, da konnte man im deutschen Kino schon einmal die Orientierung verlieren. Selten erkannte man die Spielorte wieder. Namenlose Städte flossen ineinander, weil man dort drehte, wo gerade eine Filmförderung stand. "Man würde ja gerne etwas von Deutschland sehen," erklärte eine amerikanische Einkäuferin Mitte der 1990er Jahre ihre Zurückhaltung. "Aber ihr versteckt es ja geradezu." Heute sagt das niemand mehr. Selbst Provinzstädte wie Wuppertal lassen sich als Filmschauplätze feiern. Im Jahr des "Sommermärchens" ist das deutsche Kino ein Deutschlandkino geworden. Das ist nichts Schlechtes, wenn man an den Lokalpatriotismus der Berliner Schule denkt. Aber es ist eben auch nicht alles.
Didi Danquarts "Offset" fügt sich nicht in diesen Patriotismus. Seine dramatische Farce setzt sich ab und sucht den Anschluss an ein europäisches Kino, das über jene Grenzen hinaus verstanden werden will, aus denen es seine Konflikte bezieht. Der Schauplatz Bukarest hat es noch nicht in die oberste Hitliste des west-östlichen Städtetourismus geschafft.
Volkstümlicher Surrealismus
Zufällig stammt die Schauspielerin Alexandra Maria Lara aus dieser Stadt. Dass es sie dorthin zurück zog, auch in die Sprache ihrer Kindheit, machte diesen Film überhaupt möglich. Sie spielt eine Dolmetscherin, die sich darauf freut, ihren deutschen Freund zu heiraten, der in der Druckerei, die sie beschäftigt, als Ingenieur arbeitet. Längst hat sie für die neue Liebe dem Chef, der einmal ihr Liebhaber war, den Laufpass gegeben, doch der mag nicht mehr von ihr lassen. Man vermutet ein Stück finsterer osteuropäischer Folklore in diesem Abhängigkeitsverhältnis. Aber das ist natürlich bereits ein nationales Vorurteil. Tatsächlich gewinnt der vor Eifersucht zum Berserker auflaufende Patriarch ein ganz erstaunliches Profil. Der rumänische Star Razvan Vasilescu mischt gerade so viel Liebe in den gewaltbereiten Wahnsinn, dass man nicht anders kann, als auch diesen zu verstehen.
Es bedarf gar nicht der nachgereisten deutschen Spießerfamilie, um dem liebevollen Bräutigam immer weniger Sympathien entgegen zu bringen. Es ist gar nicht die Frage, ob man sich zwischen einem deutschen Vernunftmenschen oder einem rumänischen Bilderbuchmacho entscheiden soll. Man entscheidet sich zwischen zwei Kinotraditionen und plötzlich steht einem der Sinn nach einer aberwitzigen osteuropäischen Farce. Nach jenem volkstümlichen Surrealismus wie man ihn zwischen Tschechien und Georgien, Ungarn und dem Balkan immer wieder in Gegenwartssatiren antreffen kann - und auch in Rumänien. Dort inszenierte der Drehbuchautor dieses Films, Cristi Puiu, im vergangenen Jahr mit der Krankenhaussatire "The Death of Mr. Lazarescu" ein hervorragendes Beispiel der Gattung. Überall auf der Welt wurde das Zweineinhalb-Stunden-Werk gefeiert, nur nicht in Deutschland. Hier, wo die Filmkunst nurmehr "Arthouse" heißt, gehen die Verleiher auf Nummer sicher. Osteuropa steht schon lange nicht mehr auf der Suchliste.
Didi Danquarts Film rutscht durch, da er gewissermaßen einen deutschen Pass vorweisen kann. Damit schickt er uns auf eine Reise in ein Kino ohne Grenzen, das es nur gibt, weil jemand Menschen zusammengebracht hat, die es intuitiv erfassen. Die wie Alexandra Maria Lara in ihrer bislang besten Darstellung aus reiner Neugier zu sich selber finden. Man kann einiges an "Offset" kritisieren, ganz bestimmt das Tarantino-eske, allzu dramatische Finale. Was zählt aber ist die Neugier und Beharrlichkeit des Regisseurs, nach einer anderen Farbe im Weltkino zu suchen. Und ein Schlupfloch zu finden im Lattenzaun des Deutschlandkinos.
© Daniel Kothenschulte