Weite Straßen - stille Liebe
Alltag aus DEFA-Sicht.
Jener Maxime, mit der Herrmann Zschoche (35) das Wesen seines heiteren Vorjahres-Films "Leben zu zweit" charakterisierte, ist er auch in seinem jüngsten Lichtspiel treu geblieben: "Wir haben uns bemüht, nichts Aufgesetztes, sondern ganz Alltägliches zu zeigen." Er blickt in den Alltag dreier Menschen unseres Landes, die einander zufällig begegnen, ein Stück ihres Lebensweges miteinander gehen, dadurch reicher, schöner werden. (…)
Herrmann Zschoche und seinem Drehbuchautor Ulrich Plenzdorf – er holte sich Motive aus der Erzählung "Endlose Straßen" von Hans-Georg Lietz – geht es nicht um einen herkömmlichen Dreieckskonflikt oder um Charakterfragen schlechthin. Sie führen liebenswerte Helden vor und konfrontieren ihren Lebensanspruch mit den Möglichkeiten wie Verpflichtungen einer sozialistischen Persönlichkeit hierzulande. Sie registrieren dabei, daß Verhalten und Ziel Hannes und Herb für das Heute um einige Nummern zu klein ausfallen: Der eine sieht nur die Welt von seinem Lenkrad aus, der andere läßt sich treiben, scheut ein festes Ziel. Die selbstbewußte Johanna wird für beide zum Katalysator. (…)
Es stimmt sympathisch, mit welcher Selbstverständlichkeit der Film unseren Alltag beschreibt, daß er sich durch einen heiteren Grundton mitteilt, durch Schlichtheit ebenso wie durch Optimismus. Zschoche ist ein Regisseur der leisen Töne, des hintergründigen Feingefühls, der herben Poesie. Wenn er sich zur Beschreibung des Alltags bekennt, dann versteht er darunter auch das Milieu seiner Helden: Wohnungen Appartements, Raststätten statt Luxushotels … diese Authentizität der Schauplätze, der nahezu dokumentare Stil des Films überhaupt, ist vor allem Roland Gräfs schmucklos anmutender, doch auf Lebensfülle bedachter Kameraführung zu danken, die bereits in "Leben zu zweit" anklang, in Frank Vogels "Das siebente Jahr" entscheidend zur konsequenten Lebensnähe des Films beitrug.
Trotz dieser Positiva: Ein völlig einheitlicher, künstlerisch gänzlich überzeugender Film wurde "Weite Straßen – stille Liebe" nicht. Anscheinend wurde das Streben, "ganz Alltägliches zu zeigen", mit weitgehender Handlungsarmut gleichgesetzt; denn die dramatische Grundsituation – und mit ihr der gebotene Wirklichkeitssausschnitt – ist einfach zu klein, zu bescheiden gehalten, um den ohnehin nur 75 Minuten kurzen Film ausfüllen zu können. So zerfällt er zu sehr ins Episodische und ins Epische zugleich. Prägnant offenbart sich das in den häufigen, langen Fernfahrtsszenen, wohl als "Poesie vieler Landschaften" gemeint, die aber zumeist kaum handlungsfördernd und gestalterisch einförmig sind, so daß sie letztlich monoton wirken (Ulrich Thein fand für derartige Passagen in seinem im gleichen Milieu beheimateten Fernsehfilm "Unbekannte Bürger" weitaus filmischere Lösungen). (…)
Daß Zschoche sensibel und umsichtig Schauspieler zu führen und zu gehaltvollen Leistungen anzuregen vermag (was seine vorangegangenen Filme bewiesen), das steht dem neuen Film sehr wohl an. Der Verzicht auf Aktion, die Bloßlegung der Psyche, des geistigen Antlitzes der Filmgestalten erforderte ein verhaltenes, ein hintergründiges Spiel. Manfred Krug wie Jaecki Schwarz gelang es fabelhaft.
Krug zeichnet den Hannes als einen legeren, brummigen, auch maulfaulen, aber schlagfertigen Kraftfahrer, der hinter nüchternen Worten berechtigten Stolz auf sein großes Gestern, das "Alibi" für sein anspruchsloses Heute, verbirgt, der aber durch die beiden Begegnungen erkennt, daß er geistig stehengeblieben, emotionell verarmt ist – und der ohne viel Aufsehen sich bewußt zu ändern beginnt.