Black Box BRD
Black Box BRD
Ulrich Kriest, film-dienst, Nr. 11, 22.05.2001
Am 30.11.1989 fällt Alfred Herrhausen, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, einem Bombenattentat zum Opfer. Einige Tage später trifft ein Bekennerschreiben der RAF ein. Die Täter konnten bis heute nicht ermittelt werden. Am 27.6.1993 stirbt Wolfgang Grams auf den Gleisen des Bahnhofs von Bad Kleinen im Rahmen eines Zugriffs der GSG 9. Todesursache: ein aufgesetzter Kopfschuss. Die genauen Todesumstände sind bis heute nicht geklärt. Eine Häufung von Ermittlungspannen und Vertuschungsversuchen der zuständigen Behörden führten seinerzeit zu den Rücktritten von Generalbundesanwalt von Stahl und Innenminister Kanther.
Die Hintergründe beider Ereignisse, das offen Skandalöse – etwa die von Herrhausen vertretene Politik der Deutschen Bank während der 70er- und 80er-Jahre oder die Umstände des Todes von Grams – , werden in „Black Box BRD“ vorausgesetzt, höchstens am Rande thematisiert. Stattdessen versucht der Film, die beiden Biografien, die auf den ersten Blick so gar nichts miteinander zu tun haben, behutsam zu rekonstruieren. Da ist der alerte, dynamische Vertreter des Großkapitals, der nach dem Besuch einer NS-Eliteschule einen kometenhaften Aufstieg im Management der alten Bundesrepublik Deutschland absolviert und dabei allmählich zum Global Player mit sozialem Bewusstsein wird. Da ist der aus kleinbürgerlichen Verhältnissen Stammende, der nach dem Zivildienst ein Mathemathik-Studium abbricht, sich in der linksradikalen Szene engagiert und 1984 in den Untergrund abtaucht. Andres Veiel hat die Familien, Freunde und Bekannte der beiden Toten befragt, und sein Film zeigt mit sehr präzisen Mitteln, wie Menschen in der erinnernden Erzählung zusammengebastelt werden – und wie doch immer weiße Flecken bleiben. Warum ist Wolfgang Grams nicht Förster oder Pastor geworden? Warum hat er sich 1984, als die Politik der RAF sowohl praktisch als auch theoretisch kaum noch vermittelbar war, entschieden, in die Klandestinität abzutauchen? Warum hat sich in Bad Kleinen zur Flucht entschieden? Warum war Alfred Herrhausen, sozusagen auf der Höhe der Macht, bereit, seine glänzende Karriere einer Liebesaffäre zu opfern? Wie bereits bei seinem Film „Die Überlebenden“ (fd 32 143) interessiert sich Veiel mit vorzüglicher Aufmerksamkeit für die biografischen Konstellationen, die es (vielleicht) erlauben, von einer Weichenstellung zu sprechen: Beide Figuren behalten letztlich ihr Geheimnis, aber trotzdem ist der Film über weite Strecken so spannend wie ein Krimi.
Vor dem Hintergrund der derzeit grassierenden RAF-Mode-Welle, die von der Politik (Fischer, Trittin, Buback) über Literatur (Leander Scholz) und Zeitgeist-Mags („Tussi DeLuxe“) bis zur Popmusik (Jan Delay) und dem Film (erst Schlöndorff, jüngst Petzold, demnächst Roth) (fast) die gesamte Klaviatur an denkbaren Umgangsweisen und Tonlagen abdeckt, wirkt Veiels Dokumentation wie eine Intervention, die besonnen und souverän auf die aufklärerischen Qualitäten einer ästhetisch avancierten Oral History hinweist, in ihrer Besonnenheit allerdings vor dem Hintergrund zahlreicher Fernsehdokumentationen unspektakulär, aber grundsolide daher kommt. Veiel bedient sich beim mittlerweile üblichen Repertoire von Quellen, führt Interviews, verwendet bekanntes Archivmaterial aus dem Fernsehen, historisches Musikmaterial zur Illustration („In A Gadda Da Vida“), aber auch als Kommentar („It’s a Man’s World“) und hatte das Glück, auf privates Super8-Filmmaterial zurückgreifen zu können, was seinem Diskurs eine bemerkenswerte Tiefendimension verleiht. „Black Box BRD“ nutzt seine unkonventionelle Länge zur Ausbreitung des Materials in einem Maße, das erneut belegt, wie sehr die fixen Programmstrukturen des Fernsehens fast nur noch formelhafte Oberflächlichkeit zulassen: die mediale Reproduktion des Immergleichen. So fern es das gewählte Verfahren der Rekonstruktion mit ihren konstitutiven Limitationen zulässt, kommt „Black Box BRD“ der Aufzeichnung von Erinnerungsarbeit der Überlebenden sehr nahe. Mit Geduld und Sensibilität für die Alltagsinszenierungen der Interviewpartner in ihren Lebensräumen beschreibt Veiel die Konflikte des Films auch als Ausdruck einer Klassengesellschaft. Die Lebenswelten von Grams und Herrhausen hatten buchstäblich keinerlei Berührungspunkte.
Ausgangspunkt der Recherche, die sich als Fortsetzung und Ergänzung von „Die Überlebenden“ sehen lässt, war die Nähe, die Freunde Veiels seinerzeit zu Positionen der RAF hatten. Der Zorn auf die Arroganz des „Juste Milieu“ in der alten Bundesrepublik ist an einigen Stellen deutlich spürbar, zum Beispiel bei einer gespenstischen, inhuman-zynischen Ansprache des Ex-Bundeskanzlers Helmut Schmidt nach dem Tod von Holger Meins. Allerdings verschwimmt die anfangs klare Schwarz-Weiß-Struktur: So rückt Herrhausen, der bereit war, seine Karriere zu einem bestimmten Zeitpunkt einer Liebe zu opfern, dem Zuschauer näher, während Grams auch nicht nachvollziehbare Züge erhält, womit sich die Ausgangskoordinaten der Recherche verschieben. In einem prägnanten Motiv fasst der Film den Lernprozess der Recherche zusammen: Wenn die Gruppe von schweren Limousinen, die wiederholt im Film erscheint, zunächst als Insignien einer Macht ohne Bodenhaftung wahrgenommen wird, erscheint sie am Schluss fast schon als Letztes verbliebenes Residuum des einsamen Herrhausen. Trotzdem: Die Black Box, der Flugschreiber, der die Umstände der Katastrophe aufgezeichnet hat, bleibt verschwunden. „Black Box BRD“ sammelt Indizien, Spuren, Hinweise, zielt aber redlicherweise auf kein stimmiges Bild.