Gendernauts
Filmtipps zum Coming Out Day
Quelle: Edition Salzgeber, DFF, © Salzgeber & Co. Medien GmbH, Jünglinge Film |
Benjamin Radjaipour in "Futur Drei" (2019) |
Jedes Jahr am 11. Oktober wird in vielen Ländern der Welt daran erinnert, dass das Coming-out – ob für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*-Personen oder alle anderen Queers (kurz auch LGBTQ+) – nichts an Relevanz verloren hat. Die Sichtbarkeit von Leben und Lieben jenseits von Heteronormativität oder binärer Geschlechterordnung ist essentiell für all jene, die merken oder auch nur vage ahnen, dass ihre Sexualität oder geschlechtliche Identität nicht der vorgegebenen Norm entspricht. Es braucht sichtbare Vorbilder, deren Geschichten und Erfahrungen Mut machen, die alternative Lebensentwürfe aufzeigen können, in unserer Gesellschaft, in der Menschen immer noch automatisch als cis-hetero gelten, bis sie sich gegenteilig äußern. Auch fördert die Sichtbarkeit von LGBTQ+ gesellschaftliche Akzeptanz.
Ob, wann und wie ein Outing möglich ist, wird bis heute von einer Vielzahl von Faktoren und Voraussetzungen beeinflusst. Eine Rolle können Alter, Kulturkreis, Wohnort, privates und berufliches Umfeld spielen. Immer noch gibt es viele Länder, in denen LGBTQ+-Menschen strafrechtlich verfolgt werden oder gar von der Todesstrafe bedroht sind, und im Zuge des zunehmenden Rechtspopulismus werden mancherorts errungene Rechte von Nicht-Heterosexuellen wieder eingeschränkt. Vieles in der eigenen Lebenssituation hat Einfluss darauf, ob ein Coming-out leichter oder schwerer fällt – oder ob es überhaupt denkbar ist. Die Begegnung mit neuen Menschen in neuen Zusammenhängen, kann es zudem oft erfordern, sich immer wieder aufs Neue zu bekennen. So bleibt ein Coming-out also nie ein einmaliger Akt.
Unsere kleine Zusammenstellung von Filmtipps rund um das Thema Coming-out und seine vielfältigen Facetten lädt Nicht-Queers und Queers gleichermaßen zum (Wieder-)Entdecken ein und soll all jenen Mut machen, die darüber nachdenken, sich zu outen. Denn eines ist vielen, zumindest in weiten Teilen der westlichen Gesellschaft, gemein: Das Gefühl der Befreiung, dass sich nach einem Coming-out oft einstellt – offen leben zu können und sich nicht länger verstecken zu müssen.
"Ich bin Anastasia"
Deutschland 2019. R: Thomas Ladenburger, Dokumentarfilm, 95 Min. Verfügbar auf DVD.
Erst seit dem Jahr 2000 können sich LGBTQ-Soldat*innen offen zu ihrem Anderssein bekennen, davor mussten sie damit rechnen degradiert oder gar entlassen zu werden. Dass die Zeit des Versteckens auch bei der Bundeswehr immer mehr der Vergangenheit angehört, zeigt der mit mehreren Preisen ausgezeichnete Dokumentarfilm über Oberstleutnant Anastasia Biefang, deren Coming-out als trans* zwar für Aufsehen sorgte, aber keine Karriereeinbußen bedeutete: Befördert zur Vorgesetzen des Informationstechnikbataillons im brandenburgischen Storkow ist sie die erste Transgender in der Geschichte der Bundeswehr, die diesen Posten bekleidet.
"When Night is Falling"
Kanada 1995. R: Patricia Rozema. D: Pascale Bussières, Rachael Crawford. 95 Min.
Als ein Klassiker des lesbischen Kinos erzählt "When Night Is Falling" von der Dozentin Camille, die kurz vor der Beförderung an einem konservativen christlichen College steht und einen Verlobten hat. Von ihrem bislang so geordneten Leben muss sie sich nach und nach verabschieden, als sie sich in die Zirkusartistin Petra verliebt. Regisseurin Patricia Rozema ist eine Vertreterin der Toronto New Wave, jener Generation anglokanadischer Filmemacher*innen, die seit Ende der 1980er Jahre mit unkonventionellen Filmen für den internationalen Durchbruch des kanadischen Kinos sorgten. Im Oktober widmet das Kino des DFF ihr eine kleine Filmreihe.
"Futur Drei"
Deutschland 2019. R: Faraz Shariat, D: Benjamin Radjaipour, Eidin Seyed Jalali, Banafshe Hourmazdi, 92 Min. Aktuell im Kino.
Parvis, Sohn iranischer Eltern und in Deutschland geboren, ist das was man gemeinhin als "out and proud" bezeichnet, seine gleichgeschlechtlichen Neigungen versteckt er weder vor den Eltern noch vor seinem Umfeld. Beim Ableisten von Sozialstunden in einem Flüchtlingsheim, lernt er die iranischen Geschwister Amon und Banafshe kennen. Die wachsende romantische Anziehungskraft zwischen Parvis und Amon, stellt die zerbrechliche Beziehung der drei auf die Probe und legt schon bald ihre ganz unterschiedlichen gesellschaftliche Hintergründe offen. In seinem kraftvollen, mit popkulturellen Referenzen gespickten Debütfilm, der auf der Berlinale Premiere feierte, verarbeitete Faraz Shariat seine eigenen Erfahrungen als Migrant zu einer preisgekrönten Studie über Sexualität und Identität im Deutschland der Gegenwart.
"Gendernauts"
Deutschland 1999. R: Monika Treut, Dokumentarfilm, 87 Min. Verfügbar auf DVD.
Monika Treut, eine Ikone des queeren Kinos, portraitiert in ihrem 1998 in San Francisco entstandenen Dokumentarfilm verschiedene Menschen, die über ihr Coming-out als trans* und den sich daraus ergebenen Lebenssituationen und Erfahrungen sprechen. Wie in allen ihren Filmen, problematisiert Monika Treut das Leben ihrer Protagonist*innen abseits der vermeintlichen gesellschaftlichen Norm nicht, sondern verfolgt in ihrer Darstellung einem bejahenden, humanistischen Ansatz. In Interviews zu Wort kommen unter anderem einflussreiche Trans*-Akademiker*innen wie Sandy Stone und Susan Stryker.
"Sommersturm"
Deutschland 2004. R: Marco Kreuzpaintner, D: Robert Stadlober, Kostja Ullmann, 98 Min. Verfügbar bei mehreren Streaming-Anbietern.
Diese leichte Sommerkomödie mit ernsten Untertönen ist das, was sich als ein klassischer Coming-out-Film bezeichnen lässt: Tobi ist heimlich in seinen besten Freund Achim verliebt, der allerdings nur Augen für seine Flamme Sandra hat. Im Zeltlager des Rudervereins erklärt dann auch noch Anke Tobi ihre Liebe. So muss dieser fortan nicht nur dem verliebten Turteln von Achim und Sandra zusehen, sondern – eigentlich so gar nicht an Frauen interessiert – sich auch noch subtil Ankes Avancen erwehren. Die Lage für Tobi wird nicht einfacher als in direkter Nachbarschaft die schwule Rudermannschaft "QueerSchläger" ihre Zelte aufschlägt, deren Mitglieder so gar kein Blatt vor den Mund nehmen. Eigentlich also genau die Vorbilder, die Tobi in seiner Situation so dringend braucht…
"Rafiki"
Kenia 2018. R: Wanuri Kahiu, D: Samantha Mugatsia, Sheila Munyiva, Jimmi Gathu. 83 Min. Verfügbar bei mehreren Streaming-Anbietern.
Vom Kenya Film Classification Board wurde der Coming-out-Film von Regisseurin Wanuri Kahiu "wegen seines homosexuellen Themas und der klaren Absicht, das Lesbentum in Kenia zu fördern" verboten. Eine Kopie des Films zu besitzen, kann mit Gefängnisstrafe geahndet werden. Denn so gewöhnlich eigentlich die Geschichte einer ersten Liebe sein müsste, so ungewöhnlich ist sie dann doch, wenn tradierte Geschlechterrollen und Heteronormativität in Frage gestellt werden: Die Skateboard fahrende Kena und Ziki mit den knallbunten Dreadlocks sind ineinander verliebt, träumen vom Reisen und Studieren, sowie der Freiheit, sich offen zu ihrer Liebe bekennen zu können – und lassen sich so schnell nicht unterkriegen! Weitere Infos und pädagogisches Begleitmaterial zum Film für den Einsatz im Schulunterricht gibt es bei visionkino.de.