Lichter

Deutschland 2002/2003 Spielfilm

Lichter

Hans-Christian Schmid erzählt von Menschen an der Grenze



Rainer Gansera, epd Film, Nr. 8, 02.08.2003


Mit "Nach fünf im Urwald", seinem Kinodebüt, machte Hans-Christian Schmid 1995 auf sich aufmerksam, es folgten "23" und "Crazy". Mit seinem neuen Film "Lichter", der auf der Berlinale Premiere hatte , hat er sich von seinem bisherigen Thema, dem Erwachsenwerden, gelöst.

Hans-Christian Schmids vierter Kinofilm ist sein bester, radikalster, düsterster. "Lichter" erzählt von irrlichternden Schicksalen an der Wohlstandsgrenze, von kleinen Leuten, die das große Glück erhaschen wollen und sich selbst die Hölle bereiten. Teufelskreise: Verratene werden zu Verrätern, Betrogene zu Betrügern. Fünf lose miteinander verknüpfte, mosaikartig verschachtelte Episoden, die sich an zwei Spätsommertagen im Umkreis der deutsch-polnischen Grenze bei Frankfurt/Oder und Slubice abspielen. Fünf Geschichten vom Scheitern, Verlieren, Desillusioniertwerden. Immer schon erkundeten Schmids Filme das Drama von Illusion und Enttäuschung, von Verblendung und Ernüchterung. Aber sie waren komödiantisch aufgehellt und hatten versöhnende Schlusskadenzen. Die kläglich zerplatzende Illusion von der großen, glitzernden Stadt in "Nach fünf im Urwald" oder das Schul-Desaster des Helden in "Crazy" waren bittere, aber keineswegs niederschmetternde Lebens-Lektionen. Es gab gelingende Freundschaft und Geborgenheit. Dunkel blieb die in mysteriöser Paranoia-Verblendung endende Hacker-Story von "23" – ein Blick in seelische Abgründe, der tragische Dimensionen hatte. "Lichter" erscheint noch dunkler als "23", gerade weil seine mit einer nervösen, dogma-ähnlichen Handkamera gefilmten Loser-Geschichten ohne tragische Wucht sind, weil sie eine alltägliche, unspektakuläre Hölle der Trostlosigkeit vorführen.

Ukrainische Flüchtlinge, die vom goldenen Westen träumen, werden Opfer einer skrupellosen Schlepperbande. Ingo, Pächter eines Matratzen-Discounts, erleidet den jämmerlichsten Bankrott, der je im Kino zu sehen war. Ein jugendlicher Zigarettenschmuggler wird zum Verräter, weil das Mädchen, das er liebt, ihn schmählich hintergeht. Eine deutsche Übersetzerin verhilft einem Ukrainer zur Flucht und wird von ihm bestohlen. Ein junger Architekt aus dem Westen begegnet seiner früheren polnischen Freundin und erschrickt, weil sie als Callgirl arbeitet. Jede Geschichte entwirft eine Welt des Betrogenwerdens und sucht – wie die Nadel im Heuhaufen – nach einer Geste des Vertrauens, des absichtslosen Helfens. Diese eine Geste gibt es tatsächlich in jeder Episode. Mal deutlicher - wie in der Geschichte von der Übersetzerin, die einfach nicht erklären kann, warum sie jetzt zur Fluchthelferin werden will und muss, mal verborgener – wie in Simones Sympathie für den Unglücksraben Ingo, der nicht wahrnehmen kann, dass ihm da jemand wirklich nur helfen will, ohne berechnende Hintergedanken. Ingo hat mit seinem Traum vom florierenden Matratzen-Discount – "Hier gibt es 20 Prozent Arbeitslose. Die liegen den ganzen Tag im Bett, ein Grund mehr, sich eine neue Matratze zu kaufen!" – derart gründlich Schiffbruch erlitten, dass er an eine ihm wohlwollende Geste in dieser Welt gar nicht mehr glauben kann.

Der moralische Skandal des Geschäftemachens mit der Not anderer ist Kern jeder Episode und wird in den verschiedensten Varianten durchgespielt. Dass dabei die Geste des absichtslosen Helfens, die sich doch finden lässt, dann noch mal missbraucht und zurückgestoßen wird, macht die Desillusionierungen unsäglich traurig. "Lichter" ist ein Noir-Melo, das den Tunnel, der nicht mehr ins Freie führt, gnadenlos bis zum Ende durchgeht. Zugleich ist der Film eine Sammlung moralischer Erzählungen von der Amoral einer Gesellschaft, in der Betrug Erfolgsgrundlage ist, in der Kants Einsicht, dass der Mensch niemals nur Mittel zum Zweck sein darf, gründlichst missachtet wird. Die Vielzahl der Figuren nötigt zu skizzenhafter Zeichnung, die gleichwohl subtil durchstrahlt und von wunderbaren Darstellern eindrucksvoll konturiert wird. Schmid betrachtet alle seine Figuren mit liebevollem Blick, gerade dort, wo sie sich hoffnungslos verrennen. Was die Figuren einander versagen, schenkt er ihnen.

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