Schrei aus Stein

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Schrei aus Stein



H. G. Pflaum, epd Film, Nr. 10, Oktober 1991

Klettern ist eine todernste Sache. Das wissen nicht allein die Alpinisten, sondern, seit Fanck, Riefenstahl und Trenker, auch die Cineasten. Was indes manche Menschen wie die Lemminge auf die unzugänglichsten Berge treibt, dafür hat sich das Kino-Genre nie wirklich interessiert. Psychologie war seine Sache nicht; insofern ist Werner Herzog in ihm gut aufgehoben, wenn er sich – freilich mehr in Statements als mit dem Film selbst – auf historische Vorbilder beruft. Auch die flaue Dreiecks-Geschichte, schon in den Dreißigern als Motivation der Kraxler beliebt, hat Herzog wohl unmittelbar übernommen. Nur schiebt er sie immer wieder entschlossen zur Seite. Aus purer Eifersucht besteigt keiner den Cerro Torre, die unwirklich steil aufragende Felsnadel im hintersten Patagonien, an der Herzog seine beiden Protagonisten zum finalen Duell antreten lässt: den erfahrenen Roccia Innerkofler, der alle Achttausender der Welt bezwungen hat, und den jungen Martin Sedlmayer, der gerade zum Champion des Indoor-Climbings gekürt wurde.

Wie in alten Zeiten bewegt sich Herzog mit seinem Film auf das Ende der Welt zu, geographisch wie metaphorisch, aber nun misstraut er den Mythen. Aus den Wahnsinnigen von einst sind auch wahnsinnig gute Geschäftsleute geworden, Professionals verdrängen die Amateure. Da muss das Klettern erst recht eine todernste Sache werden.

Die erste "alpine" Sequenz findet im Saale statt. Am künstlichen Kletterfelsen ist Fertigkeit alles, die Unwägbarkeiten der Natur sind ausgeschaltet. Statt Alpenglühen Ausleuchtung für die Fernsehkameras. Und selbst noch in den Eisstürmen am Cerro Torre kommandieren die Sponsoren, wachen Helikopter, Teleobjektive und Sprechfunk über die Heroen, rückt eine Klempner-Truppe dem Fels mit Pressluftbohrern zu Leibe.

So wenig sich Herzog um das Innenleben seiner Figuren kümmert, so genau bleibt er bei der Darstellung unterschiedlicher Stile und Haltungen des Kletterns, des "modernen" Free-Climbers und des traditionellen Alpinisten, der sich dem Zugriff des Kommerz angeödet entzogen hat. Dabei wird – und das ist das Entscheidende an "Schrei aus Stein" – das Klettern zur Metapher für zwei unterschiedliche, durch Welten getrennte Generationen. Dem erfahrenen, etwas schwerfälligen Roccia tritt der flinke Martin gegenüber, smart und clever, bunt und modisch, der Prototyp jener neuen Jugendlichkeit, die das Fahrrad mit dem Mountain-Bike vertauscht hat und vor lauter Selbstbewusstsein keine Abgründe wahrnimmt: egal ob am Berg oder im Kulturbetrieb. Ursprünglich sollte Reinhold Messner die Rolle Roccias spielen. Mezzogiorno, so Herzog, habe "noch besser gepasst, ich kann nicht erklären, warum". In einigen Sequenzen sieht Mezzogiorno aus wie Herzog. Roccia dürfte sein alter ego sein, das er noch einmal über die Yuppies triumphieren lässt.

"Schrei aus Stein" steht auf dieser Ebene dem Film "Wo die grünen Ameisen träumen" näher als jeder anderen Arbeit des Regisseurs. Nur will Herzog kein Botschafter der Kulturkritik sein, sondern immer noch die großen Visionen suchen und den Cerro Torre zur Fata Morgana werden lassen. Den wirklichen Erfolg gönnt Herzog deshalb in seiner grimmig ironischen Schlusspointe nur den wahren Phantasten. Ein irrer Amerikaner war schon vor den deutschen Duellanten auf dem Gipfel und hat seine Erstbesteigung Mae West gewidmet. Wenn Roccia ahnungslos den Cerro Torre bezwingt, als vermeintlicher Sieger, erscheint im letzten Moment, in dem das Genre die Apotheose verlangen würde, ein Pickel mit einem Porträt der einstigen Hollywood-Diva im ewigen Eis. Das säkularisierte Gipfelkreuz des Cineasten verhindert den Mythos des Alpinisten.

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