Schrei aus Stein

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Schrei aus Stein


Rolf-Rüdiger Hamacher, film-dienst, Nr.21, 15.10.1991

Die Geschichte beginnt in einer Sporthalle in München: An einem künstlichen Felsen ermitteln die Freeclimber ihren Weltmeister. Der junge Deutsche Martin Sedlmayer gewinnt das Championat und wird anschließend bei einem von dem renommierten Sportreporter Ivan Radanovic geführten Interview mit dem Extrem-Alpinisten Roccia Innerkofler konfrontiert. Roccia nennt Martin verächtlich einen Akrobaten und spricht ihm die Fähigkeit ab, in der Bergwelt zu bestehen. Martin nimmt die Herausforderung an, und man beschließt, die noch unbezwungene 3500 Meter hohe Granit- und Eisspitze des „Cerro Torre“ in Argentinien gemeinsam anzugehen. Ivan inszeniert das Ganze als großes Medienspektakel, und am Fuße des windumtosten Berges wartet die kleine Expedition auf günstige Wetterbedingungen. Als sich diese auch nach fünf Wochen nicht einstellen, wird Roccia immer nervöser, zumal er auch argwöhnisch das freundschaftliche Verhältnis seiner Geliebten Katherina zu Martin beobachtet. Während Roccia und Ivan ins Tal aufbrechen, um den zur Neige gehenden Proviant aufzufüllen, unternimmt Martin mit Roccias langjährigem Bergbegleiter Hans einen Besteigungsversuch, bei dem Hans zu Tode stürzt. Roccia ist außer sich über die verantwortungslose Eigenmächtigkeit und zieht sich wutentbrannt in die Einsamkeit der argentinischen Pampa zurück. Martin, der behauptet, den Gipfel erreicht zu haben, tingelt mit Katherina von einem Fototermin zum anderen durch die Welt, stößt aber überall auf Zweifel der Fachwelt. Da entschließt er sich, vor den Augen der Kamera den Gipfel noch einmal zu erklimmen. Als Roccia das erfährt, macht er sich von der anderen schwierigeren Seite des Berges aus ebenfalls an den Aufstieg. Kurz vor dem Gipfel stürzt Martin ab, während Roccia ihn mit letzter Kraft erreicht - um enttäuscht festzustellen, daß schon ein Bergsteiger vor ihnen oben war.

An sich hätte der Stoff Werner Herzog, der sich in seinen früheren Filmen gerne bis an die Grenzbereiche physischer und psychischer Möglichkeiten wagte, liegen müssen, denn die Besessenheit der Bergsteiger beim Gipfelstürmen kommt seiner beim Filmemachen entgegen. Deshalb hätte er wohl gern auch den bekanntesten Bergsteiger der Gegenwart, Reinhold Messner, von dem auch die Idee zum Film stammt, als Hauptdarsteller gehabt. Die Zusammenarbeit dieser Exzentriker hätte dem Film vielleicht jene Spannung gegeben, die Herzogs frühere Arbeiten mit dem „enfant terrible“ Klaus Kinski immer prägte. Aber Messner traute sich die Schauspielerei nicht zu, obwohl Herzog immer wieder bewiesen hat und auch „Schrei aus Stein“ zeigt, daß er mit Laiendarstellern umzugehen weiß: Martin Glowacz fügt sich nahtlos in das internationale Schauspieler-Ensemble ein.

An den Schauspielern liegt es nicht, daß der Film nicht auf Touren kommt, sie helfen sich mit Routine und Präsenz über ein sie völlig vernachlässigendes Drehbuch, das keinen der Charaktere zum Leben erweckt und Szenen im Stil langweiliger Fernsehreportagen vorgibt. Durch die quält sich offensichtlich auch Werner Herzog, der erstmals ein nicht selbst geschriebenes Drehbuch inszeniert, als wenn er nur darauf wartet, daß der Berg ins Bild kommt. Und ist es dann endlich soweit, scheint ihm die Kraft zu fehlen, den Kampf des Macho Roccia und des eher feinnervigen Martin mit dem wetter-launischen Berg zu einem echten optischen wie inszenatorischen Höhepunkt werden zu lassen. Da hat jeder Luis-Trenker-Bergfilm mehr Spannung und Dramatik. Nur einmal bleibt das Herz fast stehen: nicht im furios gedachten Finale, sondern bei einer Foto-Klettertour Martins in Australien. Nur noch zweimal hat Herzog dann den Mut, dem biederen Förderungsgremien-Drehbuch Gestalten abzuringen, die an die „verrückten“und doch oft der Wahrheit nahen Außenseiter seiner früheren Filme erinnern: eine alte Indianerin, die Roccia samt Haus von einem rassistischen deutschen Einwanderer „gekauft“hat und die sich nicht über das Unglück des weißen Mannes wundert, dem doch Gott nicht zu Hilfe kommen kann, weil er ihn selbst „an ein Stück Holz genagelt hat“ und die Figur des Bergsteigers und Mae-West-Fans, der auf seiner „Cerro Torre“-Besteigung vier Finger verloren hat und jetzt verwirrt durch die Gletscher streift.

Das sind Erinnerungen an einen Werner Herzog, der den deutschen Film bereichert hat und der sich offensichtlich nur als „Autorenfilmer“ wohlfühlt. Während man Wenders mal einen starken Produzenten und ein gutes, fremdes Drehbuch wünscht, wünscht man Herzog wieder zurück zu seinen autodidaktischen Anfängen voller Improvisation, aber auch Inspiration. Auftragsarbeiten sind offensichtlich Gift für ihn.

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