Heidi M.
Heidi M.
Oliver Rahayel, film-dienst, Nr. 7, 27.03.2001
Weder vom berühmten Alpenmädel noch von Heidi Fleiss, dem berüchtigten Callgirl in Hollywood, handelt der Film, sondern von einer Frau in Berlin, die wider eigenen Erwartungen eine zweite Lebenschance erhält. Ein wenig hat sich diese Heidi in ihrem kleinen Berliner Laden eingegraben, wo sie Lebensmittel verkauft und Videos verleiht, eher eine Art Kiosk mit Stehtischchen für den schnellen Kaffee. Im Viertel ist sie bekannt, aber zu niemandem außer einer Freundin hat sie eine engere Beziehung. Besonders zu ihrem Ex-Mann nicht mehr, der sie für eine Jüngere sitzen gelassen hat. Jetzt, da auch noch ihre Tochter Annabel für ein Jahr nach Australien gegangen ist, spürt Heidi die Einsamkeit mehr denn je. In dieser Situation taucht zunächst ein Junge auf, der bei ihr eine Flasche Sekt stiehlt, und dann ein Mann, der sich als dessen Vater herausstellt und offenbar keinen Zugang mehr zu seinem Sohn findet. Aus der gegenseitigen Sympathie zwischen den etwa gleichaltrigen, ähnlich allein gelassenen Menschen entsteht etwas, das Affäre, Liebesbeziehung oder sogar neue Ehe sein könnte - und genau das passt Heidi nicht. Sie will keine Teenager-Romanze, ist aber für etwas "Ernstes" noch zu verletzlich und vorsichtig.
Der Film dringt tief in das Gefühlsleben seiner Protagonistin ein. Nicht, indem er sie durch emotionale Wechselbäder jagt, sondern indem er anhand kleiner Begebenheiten ihre Verunsicherung zeigt und ihren Stolz, der sie meistens über Wasser hält. Heidis Lebenswelt ist eng. Wenn sie mal einen Ausbruch wagt, geschminkt und mit Lederjacke bekleidet, dann landet sie in einer Bar und im Bett mit einem Mann, der seine Frau dann doch lieber nicht betrügen will. Aber nicht nur alltägliche Missgeschicke stehen Heidis Glück im Weg, sondern auch die Erfahrungen der Vergangenheit, im Grunde also das, womit sie sich schon mehr oder weniger abgefunden hat: ihr Alter von fast 50.
Die Autorin Karin Åström und Regisseur Michael Klier finden für Heidis Gefühlslage einige bemerkenswerte Szenen, etwa bei Heidis verzweifeltem und erfolglosem Versuch, noch einmal mit ihrem Ex-Mann zu reden. Manche Szenen wirken aber zu konstruiert, beispielsweise als der Ex-Mann plötzlich wieder eine Annäherung versucht. Auch die Atmosphäre im Laden, der nun einmal Heidis Welt sein soll, überzeugt nicht. Als Staffage müssen einmal mehr die im deutschen Film üblichen Halbirren herhalten, als gäbe es in der Republik keine ganz normalen und trotzdem individuellen Menschen. Katrin Saß spielt als Heidi gerade diesen Aspekt wunderbar aus: Ihr Dasein und ihr Denken sind kaum mehr als Mittelmaß, aber dies gestehen hierzulande nur wenige Regisseure ihren Figuren zu. Heidi ist so uneindeutig wie ihre Gefühlswelt: Wenn sie Verbitterung zeigt, sieht man ihr immer auch den Versuch an, sich nicht darin zu verlieren, und wenn sie Lebenslust überkommt und ihre Attraktivität aufscheint, schiebt sich immer ein Hauch von Zweifel über ihr Gesicht. Anders ihr Gegenpart Dominique Horwitz, der grundsätzlich zwar auch eine gewisse schauspielerische Präsenz zu bieten hat, manchmal aber bei den denkbar einfachsten Gefühlsregungen seltsam unglaubwürdig wirkt. Filme über Frauen jenseits der 40 sind in Deutschland nicht eben häufig, in Frankreich und sogar im US-Kino tauchen sie immer mal wieder auf. Michael Klier ist zweifellos prädestiniert für diese Art Geschichten. Seit Jahren erzählt er von der Einsamkeit derer, die, vorzugsweise zwischen Ost und West, eine Heimat suchen, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne, zuletzt in "Out of America" (fd 31 469) und "Ostkreuz" (fd 29 357). Seine Bilder sind oft sehr einfach, sie sind nie auf Wirkung aus, eher darauf, den Zuschauer innerhalb einer statischen Tristesse mit dem Wesentlichem zu konfrontieren. In den weniger gelungenen Momenten ist sein Film dann einfach nicht attraktiv, nicht überzeugend oder spannend - aber er ist fast immer aufrichtig.