Texas - Doc Snyder hält die Welt in Atem
Spiel mir das Lied vom Kot
Alfred Holighaus, TIP Magazin, Nr. 24, 1993
Helge Schneider, die singende Herrentorte aus Mülheim, hat einen Film gedreht. "Texas - Doc Snyder hält die Welt in Atem" heißt das Werk und ist ganz anders.
Also, wie gesacht: Wenn Helge Schneider in den Wilden Westen will, fährt er von Mülheim aus ein paar Kilometer nach Osten, nach Elspe ins Sauerland, wo Winnetou und Old Shatterhand den ganzen Sommer über Blutsbruderschaft schließen. Das ist dem Schneider natürlich alles zu lieb und zu clean. Doc Snyder watet durch die Scheiße, und seine Freunde, mit denen er seinen ersten Spielfilm drehte, müssen auch da durch.
Bühnen- oder Fernsehkomiker machen Filme. Das hatten wir schon öfter und mit unterschiedlichen Ergebnissen. Helge Schneider ist wieder anders. Und das liegt natürlich auch daran; daß Helge Schneider anders ist. und zwar ganz anders. So sind auch seine Fans. Bei ihnen muß er nur machen, was er am besten kann, nämlich eigentlich gar nichts zu machen - und schon hat er sie lachen gemacht.
Dieses Prinzip übertrug er auf seinen Film, von dem es zwei Versionen gibt. Die erste: ambitioniert, verstiegen, ohne Personenkult, zeigte er vor einigen Wochen, ganz nach amerikanischem Vorbild, in einer Überraschungspreview und erntete nicht zu unrecht zurückhaltende Reaktionen. Schneider hatte mit dieser Version Mut bewiesen, eine Geschichte so erzählt, wie er es auch auf der Bühne tut, aber dafür nicht immer die richtigen Bilder gefunden und die falschen Personen besetzt. Also mußte er noch einmal Mut beweisen - und machte innerhalb kürzester Zeit wieder alles anders. Und so entstand ein deutscher Autorenfilm wider alle Gewohnheit. Denn der Autor, Co-Regisseur und Hauptdarsteller Helge Schneider dachte diesmal nur an sein Publikum. Das nämlich will nur Helge Schneider und seine Welt. Und ob letztere nun der Wilde Westen ist oder nicht, ist dem Publikum so egal, wie es für Helge Schneider zweitrangig ist. Also tragen die wundervollen Nebendarsteller aus dem prallen Mülheimer Leben Trainingsanzüge (Modell Sepp Herberger), spielt der Meister am Lagerfeuer mal ein fulminantes E-Gitarren-Solo und fährt in einer neuen Nebenrolle als Kommissar 00Schneider mit dem PKW durch Texas.
Bei Helge Schneider hat es Texas übrigens nicht zu einem ganzen Land gebracht. Texas ist die Stadt, in der Doc Snyder nicht nur zu Hause ist, sondern auch sein Unwesen treibt. Zum Beispiel seinen zum Tode verurteilen Bruder Hank (Peter Berling) aus dem Gefängnis befreien oder eine Bank überfallen. Ansonsten jedoch ist in diesem Film völlig egal, wer wann was macht. Es kommt nur auf das Wie an.
So wird ein Erdbeben zur skurrilen Slapstick-Nummer, ein Duell zum Nonsens-Dialog, die Heimkehr des Helden zur Familienklamotte und der Überfall auf eine Postkutsche zur gymnastischen Übung. Helge Schneider macht den Schwachsinn zur Methode, läßt - wie immer - seine Texte ins Leere laufen und damit direkt auf einen Lacher zu. Er setzt auf das Groteske im Alltäglichen und schuf deshalb für den Laiendarsteller Helmut Körschgen die Figur des Bestattungsunternehmers. Der muß nicht spielen, um komisch zu sein, sondern nur vor der Kamera stehen. Und alle anderen spielen eben so, wie Helge Schneider Schlager singt. Ob das sein Drummer Peter Thoms als sein Gegenspieler Nasenmann ist oder der Keyboarder Buddy Casino als Flugmaschinenerfinder und Gründer von Las Vegas.
Doch es soll auch Schauspieler geben in Schneiders wildem Westen. Andreas Kunze, zum Beispiel, den Theatermann aus Essen, der als Doc Snyders Mutter der legendären Katie Elder den Rang als Cowboys Liebling abzulaufen imstande ist. Oder Ludwig "Dr. Dressler" Haas als Greenhorn mit Berliner Großschnauze und buchstäblichem Galgenhumor.
Helge Schneider hat keinen Western gemacht und erst recht keine Komödie, dafür aber einen Film, in dem man dauernd lachen muß. Schneider ist sein eigenes Genre - und die bekannte Theaterstadt Mülheim entwickelt sich allmählich zum Zentrum für eine Variante des deutschen Films, in der die gängigen Regeln desselben keine Rolle mehr spielen. Mülheim ist bekanntlich auch die Stadt Christoph Schlingensiefs. Daß der Meister des politischen Splatterfilms an der Entstehung der nachgedrehten Szenen beteiligt war, ist sicherlich nicht in erster Linie eine Frage der landsmannschaftlichen Übereinstimmung. Schlingensief und Schneider, das steht für Wut und Witz, für Katholizismus und Kaisertum, für Christoph und Helge. Und dafür, daß Kino Spaß machen kann, wenn die wenigsten damit rechnen.