Till Eulenspiegel
Die Verzweiflung des Außenseiters
Die Volksbücher, schrieb Friedrich Engels 1839 in einer Rezension, können u. a. die Aufgabe erfüllen, dem Leser "sein sittliches Gefühl klarer zu machen, ihm seine Kraft, sein Recht, seine Freiheit zum Bewußtsein zu bringen". Zu diesem Zweck sei es "berechtigt zu verlangen, daß das Volksbuch seiner Zeit entspreche oder aufhöre, ein Volksbuch zu sein". Engels forderte, das Volksbuch dürfe "auf keinen Fall die Duckmäuserei, das Kriechen vor dem Adel, den Pietismus befördern". Und er fügte hinzu: "Von selbst versteht es sich aber, daß Gebräuche früherer Zeiten, deren Ausübung jetzt Unsinn oder gar Unrecht wäre, dem Volksbuch fremd bleiben müssen."
Diese Bemerkungen scheinen mir von aktuellem Wert für die Verfilmung des "Volksbuches vom Till Eulenspiegel", die jetzt die Kinos und ihre Kassen füllen hilft. Ich glaube, der neueste Film von Rainer Simon, dessen Märchenverfilmungen "Wie heiratet man einen König?" und "Sechse kommen durch die Welt" in guter Erinnerung sind, kann weder mit Begeisterung noch mit absoluter Ablehnung aufgenommen werden. Er kennzeichnet recht gut die Schwierigkeiten, mit einem derartigen, historischen, vom Volk gedichteten und auch heute noch allgemein bekannten Stoff zurechtzukommen und aus ihm ein Kunstwerk von volkstümlicher Bedeutung neu zu formen. Gewiß, die derben Handgreiflichkeiten, Frivolitäten Scherze und listigen Einfälle, mit denen dieser Till Mächtige wie zuweilen auch Ohnmächtige seiner Zeit foppt, verhelfen zu dem Spaß, auf den wir gerade bei dem Stoff ein Recht haben. Aber wie steht es mit der von Engels geforderten aktivierenden Wirkung? (…)
Mir scheint, der Regisseur hat den Inszenierungsstil seiner gelungenen Märchenfilme auf den historischen Stoff angewandt, der aber eine breite Schilderung der Verhältnisse und eine allseitige Charakterisierung der Personen verlangt, wenn seine innere Bedeutung zutage treten soll. Nur dann könnte Eulenspiegel als einer der aktivsten Vertreter der plebejischen Opposition gestaltet werden und dadurch erklärbar und aktuell zugleich sein. Wenn man aber die geschichtlichen Strömungen, die ihn tragen, allzu sehr in den Hintergrund schiebt bzw. die konkreten Verhältnisse in Symbole überzeitlicher Gegebenheiten verwandelt (wofür es im Film Ansätze gibt), bleibt von Eulenspiegel nur ein rätselhafter Außenseiter, verwandelt sich seine geschichtliche Erscheinung in ein Mysterium.
Der Till dieses Films wurde anscheinend als Provokateur seiner Zeit geboren und wirkt nur kraft eigener Intention. Allzu locker mit den geschichtlichen Bewegungen des Volkes verbunden, treibt er ein gefährliches Spiel mit der Macht, wobei sein Ziel unklar ist. Er scheint dazu verdammt zu sein, sich mit den Regenten anzulegen, und er betreibt dieses Geschäft ohne Hoffnung auf Erfolg und darum auch ohne jene lebenssprühende Lust, die wir noch von Gerard Philipe in Erinnerung haben. Bezeichnend ist das happening, jene Orgie der Antimalerei, die er beim "Ausmalen" des Rittersaals veranstaltet. Für diese Szene, wo Farbtöpfe sinnlos an die Wand gefeuert werden und die "Maler" sich daran erfreuen, Teil des Materials, nicht aber schöpferisch Tätige zu sein, gibt es keine historische und literarische Rechtfertigung. (…)