Lohnbuchhalter Kremke
Lohnbuchhalter Kremke
Georg Herzberg, Film-Kurier, Nr. 219, 16.9.1930
Nach Monaten sieht man wieder einmal einen stummen Film. Über das Fehlen der Dialoge ist man weniger verwundert als über das Ausbleiben der Geräusche. Wenn einer Ziehharmonika spielt oder Maschine schreibt, oder wenn Leute singen, dann wartet man vergebens auf den Ton.
"Lohnbuchhalter Kremke", die Hauptfigur dieses Films, wird nach zwanzigjähriger Tätigkeit wegen Einführung einer Buchhaltungsmaschine abgebaut. Allmählich bricht seine Welt zusammen. Er muß den Stammtisch aufgeben, muß treppauf, treppab vergeblich nach Arbeit laufen und stempeln gehen; er, der vorher nicht laut genug über die Unterstützung der"faulenzenden Arbeitslosen" schimpfen konnte. Ein "standesgemäßer" Verlobter seiner Tochter löst die Verbindung, als er das Elend sieht. Als ihm ein Lastwagenchauffeur nicht "fein" genug ist, verliert er seine Tochter. Als letzten Ausweg aus allen Demütigungen wählt der Arbeitslose dann das Wasser.
Ein aktueller Stoff, von Herbert Rosenfeld geschrieben, von M. Harder inszeniert. Keineswegs revolutionär in seiner Gestaltung, aber eine Mahnung an die, die immer noch das Märchen von dem herrlichen Leben der Arbeitslosen glauben oder erzählen. Ein Film, der nachdenklich macht, gerade wegen des Fehlens von naheliegenden Schlagworten und Revolutionsphrasen. Am ersten Tage des neugewählten Reichstages erscheint der Schluß des Films besonders eindringlich: Die Worte, "Schafft Arbeit" werden auf Bilder vom Reichstagsgebäude kopiert. Wird der Reichstag wirklich Arbeit schaffen?
Der Film, von dem Kulturfilmproduzenten Hubert Schonger hergestellt, muß natürlich mit bescheidenen Mitteln arbeiten. Unsere großen Firmen fabrizieren ja lieber Operetten am laufenden Band, als daß sie sich lieber einmal auf ein Experiment einlassen.
Robert Baberskes Kamera findet erschütternde Bilder von der grauen Not der Arbeitsnachweise, von der Arbeit der die Menschen verdrängenden Maschinen, von dem Alltagsleben der großen Stadt . . .
Hermann Vallentin spielt den Kremke, den ehrsamen, traditionstreuen Bürger, der seine Soldatenmütze in der guten Stube an einem Ehrenplatz hängen hat, der stramm steht, wenn Militärmusik ertönt, der, solange sein Leben den gewohnten Gang geht, nichts wissen will von Politik und Parteien, und der aus dem Geleise kommt, wenn das Leben eine Kurve macht. (Er würde am letzten Sonntag nationalsozialistisch gewählt haben.)