Die Ehe der Maria Braun
Mehrfachkalkül
Wolfram Schütte, Frankfurter Rundschau, 22.02.1979
Der Jubel darüber, daß der scheidende Berlinale-Direktor Wolf Donner das diesjährige Festival nicht wie üblich, mit einem harmlosen appetizer eröffnet hat, sondern mit einem großen und bedeutenden Film von Rainer Werner Fassbinder, dieser Jubel ist etwas besinnungslos. Denn dahinter steckt weniger Mut als Kalkül und Werbestrategie der Verleihe. Donner hat da und dort wohl oder üblich mittaktiert.
Fassbinders "Die Ehe der Maria Braun" ist schon mehr als ein Jahr alt und kommt jetzt erst ins Kino, weil Auseinandersetzungen unter den Produzenten, die mit dem Projekt hoch pokerten, schließlich dazu führten, daß er bei einem amerikanischen Verleih endete. Der hat den Film auf Erfolg programmiert – wie vielleicht bei keinem westdeutschen Film der Nachkriegszeit, zumindest aber des letzten Jahrzehnts. Die Berlinale ist dabei die Startrampe, aber keineswegs das Zentrum einer Verbund-Propaganda, wie sie in den USA schon seit geraumer Zeit für Projekte wie "Der weiße Hai" oder "Grease" unternommen wird. Dort läuft das ab über die Platten-, Boutiquen- und Wegwerfkitsch-Szene, bei uns über Literatur und Illustrierte. Gerhard Zwerenz hat nach dem Film einen Roman geschrieben, der ab dieser Woche im "stern" publiziert wird, und als Goldmann-Taschenbuch ist er auch bald zu haben. Die Mehrfachauswertung mit Verbundwerbung für Filme greift rapide um sich. Das Fernsehereignis "Holocaust" war der Durchbruch auch für solche Geschäftsereignisse in seinem Kielwasser.
"Die Ehe der Maria Braun" (Drehbuch Peter Mertesheimer und Pia Fröhlich) bietet sich für diesen kommerziellen Verwertungszusammenhang an, weil der Film, in der einfachen chronologischen Art von Fassbinders früheren Melodramen erzählt, einen zentralen Aspekt unserer jüngeren Geschichte trifft: den "Wiederaufbau" nach 1945 und die Vernichtung unserer Sorgen mit den Gefühlen. Fassbinder hatte die Idee zu dem Stoff, der wohl aus dem Zusammenhang "Die Ehen unserer Eltern" stammt, über dessen Scheitern er in unserem Interview (siehe FR v. 20. Februar) berichtete. Er hat uns mit seiner Titelheldin den Phänotyp einer ganzen Frauengeneration vor Augen gestellt, und die lange abwesend gewesene Hanna Schygulla ist damit wieder triumphal in den Kreis der Fassbinder-Heroinen zurückgekehrt. Sie hat jene energische Moral des Durchsetzungswillens und der Selbstbehauptung Maria Brauns in Gesten und Haltungen übersetzt, welche das große Gefühl der Treue zu einem Augenblick des Glücks, dessen Wiederkehr und Erfüllung sie sich zielbewußt herbeiarbeiten will, zunehmend mit dem Eis einer Gefühllosigkeit umpanzert und überzieht, unter dem dennoch die Utopie ihrer Liebe zu ihrem Mann fortglüht.
Es ist aber nicht nur der zentrale Charakter dieser Frau – wiewohl viele sich oder ihre Mütter in ihr wiedererkennen und sie jetzt erst wirklich begreifen werden – , der "Die Ehe der Maria Braun" zu einem der erstaunlichsten Filme Fassbinders macht. Mehr noch trägt dazu bei die zeittypische Genauigkeit, die historische Verankerung des Stoffes und insbesondere die fast Sternheimische Prägnanz der anderen ausdifferenzierten Frauen- und Männerrollen. Nach Alexander Kluges "Abschied von Gestern" (einem Film, der mit diesem auf merkwürdige und kontroverse Art zu tun hat) haben wir nun in Fassbinders "Die Ehe der Maria Braun" einen zweiten Film, der uns gestattet, uns unserer jüngeren Gesellschafts- und Individualgeschichte und deren heutigen Folgen zu vergewissern. Darüber wird, wenn „Die Ehe der Maria Braun“ in die Kinos kommt, noch ausführlicher zu sprechen sein.