Der blaue Engel
Der blaue Engel
Hans Wollenberg, Lichtbild-Bühne, Nr. 79, 2.4.1930
(...) Glanzvoll der Rahmen – die Festvorstellung –, den die Ufa dem anspruchsvollsten Werk ihrer tönenden Produktion gab, dem Werk, mit dem die Höchstleistung der jungen deutschen Tonfilmkunst unter Beweis gestellt werden sollte. Ungewöhnlich das Interesse einer Öffentlichkeit, die auf das wesentlichste künstlerische Ereignis dieser Berliner Saison abgestellt war.
Mit Recht! Die materiellen und geistigen Mittel, die unser deutscher Großkonzern Hand in Hand mit der Klangfilm mobil gemacht hatte, deuteten bereits den entscheidenden Vorstoß deutscher Tonfilm-Produktion in das Gelände wirklicher Kunst an. (...)
Der Uraufführung war eine Polemik in der Tagespresse vorausgegangen, ob "Der blaue Engel" (frei nach Heinrich Manns "Professor Unrat") mit oder gegen Heinrich Mann verfilmt sei. Wenn in der "LBB" eine Stellungnahme bis zur Besichtigung des Werkes zurückgestellt worden war, so möchte man heute sagen, daß der "Blaue Engel" ... weder mit noch gegen, sondern – ohne den "Professor Unrat" verfilmt ist. Nur motivische Äußerlichkeiten sind geblieben: ein Gymnasialprofessor, der – weltfremd – an der Liebe zu einer Unwürdigen zugrunde geht. Die psychologischen Grundlagen auf denen Heinrich Manns Roman sich aufbaut und dessen Wesentlichstes sind, hat man radikal verlassen. Wenn Heinrich Mann seinem Roman den Untertitel "Das Ende eines Tyrannen" gab und ihn damit thematisch plakatierte, so ist im "Blauen Engel" der "Tyrann" – nicht mehr da. Der "Unrat" des Buches ist der böse, allmächtige und seiner Allmacht bewußte Dämon des Katheders, der tragisch daran scheitern muß, daß seine Welt und sein Blick nie über das von seiner Despotie beherrschte Klassenzimmer hinausging. Der "Unrat" des Films ist nicht der Dämon des Romans, sondern der Pauker der Schul-Humoreske, nicht unsympathisch, sondern in seiner menschlichen Begrenztheit nur komisch und schon sein Spitzname ungerechtfertigt. Dafür ist sein Abstieg, sein Fall im Film ungleich tiefer; wird mit gröberen Mitteln gezeigt, in grellere, dicker aufgetragene Farben getaucht. Und so erschütternd dieser Fall ist, so ergreifend er in dem großartigen Spiel Emil Jannings und in dem Kontrast zur Dietrich und Gerron herausgearbeitet wird, so zeigt doch der dramatische Nexus des Films im Gegensatz zu dem Roman einen deutlichen Knacks und trotz blendender äußerer Mittel nicht die innere Tragik jenes "Unrat"-Schicksals, das Heinrich Mann gedichtet hat.
Der Film zerfällt innerlich in zwei Teile. Sein erster Teil (bis zur Hochzeit Unrats mit der Chansonette Lola Lola) ist – wenn auch, wie bemerkt, in der Anlage der Hauptfigur vom Romanvorbild grundlegend verschieden – höchst lebendig höchst wirksam und strotzend von erlebnishafter Dynamik. Seine schwierigste Stelle: des korrekten Professor Bezauberung durch die Erotik Lola Lolas, vermag Emil Jannings (welcher zweite Schauspieler könnte dies?) in einem geradezu genialen Übergang zu überbrücken. Dann aber kommt – der zweite Teil – der Verfall bis zum Hanswurst, bis zur letzten menschlichen Prostitution. Nicht mehr voll überzeugend, im dramatischen Tempo stark gedehnt. Bis zum (anorganischen) Ende. (...)
Was an Josef v. Sternbergs meisterhafter Inszenierung als grundsätzlicher und bleibender Wert vermerkt werden muß, ist die gänzliche Freiheit von der Sprechbühne. Dieser Film wird durchaus von der Bild-Dynamik getragen und alle Möglichkeiten rein bildmäßiger Ausdruckskunst sind vollendet ausgeschöpft. Die Sprache, die hinzu kommt, wird nicht Selbstzweck, wird nicht alles ausfüllender und zudeckender Dialog, sondern ein den Bildwirkungen mit größter Stilsicherheit hinzugefügtes Verstärkungs- und Charakterisierungsmittel. Wir glauben hier zum erstenmal einer neuartigen und originären Gesetzen unterworfenen Verwendung von Sprache und Laut in einem Kunstwerk begegnet zu sein. Das ist richtunggebend! (...)