Alraune
Alraune
Hans Feld, Film-Kurier, Nr. 23, 26.1.1928
(...) Henrik Galeen, spezialisiert auf die Wiederbelebung alter Stoffe, hat die Schwierigkeiten einer Neufassung instinktiv gespürt, als er sich an "Alraune" heranmachte. Zwei Möglichkeiten standen ihm offen:
Den Weg einer Dirne zu schildern, die rotes Blut trinkt und kindlich bleibt bei allem Elend, das sie anrichtet. Dazu brauchte es nicht unbedingt der konstruktiven Mischung von Gehenkten-Samen und Dirnenschoß.
Oder aber, es wurde eine Spukgeschichte daraus, eine Filmfabel, mit unheimlichen Licht- und Schattenwirkungen. "Caligari", "Student von Prag" neu erweckte Revenanis einer Gattung die unverständlicherweise heute nicht mehr geschaffen wird.
Henrik Galeen, zu gründlich, sucht zwei Stilarten zusammenzukoppeln. Eine Alraune entsteht aus dieser Retorte indessen nicht.
Er tut sogar noch ein Übriges und bringt den lieben Gott und die Ethik mit hinein. Das hätte sich allerdings unser vampyrischer Hanns Heinz nie träumen lassen, daß sein künstlich unter Mühen gezeugtes Lustgeschöpf noch einmal durch des Himmels Gnade veredelt und gewissermaßen sterilisiert werden würde.
Alraune läßt zum Schluß das alraunen sein und besinnt sich im letzten Augenblick darauf, daß es an der Zeit ist, mit einem richtigen Liebhaber ein solid bürgerliches Leben zu beginnen. (...)
Mit den Schwächen seines eigenen Manuskripts belastet ging Henrik Galeen ins Atelier.
Sein Film zerfällt in drei Teile, ohne daß er eine durchkomponierte Steigerung zusammenfassend schafft. Starfilm und Handlungsfilm werden gemischt.
Zu Beginn gibt er stärkste Wirkungen, wenn die Vorgeschichte auftaucht. Unbekannte Lichtquellen verteilen Helldunkel über Gerechte und Ungerechte. Auftakt einer Filmballade, auf die Leinwand gezauberter Christian Morgenstern. Ein Galgenlied, eine düstere Moritat.
Galeen, als alter Fachmann in allen Stilarten gerecht, findet mühelos den Sprung zum Gesellschaftsfilm. Er wird konventioneller aber nicht weniger gewandt. Das Absteigen der Kurve am Schluß vermag er nicht zu hindern.
Um seine Schauspieler ist er ehrlich bemüht. Nicht immer darin unterstützt von seinem Kameramann Franz Planer, der schon bessere Arbeit geleistet hat.
Die Kamera – von hier hätte der Film stärkeren Auftrieb bekommen müssen. Planer macht ein paar ausgezeichnete Großaufnahmen, einige gute Einstellungen. Im übrigen beläßt er es beim Üblichen, allzu Üblichen und selbst dann ist er nicht immer sorgfältig.
In der Darstellung wird alle Möglichkeit auf Alraune und ihren Schöpfer konzentriert, Frank Braun, im Roman der Autor fehlte, bleibt im Hintergrund. Iwan Petrowitsch spielt ihn, in seinen kurzen Szenen nicht unwesentlich gehindert durch unvorteilhaftes Aussehen. (Fort mit dem Schnurrbart!)
Den geistigen Vater der Alraune und nachmaligen eurotischen Partner hat Paul Wegener übernommen. Ganz im Sinne der alten Schule als Sololeistung eines Schauspielvirtuosen.
Brigitte Helm, Alraune, gibt zwiespältige Eindrücke. Sie überzeugt immer wieder von der Stärke ihrer Begabung und zeigt doch deutlich, wo die Grenzen liegen.
Ihr liegt das Labile, der Übergang die Differenzierung. Ein Zucken des schrägen Auges, ein unheimlich böser Gesichtsausdruck, geschmeidiges Nutzen der Körpermöglichkeiten, das alles sind starke Momenteindrücke.
Im Explosiven versagt sie, und an Ruhepunkten unterstreicht sie eine Farblosigkeit, die gefährlich wird. Einen hohen Haaransatz verlängert sie noch durch Herausstreichen der Haare; die Linie der Nase setzt sie in langen Ecken des Bubikragens fort.
Man müßte sie auf weich photographieren und nur in gleitender Skala zeigen. Denn dann findet sie wenige ihrer Art. (...)
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