Nju

Deutschland 1924 Spielfilm

Nju


Dr. K. M., Lichtbild-Bühne, Nr. 137, 22.11.1924


Eine Alltagshandlung, ein Alltagsstoff, und dennoch kein Alltagsfilm. Wie das Thema, das Erscheinen des "Dritten" in einer sonst glücklichen Ehe, behandelt ist, das erhebt dieses Werk Paul Czinners weit über den Rahmen aller anderen Filme, die sich mit dem gleichen Stoff befassen. Und nur auf das Wie kommt es an. Der Film ist zeitlos und könnte irgendwo auf dem Erdenrund spielen. Denn überall und immer wieder tritt "Er" in die Zweiheit der Ehe, um aus ihr eine Dreiheit zu machen. Alle Kreise werden in gleicher Weise von diesem alltäglichen Ereignis heimgesucht. Hier in diesem Film sieht man die Entwicklung der Dreieckkonstruktion von ihren ersten Anfängen bis zu Ihrem tragischen Schluß. Eine Entwicklungsgeschichte, wie sie bei Arm und Reich sich, immer in ähnlichem Rhythmus wiederholt. Man kann hier den Fall sozusagen studieren. Alle Schwingungen der Seele der jungen Frau, die sich von ihrem Mann zu dem anderen hingezogen fühlt, den Aufstieg von Interesse über Sympathie zur Liebe, die sie Mann und Kind und schließlich die gesicherte bürgerliche Existenz vergessen läßt. Ein Drama mit allen Phasen der streng klassischen Formen von der Exposition bis zur Lösung des Konfliktes. Es gibt keine Gesellschaftsschicht, die ein gemindertes oder gesteigertes Interesse an diesen Vorgängen haben kann. Überall das gleiche Interesse. Und das bedeutet den Erfolg.


Paul Czinner hat sich die Arbeit nicht allzu schwer gemacht, indem er sich die drei besten Darsteller, die für die drei Figuren in Frage kommen konnten, verschrieben hat. Elisabeth Bergner als Nju, Emil Jannings als deren Gatte und Conrad Veidt, der Dritte im Bunde. Elisabeth Bergner sieht man zum ersten Male im Film. Ihr hohes schauspielerisches Können, das jeder inneren Regung beredtesten Ausdruck im Mienenspiel zu verleihen weiß, fesselt von der ersten bis zur letzten Szene. Sie gibt wirkliches Leben. Ob sie aber trotzdem für den Film, der auf das Visuelle gestellt ist und "schöne" Frauen beschäftigt haben will, einen bleibenden Gewinn bedeutet, mag zweifelhaft erscheinen. Jannings, den man nach langer Zeit wieder einmal im modernen Gesellschaftsanzug sieht, zeigt alle Nuancen des im Glück schwelgenden Ehemannes und des durch die Untreue der Frau aus dem seelischen Gleichgewicht gebrachten Gatten in eindrucksvollem Spiel. Conrad Veidt ist dämonisch, überlegen, skrupellos – wie der Regisseur es verlangt. Die Handlung vollzieht sich, abgesehen von einigen Längen, gegen die das Mittel der Schere angewandt werden sollte, mit jener fortreißenden Entwicklung, wie sie der Stoff verlangt. Von der Photographie läßt sich gleich Gutes berichten. Im vierten Akt sieht beispielweise Elisabeth Bergner, wenn sie im Lehnstuhl sitzt und "sein" Haar streichelt, aus, als hätte sie einen Totenschädel. Das sind aber nur kleine Bemängelungen, die der Gesamtwirkung dieses Films keinen Abbruch tun können. Ein Film, der wie "Nju" pulsierendes Leben, gleichsam von der Camera erlauscht, im Bilde wiedergibt und in so vollendeter Darstellung wiedergibt, muß seinen Weg machen, muß überall des stärksten Interesses sicher sein und der Filmkunst neue Freunde werben. In diesem Film zeigt es sich, daß ein Werk, das auf Kunst gestellt ist, auch finanziell ein großer Erfolg sein kann. – Daß man der Presse zumutete, im Beiprogramm eine Schubertiade, die eine Verballhornierung Schuberts bedeutete, sich anhören zu müssen (in der Alhambra), ist sehr bedauerlich.

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