Drachenfutter

BR Deutschland Schweiz 1987 Spielfilm

Der Rosenkavalier

 

Wolfgang Brenner, TIP Magazin, Nr. 06, 1988

Der Deutsche Film ist wieder aufgeblüht. Mit dazu beigetragen hat ein pakistanischer Blumenverkäufer namens Shezad. Jan Schüttes " Drachenfutter" lief in Venedig und wird seither mit Preisen überhäuft. Jan Schüttes "Drachenfutter" hat nichts zu tun mit dem notorischen Kino der Betroffenheit. "Drachenfutter" will niemanden überzeugen, sein einziges Anliegen ist seine Geschichte.

Jan Schüttes " Drachenfutter" hat viele Sprachen: neben Deutsch wird Urdu, Mandarin, Suaheli, Sanskrit und Gujarati gesprochen. Die Hauptdarsteller heißen Bhasker, Ric Young. Buddy Uzzaman und Frank Oladeinde. "Drachenfutter" ist ein deutscher Film.

Früher begannen deutsche Geschichten in Deutschland und führten ohne Umschweife in die exotischen Gefilde, nach denen sich die deutsche Seele in ihren schwachen Stunden sehnte: Das Kino hat mittlerweile seine geographische Richtung umgekehrt. Die Geschichten, die heutzutage über Deutschland erzählt werden, führen nicht mehr weg von der vermaledeiten Heimat in das Abenteuer Ferne, sie nehmen ihren Anfang in unbekannten Landen und handeln in dem unwirtlichen Land, das man auf den luftigen Streifzügen vom Amazonas bis nach Paris in Texas eigentlich ein für allemal hinter sich lassen wollte.

Uwe Schraders bierdunst-umwölkte Odyssee durch die Tristesse durchschnittlicher Malocherexistenzen begann ganz zuversichtlich auf einer Fähre im afrikanischen Sierra Leone - die Nase steif im Wind, noch nicht vom Alkohol gerötet.

Jan Schüttes ,,Drachenfutter" hat viele Anfangsorte, die weit weg liegen von Hamburg/Altona, wo der Pakistani Shezad aus einer der miefigen Kneipen geworfen wird, in denen "Sierra Leone" spielt. Einer davon ist Kampala in Uganda, zur Zeit des Diktators Idi Amin. Wer erinnert sich noch daran, daß der Diktator zu Beginn seiner Schreckensherrschaft die Inder aus seinem Land kurzerhand entfernte, weil sie und nicht sein Stamm die Intelli-genzia des Landes stellten? Von der Ausweisung betroffen war auch der junge Bhasker mit seiner Familie. Seine Flucht führte ihn über Indien nach London, wo er Fuß fassen konnte und heute als Schauspieler arbeitet. Brüsker spielt den Pakistani Shezad. der eins tut, was viele seiner Landsleute tun, um auf der Fluchtstation Deutschland zu überleben: Shezad zieht nachts durch Kneipen und verkauft Rosen an die Gäste.

Ein anderer Anfangsort ist Pakistan. Buddy Uzzaman war dort ein renommierter Komiker, der in mehr als 300 Filmen mitgespielt hatte. Durch seinen letzten Film in Pakistan wurde aus dem Star ein Asylant: Er machte sich über die Machthaber lustig und Buddy Uzzaman mußte sich nach Europa retten, in England hat man ihm Asyl gewährt. Der Komiker aus Pakistan, dessen Gesicht nach Jahren des Exils nicht mehr komisch wirkt, spielt Rashid, den Freund Shezads, der die Strenge deutscher Behörden unterschätzt und deshalb wieder fliegen muß: von Deutschland nach den Niederlanden, von dort nach Mexiko und über die grüne Grenze in die USA, mit viel von der. Freunden gespendetem Geld für die Fluchthelfer und doch ohne Erfolg. Auch Amerika ist nicht die neue Welt, in der man eine Flucht beenden könnte.

Auch Venedig ist wichtig für "Drachenfutter". Der kleine deutsche Film wurde am Lido zur Biennale angeliefert und verschwand im Festivalrummel. Kurz vor Ablauf der allgemeinen Besichtigung fand jemand ein paar Filmdosen in einem Flur. Damit war "Drachenfutter" für die "Settimania Internationale Della Critica" gerettet und die deutsche Kritik konnte sich ihn in Italien zum ersten Mal ansehen.

"Drachenfutter" nannte man früher in Berlin die Rosen, die die besoffenen Nachtschwärmer auf der Straße erstanden, um damit zu Hause die wütenden Ehefrauen zu beruhigen. Drachenfutter – das waren in Märchen die hilflosen Jungfrauen, die schrecklichen Lindwürmern vorgesetzt wurden, damit die beschäftigt und guter Laune waren und es unterließen, ganze Landstriche zu verwüsten.

Wie Drachenfutter wirken Shezad und Rashid auf ihrer Tour durchs nächtliche Hamburg. Sie sprechen kein Deutsch und sind kleiner und schwächer als die bedrohlich gutgelaunten Deutschen, mit denen sie es zu tun bekommen. Der Hüne, der den schmächtigen Shezad samt Rosenstrauß unsanft vor die Tür eines Chinarestaurants setzt, ist jedoch kein Deutscher. Xiao wird gespielt von Ric Young, einem international renommierten Darsteller, der bei "Indiana Jones" Bonds "You Only Live Twice" und Bertoluccis "Der letzte Kaiser" dabei war. Ric Young ist Sohn chinesischer Eltern und lebt seit seiner Jugend in London. Jan Schütte geriet an ihn durch Debbie McWilliams, eine britische Casting-Agentin, die für große Produktionen Besetzungen vornimmt.

In Deutschland fanden Jan Schütte und sein Autor Thomas Strittmatter (Theaterstücke: "Viehjud Levi", "Polenweiher") keine geeigneten Darsteller für die Hauptrollen. Es gibt zwar Pakistani und Inder, aber kaum Schauspieler unter ihnen. Und mit Laien wollten Schütte und Strittmatter nicht drehen. Die Authentizität von "Drachenfutter" ist ohne bombastischen Aufwand und ohne Ausstattungspedanterie entstanden, "Drachenfutter" ist ein kleiner Film, aber ein Film mit Sorgfalt. Die über Debbie McWilliams vermittelten Darsteller lernten erst einmal in Hamburg Deutsch. Dann übersetzten sie ihre Texte selbst aus dem Englischen ins Deutsche. So entstand der eigenartig fremde und doch so vertraute Ton, der Ton derer, die sich ein einem feindseligen Land mit der Sprache ihrer Gegner wehren müssen.

Shezad und Xiao freunden sich an, sobald ihnen klar wird, daß sie im selben Boot sitzen und ihr ganz persönlicher Rassismus ihnen es nur noch schwerer macht gegen den alltäglichen Rassismus des ungastlichen Gastlandes. Das Boot, in dem Pakistani und Chinese das Zusammenhalten unter der Fuchtel eines grobschlächtigen Alleinherrschers einüben, ist eben das Chinarestaurant, aus dem Shezad verwiesen wurde.

Xiao ist der propere Kellner, der vor den deutschen Gästen ungeschickt die Honneurs zu machen versucht, während in der Küche das blanke Chaos herrscht. Die ausländischen Gemüseschneider und Spüler bewahren mit viel gutem Willen und geschickter Improvisation die Gäste vor gastronomischen Zumutungen, und Ulrich Wildgruber führt als Kombüsentyrann Udo einen unbarmherzigen Feldzug an zwei Fronten: gegen den guten Geschmack der Gäste und gegen die Würde seiner Küchenjungen.

Für den sanften Shezad und für den großen Xiao, der mit Fahrradklammern in den Hosen zur Arbeit kommt, obwohl er es zu einem Käfer gebracht hat, ist die Sache klar: Sie wollen ein richtiges Restaurant eröffnen, ohne den großmäuligen Tölpel Udo. Am Anfang des Erfolges steht keinesfalls der Fleiß - wie es die Deutschen behaupten. Shezad und Xiao merken das schnell, denn ihr ehrlicher Handel mit Blumen hat keinen goldenen Boden. Zu dem nötigen Kapital kommen sie erst, als sie einem sauberen deutschen Geschäftsmann ein Schnippchen schlagen: Herder, das gerissene Faktotum im Asylantenwohnheim, verschiebt Menschen über Ost-Berlin in die BRD. Als es heiß wird für ihn, schickt er den ahnungslosen Shezad mit dem letzten Schmiergeld auf den Weg, und der legt prompt den "Hans aus dem Osten" rein. So und nur so kommt man im gelobten Land auf einen grünen Zweig.

"Drachenfutter" ist ein versöhnlicher Film und trotzdem fühlt man sich von ihm nicht besänftigt. Er erzählt von den Unbillen und den trotzigen Freuden des Daseins in einem Deutschland, das Asylanten als Eindringlinge behandelt. Er erzählt, ohne zu politisieren, aber er hält sich nicht raus. "Drachenfutter" handelt von der schmutzigen Seite der Politik, von dem was den Menschen, die Schutz suchen, nach den Buchstaben des Gesetzes passieren kann. "Drachenfutter" ist ein Film mit Ausländern über das kalte Deutschland. Der Preis für diese ungewöhnliche Perspektive ist eine sympathische Naivität, eine Art unbesehen erteilter Vertrauenskredit. Schüttes Blumenverkäufer sind die besseren Menschen, nicht weil sie den Deutschen etwas an Einsicht voraus hätten, sondern weil sie sich trotz alledem menschlich einzurichten verstehen. Sowas nimmt man ihm ab, wenn er zeigt, wie im Asylantenheim ein Wettkochen stattfindet zwischen den Gastronomen in spe. Sowas wirkt aber auch manchmal rettungslos verträumt angesichts der bekannten Verhältnisse.

"Drachenfutter" hat nichts zu tun mit dem notorischen Kino der Betroffenheit; "Drachenfutter" will niemanden überzeugen, sein einziges Anliegen ist seine Geschichte und die ist gut genug erzählt, um zu überzeugen. "Drachenfutter" hat Witz, Charme und Wärme, wo wir sonst Jux, Gespreize und Schwulst gewohnt sind.

Natürlich haben die frischgebackenen Gastronomen kein Glück mit ihrem famosen Restaurant. Shezad wird vom Kochtopf weg verhaftet und abgeschoben. Die Geschichten über Deutschland enden leider wieder dort, wo sie begonnen haben: in der Ferne, die überhaupt nicht mehr verlockend ist, sondern fast noch bedrohlicher als das Elend in der BRD. Doch einen Trost hat Jan Schütte für das Kino: Als Xiao vom Flughafen zurückkommt, wo er seinen Freund noch verabschieden wollte, sind alle Gäste weg und die Zeche liegt sorgsam abgezählt auf dem Tisch. Ganz so schlimm sind sie nicht, die Deutschen.

 

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