Crazy

Deutschland 1999/2000 Spielfilm

Crazy

Hans-Christian Schmid verfilmte den Bestseller von Benjamin Lebert

Kai Mihm, epd Film, Nr. 6, 02.06.2000

Viele Männer dürften diese Situation aus ihrer Jugend kennen: Da hat man es auf einer Party oder im Schwimmbad endlich geschafft, diesem wunderschönen Mädchen, in das man schon seit Ewigkeiten verliebt ist, ein klein wenig näher zu kommen, und man ist kurz davor, ihr mit flimmerndem Herzen seine Gefühle zu offenbaren – da taucht wie aus dem Nichts dieser supercoole Typ aus der gleichen Klasse auf. Immer hat er einen lässigen Spruch drauf, und bei den tollen Mädchen zeigt er keinerlei Berührungsängste, und er mischt sich laut und polternd in das Gespräch ein und macht die Stimmung kaputt. Und wenn die beiden dann gemeinsam abzogen, wusste man, dass mal wieder eine der großen Chancen des Lebens an einem vorüber gegangen war.

In Hans-Christian Schmids neuem Film "Crazy", der auf dem autobiografischen Roman des jungen Autors Benjamin Lebert basiert und von den Erlebnissen einer Gruppe von Jungs um die 16 erzählt, gibt es viele solcher Momente, die einem so verflixt bekannt vorkommen, weil sie in jeder Generation gleich aussehen: die kleinen Machtkämpfe in der Jungen-Clique; die verstohlenen Blicke zu den Mädchen und die linkische Art, mit denen man ihnen begegnete; die tollen Partys mit dem vielen Alkohol, auf denen leider immer viel weniger geknutscht wurde als man es sich erhofft hatte; der Neid auf den coolen Cliquen-Anführer oder die traurige Erkenntnis, dass die hübschesten Mädchen immer ältere Freunde haben – das sind klassische Situationen der – männlichen – Jugendzeit. Der Spaß wie auch die Kritik an ihrer Darstellung richtet sich in erster Linie danach, wie gut sie die Erinnerung des (älteren) Zuschauers an die eigene Jugend aufleben lassen. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, dass man die einzelnen Situationen früher einmal so oder so ähnlich selbst erlebt hat – das Gefühl muss stimmen. Und Schmid, der bereits in "Nach fünf im Urwald" und "23" ein großes Gespür für das Lebensgefühl junger Menschen bewies, schafft es fast durchweg, einen Nerv zu treffen, wobei es egal sein dürfte, ob man nun vor 5, 10 oder 20 Jahren in der Pubertät war oder ob man selbst gerade 16 Jahre alt ist.

Die Hauptfigur von "Crazy" ist der halbseitig gelähmte Benjamin (Robert Stadlober), der, nachdem er sich auf diversen Schulen versucht hat, von seinen Eltern auf ein Internat in der Nähe von Rosenheim geschickt wird. Ziemlich schnell findet der sensible Junge, der wenig redet, aber seine Umgebung genau beobachtet und seine Mitmenschen treffsicher einzuschätzen versteht, Anschluss an eine Clique, die von dem selbstbewussten, manchmal auch ziemlich nervigen Janosch (Tom Schilling) "geleitet" wird. Mit dem für Schmid typischen Understatement zeigt der Film eher beobachtend als dramatisierend die Abenteuer der Freunde während des Sommers, skizziert Situationen eher, als dass er sie voll ausspielt, und umreißt die Charaktere ebenso knapp wie prägnant. Dadurch bekommt der Film etwas Fragmentarisches, als werfe er ein paar Schlaglichter auf die Geschehnisse eines Sommers, die auf den ersten Blick reichlich unspektakulär erscheinen mögen – bis man sich erinnert, dass für einen Sechzehnjährigen die erste Liebe, der erste Besuch im Strip-Lokal und der erste Sex so ziemlich die spektakulärsten Dinge sind, die man sich vorstellen kann. Und wenn Schmid seinen Film für einen kurzen, wunderbaren Moment in einen "Bravo"-Foto-Roman verwandelt, wird klar, dass die Geschichte von "Crazy" möglicherweise wirklich nicht mehr hergibt als eine dieser Foto-Love-Storys – was dem Vergnügen gleichwohl keinen Abbruch tut, im Gegenteil: Schmid deutet mit diesem Kunstgriff an, dass die berühmt-berüchtigten Foto-Geschichten vermutlich auch deshalb so beliebt waren (oder sind), weil man seine eigenen Konflikte darin widergespiegelt sah.

Das schöne Gefühl der Authentizität, das der Film aufzubauen versteht, wird nur durch die bisweilen hölzern-altklugen Dialoge getrübt, die schon Passagen der Romanvorlage so "falsch" wirken ließen. Nicht dass man Teenager in Filmen nicht über ernste Themen reden lassen könnte, Rob Reiner etwa hat das in "Stand by Me" ganz meisterhaft hinbekommen, nur unterhalten sich die 16-Jährigen in "Crazy" über den Sinn des Lebens und über Gott, als wären sie ihre eigenen Väter – und das scheint im Film wie im Roman dann weniger wie ein realistischer Dialog, sondern vielmehr wie der ungelenke Wunschtraum eines Teenagers, der mit seinen Kumpels gerne so reden würde. An der sympathischen, ehrlichen Art, mit der "Crazy" vom Jungsein erzählt und einen an die eigene Jugend erinnert (selbst wenn sie gar nicht so lange her ist), ändert das allerdings wenig. Und mehr muss ein filmgewordener Foto-Roman ja auch gar nicht leisten.

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