"Die gegenseitige Sehnsucht zweier Welten"
Filmportal.de: Frau Davaa, wie waren die Produktionsbedingungen angesichts des Risikos, das ein Dreh unter freiem Himmel, inmitten der Steppe und ohne professionelle Schauspieler bedeutet?
Byambasuren Davaa: Das ganze Projekt war für mich auch eine Suche nach Glück, eben weil so vieles unvorhersehbar und unplanbar war. Der Film war mein Abschlussfilm an der Hochschule, und hätte ich mit einer großen Produktionsfirma gearbeitet, dann hätte diese zu Recht die Sicherheit verlangt, dass die Dreharbeiten erfolgreich abgeschlossen werden. Diese Sicherheit konnte ich natürlich nicht bieten, alles was ich hatte war Hoffnung und Vertrauen. Und ich habe es sehr genossen, noch einmal – vielleicht sogar ein letztes Mal – ein kleines Projekt zu realisieren, und den besonderen Halt zu spüren, den eine solche Arbeit auf reiner Vertrauensbasis bietet.
Also mit einem kleinen Team zu arbeiten, welches bereit ist, sich auf Unwägbarkeiten einzulassen und eben dieses Vertrauen mitbringt?
Ja. Am besten lässt sich diese Herangehensweise erklären, wenn ich am Anfang beginne: Mit meiner Faszination für diese Menschen, und warum ich unbedingt ihre Geschichte erzählen will. Was mich vor allem fasziniert ist ihr Umgang mit der Natur, der Respekt und die Ehrfurcht, die sie ihr entgegenbringen. Sie handeln ganz konkret nach dem Glauben, dass sich der Mensch der Natur anpassen kann und nicht umgekehrt. Das habe ich von diesen Menschen gelernt, weshalb ich mit dem Team versucht habe, nach demselben Motto zusammenzuarbeiten: Wir, das Team, wollen von dieser Familie etwas, und deshalb sollten wir uns ihnen anpassen. Wir wollten nichts von ihnen verlangen, dass sie normalerweise nie tun würden.
Demnach bestimmt die Lebensrealität der Familie den Verlauf der Geschichte?
Genau so ist es. Und dass hat das Team wunderbar verwirklicht, trotz aller Unplanbarkeiten und der schwierigen Arbeitsbedingungen. Es waren viel Improvisationsbereitschaft, Manövrierfähigkeit und Schnelligkeit gefordert – etwa doppelt so viel wie bei einem "normalen" Film. Und so eine Ausnahmesituation schafft zwangsläufig viel Vertrauen. Als Regisseurin sah ich meine Hauptaufgabe darin, diesen Menschen zu ermöglichen, ihre Geschichte zu erzählen, ihren Alltag zu zeigen und im Grunde sich selbst zu inszenieren.
Das ist natürlich ein sehr emphatischer Ansatz des dokumentarischen Arbeitens. Dennoch verfolgt ihr Film ja eine Dramaturgie und will eine letztlich fiktive Geschichte erzählen – auch wenn es sich hier um eine sehr einfache Fabel handelt. Wann kommt es dabei zum Konflikt zwischen dem zugrundeliegenden Respekt gegenüber den Menschen und ihrer Alltagsrealität und den narrativen Erfordernissen eines Spielfilms?
Hierzu erzähle ich am besten kurz, wie ich mit den Kindern im Film umgegangen bin. Denn mit den Erwachsenen war es viel einfacher zu arbeiten. Auch der Hund machte problemlos mit, weil den kann man schnell mit einem Stück Wurst an seine Position locken. Aber von den Kindern konnte man nichts fordern, weshalb wir stattdessen immer mit ihnen gespielt haben. Durch das Spiel konnten wir die Kinder in eine bestimmte Situation versetzen, und für sie war so jeder Augenblick ein einmaliges Erlebnis. Dadurch sind die Kinder im Film so glaubwürdig; weil alles, was sie vor der Kamera tun wirklich aus ihnen selbst kommt. Es ist echt und einmalig.
Viele Kommentare zu diesem Film und ihrer vorherigen Arbeit "Die Geschichte vom weinenden Kamel" heben darauf ab, sie hätten eine Nische zwischen Spiel- und Dokumentarfilm gefunden zu haben ? Nun werden auch im deutschen Kino gerne Zielgruppendefinitionen gefordert, und ihre Filme scheinen sich dem eher zu verweigern. Wie gehen sie damit um?
Ich habe große Probleme mit diesen Kategorisierungen. Ich höre viele unterschiedliche Stimmen zu meinen Filmen, und manche davon sind sehr kritisch: Ist das ein Spielfilm oder ein Dokumentarfilm? So als ob ich die dokumentarische Ethik verletzen würde. Mir sind diese Kategorien letztlich egal, es geht mir um diese eine Geschichte. Ich wollte diese Geschichte für alle Menschen erzählen, egal ob Kinder, Frauen, Männer Mongolen oder Deutsche. Es geht schließlich um universell verständliche Themen und Momente: Das Verhältnis zwischen einem Mann und einer Frau oder der Wunsch eines Kindes, seinen Hund behalten zu dürfen. Es ist die allereinfachste Geschichte und jeder Mensch kann etwas damit anfangen, ganz gleich aus welcher Kultur er kommt. Und zur Frage der Kategorie: Jede Geschichte braucht ihre eigene Sprache und ihren eigenen Rhythmus. Für mich haben der "Hund"- und der "Kamel"-Film ein ganz verschiedenes Tempo und sind auch sonst sehr unterschiedlich. Ich kann letztlich gar nicht genau sagen wo die Grenzen zwischen Dokumentar- und Spielfilm in meiner Arbeit liegen, da beides für mich verschmilzt. Denn für mich ist das Wertvollste die Stärke des Augenblicks, unabhängig von Kategorisierungen.
Diese Verweigerung gegenüber eindeutigen Genre und Zielgruppendefinitionen – die ja oft ausschlaggebend für die Finanzierung eines Films sind – scheint umso spannender, da ihre Filme offenkundig dankbar vom Publikum angenommen werden. Was denken sie welche Bedürfnisse der Zuschauer erfüllen ihre Arbeiten?
Ich glaube, es ist der Wunsch zwei Welten zusammenzubringen. Denn ich selbst stehe zwischen zwei Welten und sehe die Unterschiede. Wenn ich auf meine mongolische Heimat zurückblicke, dann sehe ich eine junge Generation, die sich sehr stark westlich orientiert. Sie glauben, ein besseres Leben gibt es im Westen. Das genaue Gegenteil begegnet mir hier im Westen, wo die Zuschauer sehnsüchtig diese Geschichte aus meiner Heimat verfolgen und den Umgang mit der Natur und die alltägliche Spiritualität bewundern. Ich sehe also die gegenseitige Sehnsucht zweier Welten. Ein Beispiel: Viele mongolische Zuschauer sagen mir: "Wie schön, dass du in deinen Filmen endlich zeigst, wie bei uns alles moderner und besser wird, wie Menschen bei uns fernsehen können und Motorrad fahren." Ganz anders die westlichen Zuschauer:" Oh nein, jetzt kommt das Fernsehen und dieses und jenes und macht diese Welt kaputt." Aber ich als Filmemacher will das nicht beurteilen sondern nur zeigen. Jeder Mensch soll aus seiner eigenen Kultur und Erfahrung diese Geschichte um seine eigenen Interpretationen ergänzen und eigene Schlüsse daraus ziehen. Das ist für mich das Schönste. Und ich glaube die Einfachheit der Erzählung ermöglicht dies, auch weil ich als Filmemacher der Geschichte nicht zu viele eigene Interpretationen aufgebürdet habe. Vieles in meinem Film kann sowohl positiv als auch negativ gesehen werden, aber in jedem Fall erscheint es wahrhaftig.
Eine Art poetische Wahrheit jenseits der sozialen, politischen und ökonomischen Realitäten?
Ja, oder anders gesagt eine Vielzahl von Wahrheiten. Jeder soll sich aufgefordert fühlen, seine eigene Lesart und seine eigene Wahrheit in dem Film zu finden.