Bärbel Neubauer

Regie, Drehbuch, Kamera, Bauten, Schnitt, Ton, Musik, Produzent
Klagenfurt, Österreich

Gespräch mit Bärbel Neubauer über ihren handgemalten Film "Algorithmen" (BRD 1994)

Von Jeanpaul Goergen

 

Das Gespräch mit Bärbel Neubauer erkundet die Entstehung ihres ersten handgemalten Animationsfilms "Algorithmen". Es ist eine Collage aus Mitteilungen der Künstlerin auf E-Mail-Anfragen 2024/25. Der Text wurde von Bärbel Neubauer durchgesehen. 
(Jeanpaul Goergen, März 2025) 

Quelle: Bärbel Neubauer, © Bärbel Neubauer
Screenshot aus "Algorithmen"

Ihre künstlerische Laufbahn begann mit Gedichten und Kurzgeschichten. Wie kamen Sie zum Film, insbesondere zum handgemalten Film?

Ich habe zwischen 1978 und 1983 an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien Bühnenbild studiert; erst ab 1982 gab es dort auch eine Meisterklasse Animation. Während meines Studiums schrieb ich Gedichte, die bildhaft waren. Ich dachte mir, dann kann ich auch gleich Bilder herstellen, und so entstanden dann mehrere Kurz- und Experimentalfilme. Es war der Start in ein kontinuierliches Filmschaffen. Mein erster Animationsfilm war der einmütige Animationsfilm "OH" (1982), den ich auf die Wand meines Zimmers malte und bildweise aufnahm. 

Peter Schreiner, der mir seine Kamera für meine ersten Filme lieh, brachte mir Grundkenntnisse in Film bei, etwa, wie man mit einfachen Mitteln eine Szene gut ausleuchten kann. Wir spielten mit Film und Foto, machten etwa Aufnahmen mit einer Lochkamera – ein Schuhkarton, in dem wir ein kleines Loch ausgeschnitten hatten. Diese Fotos regten mich dann zu dem Legetrickfilm "Zwischen Tier und Schatten" (1985) an. Damals wie auch in der Folgezeit griff ich Anregungen auf, die spielerisch und ohne Absicht aus einem Projekt entstanden waren. Dieser spielerische Ansatz war mir immer wichtig, ebenso wie das Bestreben, stets etwas Neues zu lernen. Das meiste habe ich mir dabei immer selbst beigebracht.

1987 sind Sie von Wien nach München umgezogen. Hier entstand 1991 Ihr erster Versuch eines handgemalten Films.

Ja, "Im Dunkeln ist gut munkeln" habe ich auf 16mm Blankfilm gemalt und gezeichnet; es ist ein halbabstrakter Film, allerdings noch keine visual music. Im Ton hört man, wie zwei Leute miteinander rätseln, wie etwas repariert werden kann; sie glauben sich unbeobachtet, was eine komische Wirkung hervorruft. Dazu laufen im Bild gemalte Elemente, sehr einfach ausgeführt, wie Punkte, die interagieren, und die Komik des Dialogs verstärken. 

Einen zweiten Versuch – "Samstag Nachmittag" – malte ich 1994/95 bereits auf 35mm Blankfilm, benutzte aber noch keine Stempel wie später in "Algorithmen". Es ist mein erster Film, den ich selbst als visuelle Musik bezeichne. Figurative Elemente wie ein Haus und Vögel mischen sich mit abstrakten Elementen – alles ist aber noch recht einfach gehalten, eben ein Versuch. Der Film erhielt das Prädikat "besonders wertvoll". Er lief auf internationalen Festivals und in München als Vorfilm zu Dagmar Knöpfels "Brigitta" (1993/94). Später, im Rahmen meiner Retrospektiven, band ich ihn aber nicht ein, da er mir im Vergleich zu meinen späteren Filmen zu einfach vorkam. 

Wie kam es zum Titel "Algorithmen" – ein Begriff, der heute wegen der künstlichen Intelligenz in aller Munde ist, 1994 aber wohl eher nur Mathematikern geläufig war?

Den Titel "Algorithmen" habe ich erst nach Fertigstellung des Films gewählt. Er erschien mir eine passende Assoziation zu den Farben und Formen und der Musik, etwa so wie man ein Gedicht mit einem assoziativen Wort benennt, um ihn als eine Art algorithmisches Gedicht zu bezeichnen. 

"Algorithmen" entstand an einem selbstgebauten Leuchttisch?

Ja, ich hatte eine Pressspanplatte ausgespart und eine kleine Milchglasscheibe eingelegt. Auf dem Pressspan hatte ich – im Gegensatz zu professionellen Leuchttischen – einen festen Halt und konnte sehr komfortabel darauf arbeiten. Ich habe auf eine Seite die noch nicht bemalte Filmrolle gelegt und immer weiter aufgerollt, die andere mit dem bemalten Filmstreifen rollte ich auf der anderen Seite nach dem Trockenen auf. Es lag also immer ein recht langes Stück Film offen. „Algorithmen“ habe ich in einem Stück gemalt und gestempelt, also während Arbeit keinen Schnitt und keine Änderungen vorgenommen. Erst zum Schluss habe ich einige wenige Bildkader herausgeschnitten und noch den Eingangstitel gemalt und geschrieben 

Quelle: Bärbel Neubauer, © Bärbel Neubauer
Motiv aus "Algorithmen" (1994) von Bärbel Neubauer und ihre aus Radiergummis geschnitzten Stempel. 

Welche Farben haben Sie für ihre Arbeit an"Algorithmen" benutzt?

Ich arbeitete mit den Eiweißlasurfarben "Schmincke", Diaphoto Dye-Lasurfarben sowie pigmentfreien, transparenten Airbrush- und Retuschefarben. Ferner wasserfeste schwarze Tusche von Rotring, die man beim Malen mit Wasser verdünnen kann, und die, sobald sie getrocknet ist, Haarrisse bekommt, das sieht sehr schön aus. Ich hatte zudem wasserfeste Stabilo Markern in verschiedenen Farben und Breiten sowie Marker der japanischen Marke "Magic Marker", die ich in London gekauft hatte. Wichtig war mir, dass sie möglichst transparent waren. 

Viele Motive in "Algorithmen" haben Sie gestempelt...

... mit selbstgefertigten Stempeln! Ich schnitt sie mit einem Grafikmesser aus weißen Radiergummis, die waren glatt und weich. Ich benutzte auch Blätter von Bäumen und Sträuchern als Stempel, indem ich sie im Stempelkissen gefärbt und zart auf die Emulsion "drückte". Ich benutzte dafür normale rote, blaue, grüne und violette Kissen. 

Der Blankfilm war mit Bildstrich, so dass ich eine erste Orientierung hatte. Ich arbeitete fast ausschließlich nach Augenmaß, das gelingt mir sehr gut. Nur äußerst selten habe ich ein vorgezeichnetes Bild als eine Art Storyboard unter den Film gelegt, etwa für den Titel. So habe ich mich jeden Tag darauf gefreut, wie's weitergeht, und jeden Tag weitergemalt und gestempelt, zu Musik aus dem Radio, vor allem Jazz. Jeden Tag entstanden so drei bis fünf Sekunden Film. Als Struktur dienten mir die Stempel. Die Sequenzen habe ich in mehreren Durchgängen mit den verschiedenen bewegten Elementen, eines nach dem anderen, über längere oder auch kürzere Strecken animiert. Ich musste am Beginn der Farbsequenzen und der Elemente immer wissen, was wie wirkt und reagiert, damit ich es in der richtigen Reihenfolge auftragen konnte, also was zuunterst kam, was als nächstes kam, usw. 

Die Musik spielt bei Ihren Filmen eine zentrale Rolle. Bei "Algorithmen" kam sie später dazu, als der Film bereits fertig war. Können Sie mir etwas mehr über die Musik zu diesem Film sagen und wie sie entstand? 

Ich spielte damals Saxofon und Klarinette; für "Algorithmen" entschied ich mich für die Klarinette als Liveinstrument. Für den Rhythmus benutzte ich ein Yamaha-Keyboard. Die Endmischung realisierte ich anschließend mit etwas Geschick auf einem 8-Spur-Tonband Fostex. Wichtig war es mir, ein "Augenmaß" für den Zeitpunkt der Akzente zu entwickeln.

Wie ist es um die Haltbarkeit der Farben und Tinten auf dem Film bestellt?

Im Laufe der Jahre haben sich einige Materialien auf dem Filmband etwas verändert. Die Farben sind zwar nicht schnell verblichen, wohl aber der Film bzw. die Emulsion und auch der Träger vergilbten etwas im Laufe der Jahrzehnte. Die Originale habe ich mir nur einmal sehr vorsichtig am Schneidetisch angesehen, als die Negative gezogen wurden. Die Ausgangsmaterialien meiner Filme liegen heute im Archiv des Wiener Filmmuseums.

In "Roots" (1996) haben Sie erst die Musik komponiert und dann mit dem Zeichnen und Stempeln begonnen...

Ja, auf den Festivals erfuhr ich, dass das oft auch so gemacht wird, und wollte es ausprobieren. Danach machte ich die Musik mal so und mal so, je nach Projekt und Länge des Arbeitsprozesses.

"Mondlicht" (1997) entstand aus Einritzungen in Schwarzfilm. Ein Jahr später beschritten Sie mit "Feuerhaus" (1998) wiederum einen anderen Weg und begaben sich in eine Dunkelkammer, um lebende Fotogramme aufzunehmen. Mit dabei hatten Sie eine Taschenlampe...

"Feuerhaus" besteht in der Tat aus Taschenlampenbelichtungen auf 35mm Positiv-Kopiermaterial, also ein Positiv ohne den Bildstrich. In meiner verdunkelten Küche rollte ich unter dem schwachen Licht einer roten Dunkelkammerleuchte auf einem langen Tapeziertisch recht lange Stücke des Filmmaterials aus, belegte es mit kleinen Elementen wie getrocknete Blätterteilchen, trockene Blüten, Reiskörner, durchsichtige Glasteilchen u.ä. und belichtete es mit einer Taschenlampe. Ich schwenkte sie über meine Installation, um Bewegung zu erzeugen, oder belichtete den Film punktartig. Ich verwendete auch Farbfilter vor der Taschenlampe. Alles musste schnell gehen, da selbst bei dem geringen Rotlicht bei längerer Dauer das Material flau belichtet worden wäre. Die Dauer der Belichtung machte ich nach Gefühl, was mir dank meiner Erfahrung gut gelang. So machte ich mehrere Sessions. Nach der Entwicklung sah ich mir den belichteten Film einmal am Schneidetisch an, montierte ihn und ließ ihn auf Video übertragen. 

Die Videoübertragung habe ich am Mac bildweise zur Musik geschnitten. Dabei kam es auf einzelne Bilder an, weil die Musik, ein sanfter Techno mit dem Rhythmus den Blick richtete und bei dem schnellen Film die Wahrnehmung bestimmte. Ein Bild nicht an der Stelle exakt zu haben, hätte einen anderen Kader betont. Danach habe ich am Original die Bildstriche bestimmt und mit Fußnummern versehen und aus dem virtuellen Schnitt eine Schnittliste mit den Fußnummern gemacht – es waren tausende Bilder. Nach dieser Liste wurde an der optischen Bank im Kopierwerk der Schnitt nachvollzogen und das Negativ aufgenommen und eine Kinokopie gezogen.

Der Kunsthistoriker und Kurator Ulrich Wegenast bezeichnete 2016 "Feuerhaus" als einen der besten Animationsfilme seines Jahrhunderts. Kurz danach orientierten Sie sich wieder neu und schufen computergenerierte Filme. Was hat es mit diesem "digital motion painting" auf sich?

Ich hatte Lust, neue "Pinsel" auszuprobieren – wenn man das Filmen als Malen bezeichnet. Ab 2000/2001 entwarf ich tagebuchartige Bilder in der Software Painter. Vor allem aber benutzte ich die Sofware ArtMatic, mit der ich sehr spielerisch arbeiten und mit Farbe, Form, Oberflächen, Strukturen, Bewegungen und Unregelmäßigkeiten spielen konnte. Hier und in der Folge war es mir wichtig, das Medium rein als solches zu verwenden. Ich gebrauchte keinen Input von Fotos oder anderes analoges Material, erzeugte die Bilder also rein digital. Später, als die Arbeit mit den Fraktalen ausgereift war, sahen manche Bilder so natürlich aus, dass ich damals auf ihre Entstehung hätte hinweisen sollen.

Heute denke ich, dass meine Direkt-auf-Film-Arbeiten für mich die beste Art waren, im Film Tanz und Musik einzubinden. Dass ich zwei- bis dreimal die Woche tanzen ging, war ein notwendiger Ausgleich zu meiner Filmarbeit. Zusätzlich führte mich der orientalische Tanz zu neuen Instrumenten wie Darbuka und Saz. Die Viertel- und Dritteltöne der türkischen Musik entsprechen für mich mehr der Natur, ich mag sie sehr, auch weil sie nicht so "gerade" klingen. Durch die Livemusik hatte ich auch wieder mehr Kontakt mit Menschen und konnte der Isolation, die die Arbeit an den Animationen mit sich bringt, entkommen. 

Woran arbeiten Sie derzeit? Ich habe einen Artikel über ein Projekt mit "heilenden Bildern" gelesen? Was hat es damit auf sich?

Die heilende Wirkung von Bilden und Tönen hat mich über Jahre beschäftigt und ich schuf einige heilende Bilder. 2010 nahm ich die Musik-CD "EMDR-Klänge" mit Eigenkompositionen auf, die im Rahmen der EMDR-Therapie zur Behandlung von Traumafolgestörungen eingesetzt wird und gut zu wirken scheint.

2013 versuchte ich, für die Ausstellung "Bildklänge" (Musikforum Viktring "Neue Welten 2 - Asia meets Europe meets Asia") Bewegung in einige meiner Bilder zu bringen. Ich ließ sie auf Stoff drucken, damit sie sich im Raum bewegen können, was leider nicht funktionierte. Dann druckte ich sie auf Plexiglas, das man an ein Fenster hängen oder davorstellen konnte und nun fügten sie sich in die Natur und die Landschaft ein, die man durch die Fenster sehen konnte. 

Derzeit plane ich noch, einen unvollendeten Film fertigzustellen und ich möchte meine Eigenkompositionen aufnehmen.

 

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