Maria Schrader

Darstellerin, Regie, Drehbuch, Kamera, Produzent
Hannover

"Leugne nicht, wer Du bist"


Mit "Liebesleben", der Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Zeruya Shalev, gibt die Schauspielerin Maria Schrader ihr Debüt als Regisseurin. Am 8. November 2007 kommt ihre Version der gleichsam ungewöhnlichen wie intensiven Beziehung zwischen der jungen Jara und dem wesentlich älteren Arie in die Kinos. Für filmportal.de sprach Ronny Loewy mit Maria Schrader auf der Frankfurter Buchmesse über den Wechsel hinter die Kamera, die Dreharbeiten in Israel und die Leidenschaft in der Literatur und auf der Leinwand.


Ronny Loewy: Lag es in Deiner Lebens- und Karriereplanung, nach vielen Filmen als Schauspielerin auch mal auf die andere Seite der Kamera zu wechseln und Regie zu führen? Oder war es allein die Begegnung mit dem Buch und der Autorin Zeruya Shalev?

Maria Schrader: Ich hatte eine gewisse Vorgeschichte in diese Richtung. Es hat angefangen durch meine Begegnung mit Dani Levy. Im ersten Film, den ich mit ihm gemacht habe, schrieb ich mehr am Drehbuch als ich dann schlussendlich gespielt habe. Das war meine eigene Filmschule: Ich habe mit ihm gemeinsam fünf Filme von Anfang bis Ende begleitet, die Drehbücher geschrieben und bin so in diese Rolle gewachsen. Unser letzter gemeinsamer Film "Meschugge" war ja auch offiziell von uns beiden, ich war eine Art Co-Regisseurin.
Die Sehnsucht anders zu arbeiten, die hat es sicherlich schon immer gegeben. Es war nicht so, dass ich auf der Suche nach dem Stoff für meinen ersten Film war. Das ist tatsächlich aus der Begegnung mit der Figur, mit dem Buch, mit Zeruya entstanden. Das ist das Schöne an der Geschichte, dass sie durch eine Reihe von intuitiven Momenten verschiedener Leute entstand. Es hat Jahre gedauert, bis ich mich entschieden habe, es wirklich zu meinem ersten eigenen Film zu machen.
Selbst mitzuspielen hat sich für mich ausgeschlossen. Ich glaube, das ist denkbar und machbar - so haben wir ja auch bei "Meschugge" gearbeitet - aber in diesem Fall war das ganz ausgeschlossen. Auf der einen Seite jemanden zu spielen, der sich in einen Strudel begibt, die Kontrolle verliert und in jeder Szene auftaucht, diesen Film als Schauspielerin auf den Schultern zu tragen und auf der anderen Seite der sogenannte Kontrolletti dieses ganzen Unternehmens zu sein – das konnte ich mir nicht vorstellen.

Ich finde den Film sehr schön. Aber ich stellte mir bereits bevor ich den Film gesehen habe – und erst recht danach – die Frage: Die erste Filmregie und dann muss es gleich so eine bittere Geschichte sein?

... Nicht nur bitter.

... und die sich auch noch in einer Dir nicht ganz so vertrauten Lebenswelt und Kultur ereignet. Die Nichtvertrautheit mit dieser Kultur ist ja in dem Film noch stärker als im Buch, da Israel im Film viel konkreter, oder besser, viel leichter wiedererkennbar ist, als in der literarischen Vorlage. War das schwierig, gleich mit dem ersten Film in eine so komplizierte Geschichte zu springen?

Es ist eine Geschichte, die durch Schmerz und Chaos führt, aber dann doch ebenso Hoffnung macht. Der Film hat auch sehr leidenschaftliche, und ein paar schöne Momente.

Für mich war im Vergleich zum Buch überraschend, dass der Film weniger düster ist. So ist etwa Arie, der Protagonist, im Film kein ganz so scheußlicher Kerl wie im Roman. Er ist schlicht menschlicher, angenehmer, verstehbarer im Film. Im Buch hat er ja etwas Monströses. Wurden diese Änderungen bereits im Drehbuch festgelegt?

Ja, es ist schon extrem interessant, wie unterschiedlich die Menschen auf diese Geschichte reagieren. Ich finde ihn zum Beispiel kein bisschen monströs. Ich finde, er hat auch im Buch sehr menschliche Züge und er hat eine große Attraktivität auf mich ausgestrahlt.
Aber zurück zur Frage: Als ich angefangen habe dieses Drehbuch zu schreiben, gab es ganz viele unbeantwortete Fragen: Ob ich tatsächlich selbst spiele, ob es ein deutscher Film wird. Zeruya Shalev hat immer wieder betont, bevor wir abends auf die Bühne gegangen sind und diese Lesungen gemacht haben, dass sie die Geschichte als eine universale betrachtet, die überall auf der Welt stattfinden könnte. Dann habe ich angefangen, das Drehbuch zu schreiben und bestimmte Fragen nach hinten geschoben. Erst als dann die Entscheidung fiel, dass ich Regie führen werde, sind die Produzenten und ich nach Israel gereist, um zu schauen, wo diese Geschichte eigentlich herkommt. Von dem Zeitpunkt konnten wir uns den Film nirgendwo anders mehr vorstellen.
Natürlich, mit der ersten Regie in so ein fremdes Land zu gehen, das löst noch einmal größere Ängste aus. Wenn man in Deutschland geblieben wäre, wären bestimmte Dinge sicher einfacher gewesen. Ich hatte ein wunderbares Team in Israel, aber wir waren nur zu viert aus Deutschland und alle anderen waren Menschen, die wir dort erst kennenlernten. Das hat mich am Anfang verunsichert. Aber Filmteams sind dann doch überall auf der Welt vergleichbar in ihrer Struktur, in ihrer Hierarchie, und es war eigentlich ein wahnsinnig schönes Arbeiten.

Die Idee zu dem Film kam ja bei den erwähnten gemeinsamen Lesungen mit Zeruya Shalev in Deutschland. Gab es eine Zusammenarbeit beim Drehbuch, war Zeruya Shalev bei den Dreharbeiten dabei?

Sie hat mir vollkommene Freiheit gelassen. Das ist immer wieder erstaunlich für mich. Der Berlin Verlag hat mich damals gefragt, als Schauspielerin, ob ich mit Zeruya das Buch vor Publikum lese. Inzwischen haben wir, glaube ich, zehn Lesereisen gemacht, auch mit anderen Büchern von ihr. Am Ende der ersten Reise sprach sie von einem Film und bot mir an, doch die Hauptrolle darin zu spielen, ohne andere Filme von mir gesehen zu haben.
Ich habe sie immer richtiggehend bitten müssen, das Drehbuch mal zu lesen. Ich habe ihr die einzelnen Fassungen geschickt, wir hatten ein paar sehr schöne Gespräche. Für sie war, glaube ich, von Anfang an klar, dass sich der Film ein Stück weit vom Buch entfernen muss. Film ist ein ganz anderes Medium. Sie kam dann während der Dreharbeiten immer mal wieder als Zaungast und taucht als Bibliothekarin im Film auf. Ich fand das ein sehr schönes Bild: Zeruya als Wächterin der Bücher, die einmal ihrem eigenen Wesen in der Bibliothek in Jerusalem begegnet.
Der Weg von einem literarischen Werk zu einem Drehbuch, da passiert ja was, es gibt Verluste und Gewinne. War Zeruya Shalev einverstanden mit dem Film, oder auch angenehm überrascht?

Ja, Gott sei Dank. Zeruya war am Anfang fast skeptisch, dass der Film in Israel gedreht wird. Ich glaube, weil sie nicht wollte, dass die Geschichte von dem politischen Thema überdeckt wird, von dem, was alle Welt mit Israel verbindet. Und ich glaube sie war am Ende erleichtert, dass es möglich war, diesen Film in ihrer Stadt zu drehen, ohne dass das politische Thema zu vordergründig wurde. Es hat sie gefreut, wie Jerusalem portraitiert wird. Bestimmt gibt es einen europäischen Blick. Ich war dort dreieinhalb Monate permanent, mit vielen kurzen Reisen vorher zur Vorbereitung. Ich hatte einen ganz wunderbaren Produzenten, Marek Rosenbaum, dem ich auch immer das Drehbuch gegeben habe und gesagt hab: Bitte sag mir, wenn irgend etwas nicht glaubhaft in dieser Umgebung ist. Ich habe gelernt, was der Unterschied zwischen Polizei, Militärpolizei und Army ist, wie die Uniformen und die Roadblocks aussehen und all das.
Ich habe sogar darüber nachgedacht, den Film in Hebräisch zu drehen. Ich hab lange hin und her überlegt. Die Produktionsfirma war dagegen. Für X-Filme stand fest, es muss in Englisch gedreht werden. Dann hatte ich mit Marek, dem israelischen Produzenten, ein sehr schönes Gespräch. Er hat gesagt, leugne nicht, wer Du bist. Und es ist wahr, die Quelle dieses Projektes ist die Begegnung zwischen Zeruya und mir und die Sprache zwischen uns ist Englisch. Ich komme als jemand Fremdes in dieses Land und betrachte es mit anderen Augen. Ich entdecke Ecken in Jerusalem, die andere gar nicht in ihrer Schönheit oder in ihrer Besonderheit erkennen. Vielleicht ist es genau dieser leichte Abstand durch das Englisch und den Blick von uns Westeuropäern. Dieser halbe Meter Abstand davon, es komplett authentisch sein zu lassen. Vielleicht ist genau das, das Interessante an der Geschichte. Auch Zeruya wollte immer, dass es sich etwas abhebt von der israelischen Realität.
Wenn man den Film nicht in Israel angesiedelt hätte, hätte man auch viele Dinge anders dargestellt. Zum Beispiel die Familienbindungen, dieses ständig in Verbindung sein mit der Familie. Auch zu wissen, man ist innerhalb von ca. einer Stunde bei seinen Eltern in diesem kleinen Land Israel.
Ja, alleine die Vorstellung. Wir haben eine Hauptfigur, sie ist Ende 20, Akademikerin, seit mehreren Jahren verheiratet. Wenn man sich überlegt, diese Geschichte eventuell in Berlin spielen zu lassen, muss man richtiggehend Gründe dafür finden, warum sie mehrere Male wöchentlich zu ihren Eltern geht. Was sehr außergewöhnlich ist in unseren Breitengraden, aber in Israel ist das vollkommen normal. Jeder Mensch geht am Schabbes zu seinen Eltern, man hat eine andere Art familiärer Identifikation und Nähe. Die Geschichte hat dadurch automatisch eine andere Dimension – in welcher Form sie diese Familie verletzt, welchen Tabubruch sie begeht. Das ist etwas anderes in dem Moment, wo es dort stattfindet. Darüber hinaus finde ich, nachdem das Buch einen solchen Erfolg hatte, fast eine Million mal in Deutschland verkauft und in so viele Sprachen übersetzt wurde, muss man umgekehrt fragen: Man muss einen guten Grund finden, es woanders zu drehen als in Israel, oder?
Über eine Figur müssen wir sprechen, über Jara. Sie ist im Film ständig präsent, von der ersten bis zur letzten Minute, hält eine emotionale Raserei mit einer Beiläufigkeit durch und schafft es, ihr Geheimnis weitgehend zu wahren und doch eine Entwicklung zu durchlaufen.

Das ist absolut die große Schwierigkeit gewesen. Jara macht Dinge, die uns nicht unbedingt für sie einnehmen. Diese Nähe, man geht die Strecke mit ihr. Dass man sich nicht auf halbem Weg abwendet von ihr und damit nichts zu tun haben will, das war sicherlich die schwierigste Aufgabe. Schon beim ersten Lesen habe ich das so empfunden. Das Verstehen dieser Person, dieser Figur, war für mich das Zentrum der ganzen Arbeit. Ohne meine eigene Beziehung zu der Figur Jara hätte ich diesen Film gar nicht machen können. Ich glaube ich bin auch bis zum Ende die Schauspielerin geblieben, die von innen guckt. Ich habe nie sagen können: Oh, den Film sehe ich vor mir. Ich habe ihn eher aus der Sicht dieser Figur gefühlt.
Im Kontext der israelischen Realität hat die Verweigerung Bus zu fahren, eine private wie politische Bedeutung. Am Ende des Films besteigt Jara, vermutlich nach langer Zeit, erstmals wieder einen Bus. Ihre amour fou löst eine irgendwie kathartische Erfahrung aus, macht sie gleichzeitig wieder fähig etwas zu tun, was sie aus ganz anderen Gründen nicht mehr getan hat.

Ja, es ist eben auch die Geschichte einer Befreiung. Dieser ältere Mann, Arie, ist für Jara eine Station in ihrem Leben. Es ist auf der einen Seite eine große, leidenschaftliche - ich würde es gar nicht Liebesgeschichte nennen - Obsession, die ihr von Anfang an keine Wahl lässt. Das war zumindest immer meine Theorie und zwar aus dem Grund, weil sie diesen Mann im Haus ihrer Eltern kennenlernt und weil sie instinktiv spürt, wie sehr er mit ihrer Geschichte anscheinend verwoben ist. Er weiß etwas, was auch sie wissen muss, sie sucht auch nach Aufschluss über sich selbst.
Ich habe mir, sagen wir mal, die Freiheit genommen, den Bus zu einem poetischen Symbol zu machen. Der Bus ist in dem Film nicht nur bedrohlich, er ist auch verführerisch als ein Transportmittel, das einem gewisse Freiheit verschafft. Sie hat Angst davor und gleichzeitig übt er einen gewissen Magnetismus auf sie aus, sich selbst zu überwinden, etwas zu bezwingen.
Noch eine letzte Frage: Maria Schrader wird es natürlich nach wie vor als Schauspielerin geben. Hat Maria Schrader, freilich ohne jetzt über konkrete Pläne zu reden, Lust bekommen, auch weitere Filme in Regie zu machen?
Die Wahrheit ist: ja. Ja, ich bin jetzt im Moment in so einer Phase, wo ich glücklich bin, dass alles hinter mir liegt und fertig ist, dass es wirklich gelungen ist und ich mich dafür nicht schäme. Das ist etwas, was gerade beim Film immer wieder eine Befürchtung sein kann, dass einem am Ende die Arbeit gar nicht richtig gefällt. Aber ich bin froh und ich hoffe, dass ich das noch einmal machen werde, ja.

Viel Glück für den Film und für Dich und Dankeschön.
Vielen Dank, es war mir ein Vergnügen.

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