Till Eulenspiegel
Till Eulenspiegel
Jörg Gerle, film-dienst, Nr.19, September 2003
Schon vor Jahrhunderten erzählte man von wundersamen Gestalten, die nichts lieber taten, als die Menschen zum Narren zu halten. Es sind ganz eigentümliche Figuren, die einerseits mit ihren Abenteuern Vergnügen bereiten sollen, andererseits aber nie wirklich sympathische Charaktere sind, da sie sich in der Regel am Leid anderer Menschen ergötzen. Dieser Zwiespalt wird auch nicht unerheblicher, wenn es denen, die ins Bockshorn gejagt werden, zu Recht geschieht. Es ist eine merkwürdige Art von Humor, die den Erzählungen vom Lügenbaron Münchhausen oder Grimmelshausens Simplicissimus inne wohnt. Derbheit grenzte in früheren Zeiten wohl nahe an Humor. Das gilt besonders für Hermann Botes "Ein kurzweiliges Buch von Till Eulenspiegel", dessen älteste Auflage aus dem 16. Jahrhundert stammt.
Schelme machen mitunter Spaß, sympathisch aber sind sie nicht. Das mögen sich vielleicht auch die Produzenten des Trickfilms gedacht haben, der den Namen Till Eulenspiegels trägt. Vielleicht hat der Film deshalb so gut wie nichts mit der Figur zu tun, die gern auf einem Hochseil über die Saale spazierte und mit Hilfe einer List der ganzen Bevölkerung die Schuhe stibitze. Etwas Verschmitztes liegt der bunten Filmfigur im Blut. Till kann einfach nicht umhin, die bestehende Ordnung zu hintertreiben. Sagen, wo es lang geht, darf ihm erst recht keiner. Das müssen die Torwächter von Boomstadt bald am eigenen Leibe erfahren, als sie Till davon abhalten wollen, seinen Großvater Marcus zu besuchen. Es dauert nur Minuten, bis er vor der Stadtmauern ein beträchtliches Chaos hinterlassen hat. Zu Gesicht bekommt er seinen Verwandten indes dennoch nicht. Der Alchemist hat sich in Folge eines misslungenen Experimentes in Luft aufgelöst. Dank eines Zauberspiegels erfährt Till, dass sein Großvater sterben wird, so er nicht binnen zweier Tage drei Prüfungen besteht. Gesagt, getan. Zwischendurch vertauscht der Schelm noch eben eine goldene Eierspieluhr, die die schöne Nele für den kindlichen König Rupert entworfen hat, mit einem Entenei, verliebt sich in die Gehörnte und rettet den kleinen König vor dessen finsteren Beratern, die die Macht im Land an sich reißen wollen.
Wirklich unangenehm aber ist dieser Till keineswegs. Er schädigt seine Opfer niemals grundlegend, ist nie zynisch, rücksichtslos oder gar gemein. So steht er ganz in der Tradition des Mainstream-Spaßmachers, wie man ihn aus vielen Trickfilmen Walt Disneys kennt – mit dem Unterschied, dass seine Art dort meist in Form von Fabelgestalten auftritt, die dem Held der Geschichte eine liebe Last sind. Eigenartigerweise wird seine Figur dennoch kaum sympathisch. Das liegt unter anderem am misslungenen Charakter-Design. Die spitze, hochmütige Himmelfahrtsnase, die kantigen Gesichtszüge und die teuflisch abstehenden Haarschöpfe lassen eher an einen klassischen Bösewicht denken als an den Helden der Geschichte. Seine Physiognomie erinnert zudem erstaunlich stark an den Miesepeter aus Albert Barillés beliebter Kindertrickserie "Es war einmal..." Ein weiteres Problem des Films ist sein Autor Christopher Vogler, der als "einer der führenden Drehbuchberater Hollywoods" (Presseheft) gerühmt wird. "Die Odyssee des Drehbuchschreibers" stammt von ihm – und ähnlich nimmt sich "Till Eulenspiegel" aus. Die Geschichte mutet wie ein Gemischtwarenladen aus allen bisherigen Arbeiten Voglers (u.a. "Die Schöne und das Biest", fd 29 927, "Aladdin", fd 30 525, "Hercules", fd 32 840, und "Der König der Löwen", fd 31 054) an, in der sich Till beweisen muss. Selbst die für ein Zeichentrickabenteuer unvermeidlichen Sidekicks wie die Eule des Großvaters und der Geist aus dem Zauberspiegel scheinen mehr oder weniger direkt aus "Aladdin" entnommen.
Schließlich manövriert sich Vogler im Showdown in eine eigentlich unauflösbare Situation, als er die Widersacher des Königs behaupten lässt, dieser sei gar nicht der wahre Herrscher, sondern nur ein Scharlatan. Aus dieser Sackgasse kommt die Geschichte nur durch einen wie aus dem Hut gezauberten "Überraschungsgast". Nun mag man einwenden, dass dies alles die Zielgruppe (nämlich die Kinder) nicht weiter interessiere; dass mit 15 Mio. Euro keine Kosten und Mühen gescheut wurden, um "Till Eulenspiegel" möglichst bunt und actionreich in Szene zu setzen; dass deutsche "Stars" wie Mario Adorf, Veronica Ferres und Katharina Thalbach für die Synchronisation an Bord geholt wurden, die ihre Arbeit gut machen und einen Film adeln, der Spiel, Spaß, Spannung, Musik und Abenteuer vereint. Nur: Der Funke will ob dieses sich Hollywood anbiedernden Produkts nicht überspringen, weil die Vorbilder in der Regel spritziger und hochwertiger sind (auch weil mit deutlich höherem Budget versehen). Und: Sie haben eine Seele! So etwas merken auch Kinder.