Hans Weingartner

Darsteller, Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt, Produzent
Feldkirch, Vorarlberg, Österreich

Ich suche die Herausforderung

Gespräch mit Hans Weingartner über Politik, Liebe und seinen neuen Film



Frank Arnold, epd film, Nr. 12, 02.12.2004


Der Stoff von "Die fetten Jahre" sind vorbei hat einerseits ein reales Vorbild, andererseits für Sie auch autobiografische Momente?

Ich war immer ein Gerechtigkeitsfanatiker und hatte die ganze Zeit versucht, mich politisch zu engagieren. Als ich 1990 nach Wien ging, um zu studieren, hatte ich eigentlich erwartet, dass es dort sei wie in Paris "68 – aber da war gar nichts los; ich war frustriert und bin dann später nach Berlin gezogen, wo ich in einem besetzten Haus gelebt habe, das war vielleicht meine engagierteste Zeit. Das Haus wurde dann geräumt, und ich habe Film studiert, hatte aber immer das Gefühl, noch eine Rechnung offen zu haben. Jahrelang habe ich aber nicht den richtigen Zugang gefunden zu diesem Stoff – ich wollte keinen klassischen politischen Film im Stil der siebziger Jahre machen. Dann las ich von diesem Pariser Arzt, der 20 Jahre lang in Villen eingebrochen ist, und niemand wusste davon. Er hat die Sachen in einem Keller gelagert, das fand ich so charmant, diese private Revolte. Im Drehbuch haben wir sie ein bisschen auf eine gesellschaftliche Ebene gehoben. Generell denke ich, die Schwierigkeit meiner Generation lag darin, dass das Establishment nicht mehr so klar auszumachen war. Zudem hat das System immer perfidere Verteidigungsstrategien entwickelt, den Protest zu nehmen, zum Produkt zu verpacken, ein Preisschild draufzukleben und zurückzuverkaufen. Ich glaube, meine Generation ist die Generation der Ratlosigkeit und der Umorientierung. Da kommt jetzt eine neue Generation, im Zuge der Anti-Globalisierungsbewegung – mit der ich sehr stark sympathisiere –, die neue Strategien entwickelt.

Filme, die nicht nur Bestehendes kritisieren, sondern auch Alternativen aufzeigen, sind eher die Ausnahme. Wie wichtig war Ihnen dieses Moment?

Ich glaube, zur Kunst gehört das Fragezeichen mehr als das Ausrufezeichen. Wichtig war mir zu zeigen, dass, wenn du in dir Wut spürst und das Bedürfnis zu protestieren – dann musst du das rauslassen. Die Wut darfst du nicht in dich hineinfressen, das macht dich krank. Wichtig ist einfach, den Schritt zu machen und zu handeln. Der zentrale Satz des Films ist für mich der, den Jan zu Jule auf dem Hausdach sagt: "Auch wenn es andere Revolutionen schon gegeben hat und das im Einzelnen vielleicht nicht funktioniert hat, ist das Wichtigste doch, dass die besten Ideen überlebt haben." Für mich gibt es keine bessere Motivation dafür zu rebellieren.

Ist die These des Films, dass die Freundschaft stärker ist als die Eifersucht, auch eine Utopie? Oder basiert das auf Erfahrung?

In der Realität ist es vielleicht in einem von 100 Fällen so – aber als Filmemacher habe ich die Freiheit im Kino: Ich glaube, dass oft Freundschaft stark genug sein kann, um so etwas zu überwinden. Das spielt natürlich auch ein bisschen mit diesem "Freie Liebe"-Gedanken. Ich meine aber, das ist kein Privileg des französischen Films, das kann man auch mal im deutschen Film zeigen.

Hatten Sie das Gefühl, einen bestimmten zeitlichen Abstand zu benötigen, um dieses Thema filmisch zu verarbeiten?

Ja, den braucht man. Jemand hat einmal gesagt, die besten Filme macht man nur über einen vergangenen Lebensabschnitt. Bei "Das weisse Rauschen" ging es um einen jungen Mann, der 21 Jahre alt war, jetzt ist er Mitte 20, in meinem nächsten Film gibt es dann vielleicht schon Leute Ende 20 und so weiter. Man braucht Distanz, darf aber auch nicht zu weit weg sein. Man braucht einerseits Momente, an die man sich noch erinnern kann, und gleichzeitig ein bisschen Distanz, um zu durchschauen, was da schief ist in dieser Zeit, in diesem Leben. Ich finde aber, "Das weisse Rauschen" ist ein persönlicherer Film als dieser jetzt.

Für mich sind beide Filme Gegenstücke, die Bildmächtigkeit im ersten und hier der Akzent auf Schauspielern und Dialogen: Ist das auch Ausdruck einer veränderten Haltung zum Filmemachen oder einfach dem Stoff geschuldet?

Ich versuche, verschiedene Bereiche des Filmemachens auszuprobieren. Diese andere Bildsprache hat hauptsächlich mit dem Inhalt zu tun. Es war nicht als Gegenentwurf konzipiert, es war vielmehr wieder der Versuch, mit einem kleinen Team zu arbeiten, auf Digitalvideo mit wenig Geld zu produzieren. Der große Unterschied zu "Das weisse Rauschen" ist für mich, dass die Handlung hier viel ausgefeilter ist, dass der Film eine stärkere Dramaturgie hat – "Das weisse Rauschen" ist ja mehr oder weniger ein subjektiver Erfahrungstrip.

Die Kamera ist meist nah dran an den Figuren, war das der Grund, warum sie mit zwei Kameraleuten gearbeitet haben?
Nicht alles wurde mit zwei Kameras gedreht, die kamen hauptsächlich bei den Dialogszenen zum Einsatz. Der Handkamerastil erzeugt dokumentarische Nähe und Echtheit. Die Kamera ist neutral, sie beobachtet die Figuren, mittendrin zwar, aber meist mit derselben Brennweite, sehr kurze, dokumentarische Brennweiten – ich versuche nicht, mit der Kamera zu manipulieren. Bei Schuss-Gegenschuss ist es im Hollywood-Film oft so, dass der Held längere Brennweiten und mehr Großaufnahmen bekommt. Das Dokumentarische ist wichtig für mich, aber ich könnte keinen Dokumentarfilm machen, mir ist es unangenehm, wenn ich in das Privatleben der Leute eindringe. Ich fühle mich im fiktionalen Film wohler.

Für mich war die interessanteste Figur des Films Hardenberg, der Manager, den die drei entführen. Ich habe beim Sehen gespürt, dass ich ihm gern glauben wollte, wenn er erzählt, dass er selbst einmal ein 68er war.

Ich sympathisiere partiell mit all meinen Figuren, selbst mit dem "Bösewicht" – ich bin da ganz demokratisch. Es gibt keine bösen und guten Menschen, die kommen auf die Welt und sind erst mal unbefleckt. Und auch ein Jürgen Schrempp ist ja kein Monster, der macht auch nur, was seine Shareholder ihm vorgeben. Die Crux liegt doch in den grundlegenden Prinzipien des Systems.

Sie haben gegenüber der Fassung, die in Cannes gelaufen ist, das Ende verändert.

Das hing mit Zeitproblemen zusammen: Für Cannes hat das Ende noch nicht funktioniert, nach Cannes hatte ich genügend Zeit. Ich habe noch ein bisschen nachsynchronisiert, neue Musik gefunden und den Schnitt verändert. Ich finde den Schluss jetzt besser, weil er inhaltlich das transportiert, was wir wollten beim Schreiben, nämlich: dass die Gruppe weitermacht.

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