Paraiso
Paraiso
Raimund Gerz, epd Film, Nr. 8, 02.08.2004
Der Ort Guantánamo im tropischen Osten Kubas, in dem der erste lange Film von Alina Teodorescu spielt, steht im kollektiven Bewusstsein nicht gerade für ein Paradies. Der Titel ist eher ein ironischer Fingerzeig – allerdings nicht auf den nahe gelegenen US-Militärstützpunkt mit dem berüchtigten Internierungslager, sondern auf die wenig paradiesischen Umstände, unter denen die Menschen hier ihr Leben fristen. Denn paradiesisch geht es in diesem verregneten Provinznest wahrlich nicht zu: Die Menschen leben von der Hand in den Mund, die Armut ist allgegenwärtig, das Transportsystem existiert nicht mehr, wer auch nur in den nächsten Ort will, ist auf einen gnädigen Autofahrer angewiesen. Die dampfende Hitze tut ein Übriges ...
"Paraiso" erzählt von den jungen Musikern der Band "Madera Limpia" ("Reines Holz"), die schon mit ein paar Stücken Treibholz und einer leeren Plastikflasche virtuos aggressive Rhythmen erzeugen können, in die auch Elemente von Rap und Hip Hop einfließen. Die Texte stammen, ähnlich wie die Rap-Texte hier zu Lande, aus dem unmittelbaren Erfahrungsbereich der Künstler – dem Überlebenskampf auf der Straße und den Nöten der Liebe. Vor allem aber handeln sie von der Langeweile des Alltags, von Frustration und Perspektivlosigkeit in diesem abgelegenen Zipfel der Insel, hunderte von Meilen von der Hauptstadt entfernt.
Sorin Dragoi, der Ehemann von Alina Teodorescu, und sein Assistent Marcus Holzner haben diese Atmosphäre mit ihren Digital- und Super-8-Kameras festgehalten. In einer langen Nachbearbeitungsphase ist daraus ein Film entstanden, dessen Bilder die behauptete Langeweile und Apathie eigentümlich dementieren. Die schnellen Schnitte, die teilweise grobkörnigen Bilder, der Wechsel zwischen Farbe und Schwarzweiß und die fast permanente Präsenz der Musik erzeugen vielmehr den Eindruck einer endlosen Fiesta aus Sex und Rhythmus. Dazu gehört das machohafte Auftreten der promiskuitiven Männer ebenso wie das Leiden der fortwährend betrogenen Frauen. Die Filmemacher sind sichtlich bemüht, die Buena-Vista-Social-Club-Klischees zu unterlaufen und die Musik ihrer Protagonisten in deren Lebensalltag einzubetten. Dabei ist für den hiesigen Zuschauer aber schwer zu unterscheiden, ob sie dabei ihrerseits einem Kuba-Klischee aufsitzen oder ob die Realität bereits das Klischee beinhaltet.
Teodorescu fügt ihre Beobachtungen locker in eine Spielhandlung ein, unterschlägt dabei aber nicht den dokumentarischen Charakter des Films. Vor allem Yasel, der eloquente Sänger der Band, hat ausführlich Gelegenheit, seine Gedanken vor der Kamera auszubreiten. Doch aussagekräftiger als dessen Allerweltsphilosophie ist ein schöner running gag, den Teodorescu immer wieder ins Bild bringt: Der grellgelbe, chronisch defekte und notorisch trockene 57er Chevy von Rafael, dem Fahrer der Band, scheitert an jedem Hügel und rollt, wie der Stein des Sisyphus, rückwärts wieder hinab. Ein treffendes Bild für die Lage im heutigen Kuba.