Leontine Sagan

Weitere Namen
Leontine Schlesinger (Geburtsname) Leo Schlesinger (Weiterer Name)
Darstellerin, Regie
Budapest, Ungarn Pretoria, Südafrika

Jeanpaul Goergen über die Zensurgeschichte von "Mädchen in Uniform" (1931)

 

Der sechsaktige Spielfilm "Mädchen in Uniform" von Leontine Sagan wurde am 1. Oktober 1931 mit einer Länge von 2682 m (98'02") von der Filmzensur freigegeben, durfte aber nicht vor Jugendlichen gezeigt werden. Verboten war, ohne Längenangabe, das Gemurmel des "Vaterunser" während der Andacht im 2. Akt. Nach der Freigabe dauerte es noch zwei Monate, ehe der Film am 27. November 1931 im Berliner Capitol seine gefeierte Uraufführung erlebte.

Am 8. April 1932, ein halbes Jahr nach der Erstzensur, legte ihn die Deutsche Film-Gemeinschaft GmbH – um 202 Meter (7‘23“) auf 2480 m (90‘39“) gekürzt – abermals der Zensur vor, die ihn nun ohne Auflagen freigab. Diese Fassung wurde erneut am 27. Dezember 1935 unverändert zugelassen. Da "Mädchen in Uniform" im Ausland bereits ab Januar 1932 in der gekürzten Fassung anlief, können wir die Zensur vom 1. Oktober 1931 als Premierenfassung und die zweite Zulassung als Exportfassung ansehen, die nun auch in Deutschland vertrieben wurde. Der Film erfuhr somit in der Weimarer Republik keine nennenswerten Zensurauflagen und war auch im Nationalsozialismus nicht verboten. Im Gegenteil: 1939 erschien "Mädchen in Uniform" sogar noch in einer 16mm-Fassung, die ihrerseits 1‘21“ kürzer war als die Exportfassung.

Produzentin der beiden Fassungen von "Mädchen in Uniform" von 1931 und 1932 war die Deutsche Film-Gemeinschaft GmbH, ein Kollektiv, das sich über ein kompliziertes Vertragswerk mit späterer Gewinnbeteiligung zusammengeschlossen hatte, darüber hinaus aber nur noch zwei Kurzspielfilme produzierte. 1939 verantwortete das Tonfilmstudio Carl Froelich & Co die 16mm-Fassung.

Als "Mädchen in Uniform" 1949 in der Bundesrepublik der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) zur Jugendfreigabe vorlag, war der Film mit 2417 Metern 63 Meter (2‘18“) kürzer als die Exportfassung von 1932.

•    Erstzensur (Premierenfassung): 1.10.1931, Nr. 29999, 6 Akte, 2682 m, 98‘02“
•    Vorspannfilm zur Premierenfassung: 7.11.1931, Nr. 30338, 1 Akt, 140 m, 5‘07“
•    Vorspannfilm zur Exportfassung: 15.2.1932, Nr. 31056, 1 Akt, 125 m, 4‘34“
•    Zweitzensur (Exportfassung): 8.4.1932, Nr. 31351, 6 Akte, 2480 m, 90‘39“
•    16mm-Fassung:  23. 9.1939, Nr. 52283, 6 Akte, 978 m, 89‘18“
•    FSK-Fassung: 8.12.1949, Nr. 600, 6 Akte, 2417 m, 88‘20“

Das Originalnegativ, beide Vorspannfilme und die 16mm-Fassung sind nicht überliefert. Aktuell sind zwei Kopien im Verleih:
•    Verleihkopie Deutsche Kinemathek: 2407 m, 87‘59“ (auch 16mm)
•    Digitale Restaurierung 2018 durch das Deutsche Filminstitut: 2425 m, 88‘38“ [2021 auf DVD und Blu-ray bei bfi video erschienen]

Premiereneinladung
Foto: Stiftung Deutsche Kinemathek Berlin, Schriftgutarchiv F270_OT_05
Auf der Premiereneinladung stellen sich die Mitglieder der Deutschen Film-Gemeinschaft vor.

Die Restaurierung von 2018 beruht vermutlich auf der Basis der Exportfassung; allerdings wurde kein Restaurierungsbericht veröffentlicht. Zur Premierenfassung fehlen 257 m (9‘24“) und zur Exportfassung weiterhin 55 Meter (2‘01“). Im Vergleich zur FSK-Fassung ist sie allerdings etwas länger. Die heute im Vergleich zur Exportfassung fehlenden Teile dürften dem unvollständigen Vorspann und, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, dem Verlust einiger Dialoge geschuldet sein. Die restaurierte Fassung enthält aber alle auf der Zulassungskarte von 1932 angeführten Sequenzen.

Fehlstellen. Die Zulassungskarten von 1931, 1932 und 1939 sind erhalten. Während die von 1931 und 1932 das Geschehen aktweise zusammenfassen, enthalten die Karten des Vorspannfilms (zur Premierenfassung; die Karte des zweiten Vorspannfilms ist nicht überliefert) und der 16mm-Fassung sämtliche Dialoge im Wortlaut. Ein dänisches Filmprogramm überliefert zudem zentrale Textpassagen der Erstfassung auf deutsch und dänisch. Eine schwedische Transkription der deutschen Sprechtexte konnte nicht ausgewertet werden.

Bei der Uraufführung 1931 wird "Mädchen in Uniform" vor allem als abschreckendes Beispiel preußischer Erziehungsmethoden wahrgenommen, seit seiner Wiederentdeckung in den 1970er Jahren dagegen als lesbischer und queerer Film diskutiert. Eine systematische Auswertung der zeitgenössischen Rezeption steht noch aus. Es stellt sich die Frage, ob und inwieweit sich die Kürzungen der verschiedenen Fassungen unmittelbar auf die im Film allgegenwärtigen erotischen Anspielungen und auf queere Thematik beziehen oder ob noch andere Gründe in Frage kommen.

Die Eingangstitel der restaurierten Fassung weichen von den auf den vier Zulassungskarten notierten Credits ab; im Wesentlichen fehlen die Angaben zum Produzenten und weiteren Mitwirkenden.

1. Akt. Die Kürzungen in der Exportfassung von 1932 belaufen sich im ersten Akt auf acht Meter (18“). Laut dänischem Filmprogramm war der Begrüßung durch Fräulein von Kersten im Pensionat noch eine Szene zwischen der Tante und Manuela vorgeschaltet: "Na, freust Du dich denn nicht, dass Du in das schöne Stift kommst? / Freuen, Tante, ich weiß doch noch nicht, wie es hier sein wird. / Du bist ein undankbares Kind. Ich verschaffe Dir da eine Freistelle in dem elegantesten Institut, das heutzutage noch existiert, wo die Frau Prinzessin persönlich hinkommt und nach dem Rechten sieht... Ihre Tochter sogar zum Spielen schickt und Du freust Dich nicht?" – Die Episode taucht auch in der 16mm-Fassung nicht mehr auf. Die Kürzung diente wohl der Straffung der Handlung. Im 5. Akt fiel zudem eine sich hierauf beziehende Szene weg, in der eine Hofdame darum bittet, die Prinzessin bei Wettkämpfen gewinnen zu lassen.

Eine weitere, deutlich bedeutsamere Kürzung gibt es in dem Dialog im Treppenhaus zwischen Ilse und Manuela, die letztere in die allgemeine Bewunderung für Fräulein Bernburg einweiht. Nach ihrem theatralisch übertriebenen Ausruf: "Sag' ist es wahr, sie küsst Euch abends" deklamiert Ilse laut dänischem Programm weiter: "O Ilse ... sie schläft bei offener Tür nebenan... o Gott ... o Gott ... o Gott..."  Beide Sätze fehlen in der 16mm-Fassung. Enthalten ist dort aber der diesen Dialog abschließende Satz, der sich nun weder auf die Küsse noch auf das offene Schlafzimmer der Bernburg, sondern auf den Schlafsaal der Mädchen bezieht: "Ich kann Dir sagen, Manuela, so groß ist der Genuss nämlich eigentlich nicht." – Die gekürzten Sätze deuten an, dass Fräulein Bernburg des nachts Zöglinge in ihrem Zimmer empfängt und legen somit ihre lesbische Orientierung offen. Durch die Kürzung bleibt die Persönlichkeit der Erzieherin im Dunkeln und die Gutenachtküsse verlieren ihre angedeutete sexuelle Konnotation. Außerdem wird ein Widerspruch entfernt, klagt Manuela doch im 3. Akt gegenüber Frl. von Bernburg, dass man ihr Zimmer nicht betreten dürfe. Beide Sätze ("O Ilse ... sie schläft bei offener Tür nebenan... o Gott ... o Gott ... o Gott... / Ich kann Dir sagen, Manuela, so groß ist der Genuss nämlich eigentlich nicht.") fehlen in der restaurierten Fassung. Sie waren auch nicht in der französischen Fassung mit den Untertiteln der Schriftstellerin Colette enthalten.

In einer Szene sieht man die Mädchen kichernd über ein Foto gebeugt, das einen muskulösen Mann in Badehose zeigt. Ein Standfoto aus dem Film zeigt eine vergleichbare Einstellung, nur dass sie hier pikante Fotos von leicht bekleideten Frauen betrachten, dabei die im Pensionat verbotene Schokolade naschen und sogar rauchen. Da dieses Foto auch in der zeitgenössischen Werbung verwendet wurde, dürfte die Einstellung wohl auch in der Premierenfassung enthalten gewesen sein.

"Mädchen in Uniform"
Quelle: DFF
Eine verlorene Einstellung: Zöglinge betrachten pikante Fotos von Frauen.

2. Akt. Neben Kürzungen von 72 Metern (2‘38“) wurde im 2. Akt auch die Montage umgestellt. Die Zulassungskarte von 1931 notierte sieben Sequenzen: "1. Mariechen zeigt ihre Künste im Waschraum. 2. Edelgard und Manuela im Schlafsaal im Gespräch. Manuela zieht einen Vergleich zwischen ihrer verstorbenen Mutter und Fräulein von Bernburg in Erinnerung an die mütterliche Zärtlichkeit. 3. Fräulein von Bernburg redet Manuela freundlich zu und ermuntert sie. 4. Fräulein von Bernburg beim Gutenachtsagen ihrer Schlafsaalzöglinge. 5. Morgenandacht, von der Oberin abgehalten. 6. Die Oberin droht mit Ehrenstrafen bei Verfehlungen."

Diese Reihenfolge findet sich auch im dänischen Kinoprogramm. In der Exportfassung, der 16mm-Fassung sowie in der restaurierten Fassung steht die Gutenachtszene dagegen am Aktende. Nun beginnt der 2. Akt mit der Inspektion der Zöglinge, der Morgenandacht und der Ansprache der Oberin. Die weiteren Sequenzen spielen in den Wasch- und Schlafräumen der Zöglinge: Mariechen zeigt ihre Künste, Edelgard und Manuela unterhalten sich, Fräulein von Bernburg spricht Manuela Mut zu und wünscht ihren Zöglingen im Schlafsaal eine Gute Nacht [Die berühmte Kuss-Szene: Fräulein von Bernburg küsst Manuela inniglich auf den Mund]. – Durch die veränderte Montage der beiden Handlungsstränge wirkt der Akt argumentativ straffer. Die Kuss-Szene am Aktende stellt einen wirkungsvolleren dramaturgischen Höhepunkt dar als die Ansprache der Oberin. Es ist schließlich dieser unangebrachte und übergriffige Kuss zwischen der Erzieherin und dem Kind, der dessen sexuelle Entfaltung einleitet und damit alle weiteren Ereignisse auslöst.

Das dänische Programm belegt, dass für die Exportfassung vor allem das längere Gespräch zwischen Edelgard und Manuela geschnitten wurde: "Ach Gott, ich bin ja so müde. Du Edelgard, bist Du sicher, dass Fräulein von Bernburg mich küssen wird? / Natürlich. Sie küsst jedes ihrer Schlafsaalkinder jeden Abend beim Gutenachtsagen. / Ich erinner' mich noch sehr gut, wie meine Mutter mich küsste. Ich war ja schon 11 Jahre, als sie starb. Sie nahm mich auf den Schoß. Und da war ein Duft von Lavendel, trotzdem weiß ich gar nicht genau, wie Mutter mich geküsst hat. Bei dem Gedanken, wie Mutter mich geküsst hat, muss ich immer an Fräulein von Bernburg denken." – Dieser Schnitt könnte aus dramaturgischen Gründen erfolgt sein. Schließlich hatte Manuela bis dahin die Erzieherin erst einmal getroffen, als diese ihr im strengen Tonfall einige Regeln des Hauses erläuterte. Mit dieser harschen Unterweisung dürfte sie bei dem Kind wohl kaum Erinnerungen "an die mütterliche Zärtlichkeit", geschweige denn den Wunsch nach einem Kuss geweckt haben. In einem Gespräch mit Heide Schlüpmann hatte Hertha Thiele zudem darauf hingewiesen, dass durch diesen Schnitt die Assoziationskette 'Verlust der liebenden Mutter – Liebe zu einer anderen erwachsenen Frau als Ersatz' wegfiel. Damit stellt sich Manuelas lesbisches Begehren, das durch den Kuss aufbricht, als ein Gefühl dar, das keiner Begründung oder Erklärung bedarf. Die Ausdeutung ihrer Empfindungen wird von einem erklärenden Dialog in die Bilder verlegt.

3. Akt. Der 3. Akt wurde für die Exportfassung um 53 Meter (1‘56“) gekürzt. In einer Szene entdeckt Fräulein von Bernburg bei zwei Kindern einen verbotenen Brief, den sie ungelesen entsorgen lässt. Die Mädchen freuen sie sich über so viel Anständigkeit. Im Vorspannfilm folgte der sonst nirgendwo dokumentierte Satz: "Ja, wenn die ein Mann wäre, dann wär' sie ein richtiger Gentleman."

Laut dänischem Protokoll endete die Konferenz der Lehrkräfte mit dem Statement von Fräulein von Bernburg: "Was ich für nötig halte, ist ein Eingehen auf jede Individualität, die Kinder müssen uns vertrauen." Im Wortprotokoll der 16mm-Fassung fehlt dieser Satz ganz. In der restaurieren Fassung heißt es knapp und bündig: "Die Kinder müssen uns vertrauen".

In der Klasse wird das Kirchenlied "O dass ich tausend Zungen hätte" aufgesagt. Im Wortprotokoll der 16mm-Fassung von 1939 fehlt in der Zeile mit dem Loblied der Bezug auf Gott: "von dem, was Gott an mir getan." Weiterhin fehlt nach dem Satz "Das Vaterland braucht wieder eiserne Menschen" die Aussage eines Mädchens: "Meine Mutter war doch auch vier Jahre hier – sie kann nicht vergessen haben, wie schrecklich es ist." Diese Sätze sind in der restaurierten Fassung enthalten, ebenso in dem französisch untertitelten Film. Ihr Wegfall 1939 dürfte der nationalsozialistischen Ideologie geschuldet sein, die hier keine Relativierung einer straffen militaristischen Einstellung duldete.

Vor Ilses Hunger-Brief, den sie nach draußen schmuggeln will, fehlen in der restaurierten Fassung einige Sätze, die auf der Zulassungskarte der 16mm-Fassung dokumentiert sind: "Na, na, halte doch die Hand vor'n Mund. / Halt doch selber den Mund, alter Feldwebel! / Ist doch heute wieder langweilig. / Ach, Kinder, wenn ich doch raus könnte...". Laut dänischem Programm ging diese Sequenz noch weiter: "Hör doch auf mit dem Gedudel, stelle lieber das Radio an. Wenn wir schon nicht rauskönnen, wollen wir wenigstens Musik hören. / [Radiovortrag:] Das die Gänseschläge der norddeutschen Tiefebene in zwei nicht allzu scharf, aber doch deutlich unterschiedene Typen zerfallen... die östlichen Gänse tragen den Rumpf nahezu waagerecht, wodurch die Brust tief zu liegen kommt. Dies ist bei der pommerschen Gans, als der rassisch am besten durchgearbeitetsten Vertreterin des Typs ein unumgänglich erforderliches Merkmal. Kopf und Hals sind von ziemlicher Stärke, der letztere..." – Dass die sich langweilenden Kinder u.a. Radio hörten, notierte auch die Zensurkarte der 1931er Fassung, allerdings nicht mehr die 1932er und 16mm-Fassungen. Zweck der Kürzung dürfte wiederum eine Straffung der Handlung gewesen sein, denn die mit dem übertrieben trockenen Radiovortrag satirisch angelegte Sequenz ist zum Verständnis der Handlung nicht nötig; sie fehlt auch in der restaurierten Fassung.

Es gelingt den Kindern, Ilses Brief an ihre Eltern vor dem plötzlich auftauchenden Fräulein von Kersten zu verstecken. Vor der Übergabe des Briefs an die Dienstbotin gab es laut dänischem Programm folgenden Wortwechsel, der auch in der 16mm-Fassung enthalten war. Er fehlt sowohl in der französischen als auch in der restaurierten Fassung: "Na sag mal, wenn Deine Eltern hier wohnen, warum bist Du denn eigentlich im Stift? / Ach weißt Du, Mama hat so viele gesellschaftliche Verpflichtungen und Papa ist immer im Dienst. Manchmal denke ich. / Durchbrennen? In diesem Kittel? / Die Polizei wird mich schon nicht kriegen." – Auch hier war wohl erneut eine Straffung der Handlung intendiert. Es ist zudem eher unwahrscheinlich, dass Ilse die Anschrift ihrer im Ort wohnenden Eltern nicht kennt.

4. Akt. Hier fielen 20 Meter (44“) weg. In der Aufführung des "Don Carlos" fehlt in der restaurierten Fassung nach Domingos Satz "Die schönen Tage in Aranjuez sind vorbei. Ihre königliche Hoheit verlassen es nicht heiterer" die in der 16mm-Kopie enthaltene Fortsetzung: "Sie sind vergeblich hier gewesen. Brechen Sie dies rätselhaftes Schweigen." – Dieser Satz könnte als Anspielung auf Fräulein von Bernburg gelesen werden, die sich in ihren Empfindungen zu Manuela nicht erklärt. Die Kürzung könnte das Ziel verfolgt haben, so wenig wie möglich über die echten Gefühle der Erzieherin mitzuteilen und ihr wahres Empfinden im Dunkeln zu lassen.

In der 16mm-Fassung fehlte die kurze Szene nach dem wilden Tanz der Mädchen ("Bei Fräulein Lisbeth im Parterre", ein populärer Foxtrott von 1930), in der Frl. von Bernburg sagt, es sei richtig, dass die Kinder sich heute mal richtig austoben.

5. Akt. Hier wurde um 18 Meter (39“) gekürzt. Ausweilich des dänischen Filmprogramms und der 16mm-Fassung fehlt in der restaurierten Kopie der Schluss des Satzes der Französischlehrerin, in dem sie Verständnis für die betrunkene Manuela äußert: "... und überhaupt, sie war doch ganz unschuldig an der ganzen Malheur, das war nur der Schuld von diese dumme Köchin, was hat gemacht dieser Salmixtur, nicht wahr?"

Nach dem königlichen Besuch gab es laut Zensurkarte der Premierenfassung und dem dänischen Programm noch folgenden Dialog zwischen einer Hofdame und Fräulein von Kesten: "Prinzessin wird morgen zum Spielen kommen, aber ich bitte Sie, sehr darauf zu achten, dass Prinzessin immer beim Spielen gewinnt. Das letzte Mal hat sich einer Ihrer Zöglinge erlaubt, schneller zu laufen als Prinzessin. Das ist natürlich unmöglich, Sie begreifen." Die Szene fehlt in der restaurierten Fassung. – Die Episode spielt auf die Eingangssequenz der Premierenfassung an und wurde wohl ebenfalls aus Gründen einer strafferen Erzählweise geschnitten.

6. Akt. Der letzte Akt besteht aus einer Parallelmontage der Auseinandersetzung zwischen der Oberin und Fräulein von Bernburg mit den Kindern, die laut rufend die verschwundene Manuela suchen. Hier fehlen 31 Meter (1‘08“). Im Gegensatz zur Premierenfassung weist die Restaurierung eine veränderte und z.T. gekürzte Montagefolge des Disputs auf.

Die Oberin stellt Frl. von Bernburg zur Rede, weil diese trotz des Verbots mit Manuela gesprochen hatte. In der 16mm-Fassung und der Restaurierung fehlt der im dänischen Programm überlieferte Dialog: "[Die Oberin:] Es war mir darum zu tun, den Kontakt zwischen Ihnen und dem Kind zu unterbrechen. / Diesen Kontakt habe ich bereits unterbrochen. Aber ich mache mir jetzt Vorwürfe. Frau Oberin, der Eindruck auf das Kind war so niederschmetternd, dass ich befürchte - ".

Die Kinder vermissen Manuela und beschließen, ihr zu helfen. Laut dänischem Programm und der 16-mm-Zensurkarte schloss sich hier ein weiterer Teil der Auseinandersetzung zwischen der Oberin und Fräulein von Bernburg an, wobei die Montage über die Alliteration mit dem Wort "helfen" erfolgte: "[Oberin:] Helfen … ich höre immer helfen. Wollen sie Manuela noch dafür belohnen, dass sie mit ihrer strafbaren Neigung den Ruf der Anstalt aufs Spiel setzt? / Immer die Anstalt – die Anstalt – es handelt sich doch hier um einen lebendigen Menschen, Frau Oberin!". Diese Szene ist in der restaurierten Fassung später eingesetzt; dort heißt es aber nur noch: „Ich höre immer helfen. / Es handelt sich doch hier um einen lebendigen Menschen!" In der 16mm-Fassung fehlt in dieser Sequenz der Befehl der Oberin: "Sie verlassen heute noch die Anstalt."

Fazit. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Exportfassung von "Mädchen in Uniform" von 1932 im Vergleich zur Premierenfassung durch eine Reihe von Kürzungen in der Erzählung sowie durch zwei größere Umstellungen in der Montage insgesamt straffer ausgefallen ist. Einige die Handlung retardierende Szenen fielen weg; die neue Montage im 2. Akt mit der Kuss-Szene arbeitet diesen dramaturgischen Höhepunkt stärker heraus, während die Umstellungen und Kürzungen im letzten Akt wohl eine Steigerung der Dramatik bezweckten. Bedeutsamer sind Schnitte, die sich auf den lesbischen Subtext des Films beziehen. Trotzdem verblieben noch ausreichend Hinweise auf das "Ungehörige, Zügellose aus einer anderen Welt", wie ein zeitgenössisches Filmprogramm Manuelas Liebe zu Fräulein Bernburg umschrieb.

Die Schlussworte von Fräulein von Bernburg, an die Oberin gerichtet, lesen sich auch als Schuldeingeständnis ihrer Pflichtverletzung durch den übergriffigen Kuss: "Die Kinder haben ein Unglück verhütet, woran wir beide unser Leben lang getragen hätten." Die Erzieherin hat das durch den Verlust ihrer Mutter und die Probleme der Eingewöhnung in die fremde Welt des Stifts verunsicherte Kind in einer unangebrachten und durch nichts zu rechtfertigenden Art und Weise auf den Mund geküsst. Die pubertierende 14jährige Manuela, die bisher nur die mütterlichen Küsse kannte und diese auch nur noch unbestimmt erinnerte, wurde dadurch in ein Gefühlschaos geworfen, das zwischen kindlicher Schwärmerei und erwachendem sexuellem Begehren schwankt. An dieser quälenden Verstörtheit, die sie sich nicht erklären kann und aus der ihr auch niemand heraushilft, wäre sie fast verzweifelt.

Fräulein von Bernburg wird ihrem selbst formulierten pädagogischen Anspruch, Vertrauen zu den minderjährigen Zöglingen aufzubauen und keines der Kinder zu bevorzugen, nicht gerecht. Ihre Beschwörung des "großen Geist[s] der Liebe, der tausende Formen hat" wirkt wie eine fade Phrase angesichts ihres eklatanten Fehlverhaltens gegenüber einem schutzbefohlenen Kind – ein Aspekt, der bisher nur selten in die Auseinandersetzung mit dem Film eingeflossen ist (Humphrey, 2023).

Archive:
Bundesarchiv (Zulassungskarten: R 9346-I/19952; R 9346-I/20142; R 9346-I/20778; R 9346-I/31839; Sammlung Filmwerke: FILMSG 1/10503)
Stiftung Deutsche Kinemathek Berlin

Auswahlliteratur:
Alain und Odette Virmaux (Hg.): Colette au cinéma. Paris 1975
Heide Schlüpmann, Karola Gramann: Momente erotischer Utopie – ästhetisierte Verdrängung. Zu MÄDCHEN IN UNIFORM und ANNA UND ELISABETH. In: Frauen und Film, Nr. 28, Juni 1981, 28-47 [Enthält ein langes Gespräch mit Hertha Thiele]
Brigitte Zwerger: Ein Zufallsfund und ein Erklärungsversuch. Mannheim: Marchivum 2021.
Daniel Humphrey: Hunger, Discipline, and Order. Queer Adolescent Desire in Mädchen in Uniform and Otra vuelta de tuerca. In: Maureen Turim, Diane Waldman (Hg.): Desire and Consent in Representations of Adolescent Sexuality with Adults, London 2023, S. 151-168 doi: 10.4324/9781003283768-1

20. April 2024

 

Rechtsstatus