Lebende Buddhas
Lebende Buddhas
Heinz Michaelis, Film-Kurier, Nr. 12, 13.5.1925
Der Name Paul Wegener bedeutet für den deutschen Film mehr als eine einmalige – in Stärken und Schwächen einmalige – künstlerische Individualität. Er bedeutet eine Idee, die Idee des reinen, konzessionslosen Filmkunstwerks.
Der "Student von Prag", "Rübezahl", die beiden "Golemfilme" waren Programm und Erfüllung zugleich.
Um so schmerzlicher ist es, ihm dieses Mal sagen zu müssen, daß hier das gestaltende Kunstwerk hinter dem Gestaltungswillen zurückbleibt.
Wir wissen, daß für Wegener der phantastische Film die eigentliche Sphäre der Filmkunst bedeutet. Die Mystik ist das Gebiet, auf das er den Film am liebsten beschränkt wissen möchte. (...)
Den Künstler Wegener reizte es, die Geheimnisse der Religionen Indiens in einem Märchen zu gestalten, und es wäre ihm vielleicht restlos gelungen, wenn nicht der Ethnologe Wegener ihm das Konzept verdorben hätte.
Was auf diese Weise entstanden ist, ist im Grunde ein erotischer Lehrfilm, der von einem Künstler konzipiert ist.
Der Grundfehler der Konzeption ist der, daß Wegener die Handlung auf Erlebnissen zweier deutscher Forscher auf einer Expedition nach Tibet aufbaut. Das Hineinziehen des Komplexes "Europa" in die Handlung zersprengt den künstlerischen Organismus, zerstört die Einheit der Stimmung.
Noch bedenklicher aber ist es, daß das mystische Element der Handlung nicht mit der Naivität des wundergläubigen Märchenerzählers gestaltet, sondern mit einer gewissen Pedanterie demonstriert wird. (...)
Rein filmisch betrachtet ist das Werk eine Folge von Bildern von mitunter vollendeter formaler Sicherheit. Aber diese Bilderfolge ist nicht geformt nach einem einheitlichen, rhythmischen Grundgesetz, es bleibt eine Bilderreihe, die sich nicht zum einheitlichen Organismus zusammenfügt, der Film ist sozusagen eine okkultistisch-erotische Revue.
Allerdings haben einige Szenen für sich allein betrachtet, wie die nächtliche Orgie vor dem Tempel, eine Intensität, die sekundenweise bannt. Im ganzen aber ist das Problem der Bilderführung nicht gelöst, das Grundgesetz des Films, die Handlung in Bewegungsvorgänge aufzulösen, nicht erfüllt.
Einzelne Gestalten haften in Erinnerung:
Da ist vor allem der Großlama von Wegener selbst: eine Gestalt, die Erinnerungen an seinen Holofernes in Hebbels "Judith" heraufbeschwört. Ein Götze, freilich mehr tartarischen als indischen Gepräges. Sein Blick hat die Magie, die der Film als solcher vermissen läßt.
Ausgezeichnet in der Geschlossenheit der Durchführung ist Gregory Chmara als junger Lama. Ein mönchischer Fanatiker des Ostens, hinter einer starren Maske, läßt er die Glut religiöser Beflissenheit ahnen.
Herrlich endlich Asta Nielsen in der Verstörtheit des Opfertieres, wie in der Gestaltung des somnambulen Zustandes.
Mit zwiespältigen Empfindungen geht man aus diesem Film, dem zur künstlerischen Vollendung das letzte Durchglühtsein fehlt. Der Film, der die Wunder Indiens wirklich beschwört, ist Wegener uns noch schuldig.