Der Bulle und das Mädchen
Der Bulle und das Mädchen
Brigitte Jeremias, epd Film Nr. 5, Mai 1985
Der Filmtitel erweckt Schauervorstellungen schlimmster Art. Ich bin kein Freund von Krimis, schon gar nicht von denen der platten Art, wie sie der Titel suggeriert. Doch Jürgen Prochnow ist weder der gutmütig-bärbeißige Bulle des deutschen Fernsehens und gewisser Filmplotten der fünfziger Jahre, noch ist Annette von Klier (das Mädchen) das reizende, lustvoll verdorbene Flittchen aus dem Untergrund. Es sind professionelle Schauspieler in diesem Film beieinander, die wie wirkliche Menschen wirken. Die Kamera (Edward Klosinski) suggeriert von Anfang an ein Klima, in dem das Heilige direkt neben dem Profanen existiert – besser neben der Unterwelt; die Bilder sind meistens dunkel. Neben den Kneipen, die die jugendlichen Outlaws als Treffpunkt und Ersatzheimat gewählt haben, werden die Umrisse gotischer Kirchenschiffe sichtbar – der Film scheint in Köln gedreht zu sein – die Trennung zwischen Luzifer und den Engeln verwischt sich.
Das Drehbuch stammt von Peter Märthesheimer und Pea Fröhlich, es besticht durch intelligente Einfachheit. Märthesheimer, lange Zeit beim WDR, Autor vieler Fassbinder-Filme, war als Produzent von Fassbinders "Soll und Haben"-Fernsehprojekt vorgesehen, das übervorsichtige Antisemitenjäger, die mit McCarthy-Methoden zu Werk gingen, zu Fall brachten. Einmal im Film taucht Krystyna Janda auf, Klosinskis Frau, Heldin aus Wajdas schönsten Filmen, in denen er sich mit der polnischen Form des Kommunismus auseinandersetzt. Sie wirkt hier fremdartig, verschreckt, bleibt stumm.
Prochnow (er hat in Petersens Erfolgsfilm "Das Boot" den U-Bootkommandanten gespielt) ist der einsame Wolf in der Kripo, bei der Verfolgung Jugendlicher aus der Unterwelt hat er deren Methoden übernommen, die er perfekt beherrscht, wenn nicht gar übertrifft. Die Liebe zu seiner Ex-Frau, der eigenartigen Krystyna Janda, hat er ausgewechselt gegen ein Verfallensein an Pistole und Auto, die Handwerkszeuge des Polizisten, die er mit Sorgfalt pflegt. Mit seinem zerklüfteten Gesicht und dem Fluidum totaler Vereinsamung, das er um sich verbreitet, hat er Ähnlichkeit mit dem jungen Robert De Niro aus Scorseses "Mean Streets". Er erwischt die Bande, zu der das Mädchen gehört, hilft ihm aber aus der Klemme, als es durch die Schuld ihrer Kumpel verhaftet wurde. Das Mädchen dankt ihm damit, daß es seine Pistole und sein Auto klaut, von da an ist es für ihn nur noch "die Ratte". Er verfolgt es mit dem Auto eines befreundeten Barbesitzers. Bald aber, durch einen neuen Trick des Mädchens, gerät er selber in die Rolle des Verfolgten. Seine Kollegen jagen ihn, den Einzelgänger, mit dergleichen Erbitterung, mit der sie die Leute aus der Unterwelt jagen. Des Mädchens Vokabel für das Bekenntnis "ich liebe dich" heißt "ich habe kalte Füße". So deckt er es schließlich mit seinem Ärmel, seiner Jacke, seiner Wärme zu und beginnt sie zu mögen. Am Schluß sind die beiden von den Polizisten aneinandergekettet worden wie zwei Schwerverbrecher.
Erst wird das Mädchen von den sie mit Hubschraubern und zahllosen Fahrzeugen einkreisenden Spezialeinheiten erschossen. Dann stirbt auch der Bulle im Kugelfeuer. Dieses schwarzgetönte Happy End mit Jenseitsglorie verstimmt. Es erscheint mir als das einzige Klischee des Films, der sonst alle Klischees des ausgelaugten Genres meidet: durch den konsequenten Realitätsbezug der Kamera, die von Künstleraugen dirigiert wird, durch die außergewöhnlich treffende Sprache und Charakterisierung der Hauptfiguren, durch die in der Simplizität der Dramaturgie gewahrte Intelligenz. Auch deutschsprachige Filme können Kino sein, im besten Sinne des Wortes.